Vor 10 Jahren ist Daimler gestartet und betreibt heute eines der führenden Corporate Blogs in Deutschland. “Ein Corporate Blog ist schnell gestartet, es am Leben zu halten, das ist die Herausforderung.” Als ‘Geburtshelfer’ des Daimler-Blogs weiss Uwe Knaus, wovon er spricht. Er verfügt nicht nur über eine grosse Expertise, er ist auch bereit, sein Wissen und seine Erfahrungen zu teilen.
Darum haben wir am diesjährigen Content Strategy Barcamp #cosca17 in Darmstadt die Gelegenheit genutzt, um gemeinsam eine Session anzubieten. Uwe Knaus hat vor vollen Rängen erzählt: über die Anfänge, seine Erfahrungen und die weiteren Entwicklungen. Daraus ist dieser lange und sehr lehrreicher Rückblick entstanden. Lesen Sie im ersten Teil wie der Start verlaufen ist, welche Rolle die Mitarbeiter spielen (eine sehr grosse) und welche Themen funktionieren.
Den Daimler-Blog gibt es seit genau 10 Jahren, herzlichen Glückwunsch zu diesem Jubiläum. Ihr seid am 16. Oktober 2007 mit dem ersten Beitrag gestartet, Begriffe wie Web 2.0 oder Mitmach-Web lassen fast etwas Nostalgie aufkommen. Was war das damals für eine Zeit?
Mitte 2006 beschäftigte ich mich zuerst mit der Blogosphäre in Deutschland und anschließend mit den amerikanischen Blogs. Damals hieß das Social Web noch Web 2.0. – Blogs und Foren waren dominant, YouTube war ein Jahr alt, Twitter gerade gestartet. Wir starteten dann 2007 mit dem Daimler-Blog, drei Jahre später folgte die Einführung von Facebook in Deutschland. Webseiten waren in Deutschland kaum interaktiv und nicht kommentierbar. Interaktion mit Unternehmen war online kaum möglich.
Die Konzeption ist tatsächlich schon 11 Jahre alt. Im Frühjahr 2017 begannen wir das Konzept für ein Corporate Blog zu verfeinern. Wir evaluierten eine passende Plattform und machten uns auf die Suche nach einem technischen Dienstleister, der sich mit WordPress auskennt und die Plattform extern hostet.
Wie seid ihr dann den Launch konkret angegangen?
Ungefähr sechs Wochen vor dem geplanten Launch luden wir 15 sogenannte „Alpha-Blogger“ ein, die Beta-Version des Daimler-Blogs auf Herz und Nieren zu testen und Feedback zu geben. Die Rückmeldungen waren mehrheitlich positiv, wodurch wir kaum nachjustieren mussten. Der tolle Nebeneffekt: Wir hatten zum Start des Daimler-Blogs eine kleine, reichweitenstarke Community – heute würde man sie „Influencer“ nennen – die den Launch kommunikativ befeuerten. Dies führte dazu, dass wir am zweiten Tag bereits 15.000 Seitenaufrufe hatten. Ansonsten gab es nämlich keine begleitenden Kommunikationsmaßnahmen.
Welche Rolle spielen die Autoren?
Eine ganz elementare Frage, wenn es ums Bloggen geht. Der Autor steht natürlich im Mittelpunkt, das Unternehmen stellt die Plattform und die Rahmenbedingungen. Mir ist es wichtig, dass Autoren eine zentrale Rolle bekommen, denn von ihren Beiträgen lebt das Blog. Er ist über das Kommentarfeld ansprechbar und reagiert in der Regel sehr schnell, da er die Kommentare in Echtzeit auf seinen E-Mail Account bekommt.
Darüber haben wir eine Autorenbeschreibung am Ende eines jedes Beitrags, in der sich die Autoren vorstellen können. Muss-Inhalt ist die Angabe des Bereichs in dem er arbeitet, so formuliert, dass es ein Außenstehender einordnen kann. Bei Bedarf kann der Autor auch noch seinen Twitter- oder Instagram-Account nennen. Einen Lebenslauf wollen wir nicht, der Leser soll nur grob wissen, mit wem er es zu tun hat. Das schafft Nähe.
Bei Daimler bloggen die Mitarbeiter, wie habt ihr sie – insbesondere in der Anfangszeit – dazu gebracht? Es ist ja auch nicht zum Schreiben geboren.
In der Anfangszeit war es nicht einfach, Autoren zu finden. Die Wirkungsweise von Corporate Blogs war nicht bekannt, deshalb fragen die Kolleginnen und Kollegen oft, wen das interessiert und wer das lesen wolle. Hier war Überzeugungsarbeit gefragt, zumal Schreiben für die meisten unserer Autoren nicht zu deren Hauptaufgaben zählt und dies für Ungeübte eine Hürde darstellt.
Autoren müssen auch heute gewonnen werden; Sie schreiben ja zusätzlich zur Arbeit und sollen nicht nur einen Beitrag schreiben. Deshalb wollen wir Ihnen das Bloggen so einfach wie möglich machen. Dazu haben wir Blogging Guidelines auf unserm Blog und coachen in der Regel am Telefon, das geht meist besser als E-Mail Pingpong. Der Inhalt des Gesprächs in einem Satz: „Schreibe die Geschichte so auf, wie du sie einem guten Freund erzählen würdest – und versuche sie nicht so zu erzählen, wie du denkst, dass es ein Vorgesetzter von dir erwartet.“ Das hilft meist gegen „Unternehmenssprech“ und gestelzte Sätze.
Dazu benötigt es einen hauptamtlichen Redakteur, der sich um die Geschichten kümmert, als wären es seine eigenen. Denn wenn in einer Geschichte Herzblut drin ist, merkt es auch der Leser.
Wie bekommt ihr den Spagat hin, dass die Beiträge authentisch rüberkommen und dabei den Anforderungen der Kommunikationsabteilung genügen?
Die Qualität der Beiträge schwankt immer noch stark. Aber wollen wir denn tatsächlich auf einem Blog Beiträge lesen, die alle perfekt geschrieben sind: Von der Headline, über den Teasertext, die Zwischenüberschriften, bis hin zu Gliederung und Formulierung? Das haben wir ja bereits: die Pressemitteilung.
Ein Blogbeitrag muss sich jedoch von einer Pressemitteilung unterscheiden, muss seinen eigenen Stil entwickeln, soll Menschen auf deren persönlicher Ebene abholen – so unterschiedlich, wie unsere Leser sind, so vielfältig sollten auch die Blogbeiträge sein. Nicht nur in der Thematik, sondern auch bei den Schreibstilen. Jedes Töpfchen findet auf dem Daimler-Blog sein Deckelchen.
Insofern machen wir kaum Vorgaben: Die Textlänge sollte sich im Rahmen von 800-1000 Wörter befinden (max. zwei DIN A4 Seiten), Verständlich, locker und nicht gekünstelt, so wie ich es einem guten Freund erzählen würde. Auf keinen Fall so, wie man denkt, dass Daimler es von einem erwarten würde. Dann wirkt es in der Regel aufgesetzt und wenig authentisch.
Unsere Tipps an die Autoren haben wir in unseren Blogging Guidelines aufgeschrieben.
Gibt es ein Briefing oder etwas, das ihr den Autoren an die Hand gebt?
Das Briefing für den Autor erfolgt in der Regel in einem persönlichen Telefonat mit dem Autor. Im Anschluss daran erhält er zwei oder drei Links zu vorangegangen Beiträgen, die ein ähnliches Thema schon einmal behandelt haben. Meist sind es Beiträge, die man selbst gut findet oder die viele Leser hatten.
Wobei nicht jeder gute Beitrag automatisch auch viele Leser hat. Das spielen viele Faktoren mit hinein, beispielsweise auch, wie die Konkurrenzsituation im Netz ist. Das ist wie bei den Nachrichten, wenn eine große Nachricht kommt, gehen viele anderen unter.
Coaching bedeutet auch glaubhaft zu vermitteln: Sei so wie du bist, schreibe so, wie du einem guten Freund schreiben würdest, der keine Ahnung von Daimler hat. Benutze deine eigene Sprache, die du normalerweise auch benutzen würdest, wenn du einem vertrauten Menschen eine E-Mail schreibst. Sei du selbst!
Was passiert, wenn das nicht hilft?
Wenn jemand an unsere Tür klopft, dann helfen wir ihm. Wir bitten ihn, uns ein Gerüst zu geben: „Schreiben Sie das Thema einfach mal ohne Punkt und Komma runter“, wir kriegen aus viel Text immer einen vernünftigen Beitrag hin. Aus wenig Text, wird’s schon schwieriger, denn wir wissen wir ja nicht, wie. Wir können ja keine Gedanken lesen und kennen das Thema in der Regel nicht. Mit einer längeren Vorlage können wir besser arbeiten, wir können dann den Text umstellen, Zwischenüberschriften einfügen und mit wenigen Rückfragen unklare Passagen klären.
Eine dritte, aber auch wesentlich aufwändigere Variante, ist ein Vor-Ort-Besuch, bei dem das Gespräch aufgezeichnet wird und daraus der Beitrag entsteht.
Was war bisher der erfolgreichste Beitrag?
Einer der erfolgreichsten Beiträge der letzten Jahre hieß „Schlips adé“, er drehte sich um die Kleiderordnung bei uns und wie sie sich signifikant verändert hat. Selbst auf der Hauptversammlung trägt Dieter Zetsche keine Krawatte mehr.
Im Sommer vor zwei Jahren wollte eine Praktikantin vor ihrem Weggang nochmals einen Beitrag veröffentlichen und wir haben uns auf ein Sommerthema und Garderobe geeinigt. Der Beitrag, der auch sehr viel über unsere Kultur aussagt, hat bis heute 100 Kommentare. Die Leser haben wochenlang miteinander diskutiert und dadurch unsere Kultur auf diese Weise auch nach außen getragen.
Ich habe nach erfolgreich gefragt, ohne genauer dazu zu sagen, was das Kriterium ist? …
Erfolg bedeutet in erster Linie hohe Abrufzahlen. Wenn dann die Leser in den Kommentaren das gesetzte Thema weiterspinnen und sich aneinander reiben, dann haben wir ins Schwarze getroffen.
Aber auch die hohe Anzahl der Kommentare ist ein beachtliches Resultat. Wie läuft das ab, wer kümmert sich um die Kommentare?
Im erwähnten Beitrag lief die Diskussion zwischen den beiden Fraktionen von Anzug-Trägern und Turnschuh-Fans, die Autorin musste sich da nicht einmischen. Wir schalten übrigens alle Kommentare sofort frei, es kann sein, dass wir nachträglich mal einen Kommentar löschen.
Wer antwortet in der Regel, der Autor selber?
Das kommt auf die Frage an. Wird der Autor gefragt, antwortet er direkt, wenn er unsicher ist, nimmt er Rücksprache mit dem Blog-Team. Zudem bekommt jeder Autor bei neuen Kommentaren zu seinem Beitrag eine E-Mail. So muss er nicht ständig den Kommentarverlauf im Auge behalten, denn durch die hohe Suchmaschinenrelevanz des Daimler-Blogs werden Beiträge auch noch nach Jahren kommentiert.
Ein Merkmal von Content Marketing ist, dass es nicht das Produkt, sondern die Welt darum herum ins Zentrum stellt. War das bei euch von Anfang an so oder haben sich die Themen mit der Zeit verschoben?
Auf dem Daimler-Blog geht es schon immer hauptsächlich um „Einblicke in einen Konzern“, Geschichte aus dem Arbeitsalltag unserer Mitarbeiter. Auf unserer Plattform sind die Werkstore quasi 365 Tage im Jahr geöffnet und man kann jederzeit mit unseren Autoren in Kontakt treten – direkt und auf Augenhöhe.
Das Daimler-Blog war seit dem ersten Tag darauf ausgelegt, Geschichten zu transportieren, die anderswo weniger gut funktionieren. Gerade die kleinen Geschichten, die für die klassischen Gatekeeper (Journalisten) in der Regel nicht interessant sind, funktionieren aus der Ich-Perspektive erzählt, besonders gut.
Wenn es um unsere Produkte oder die Technik dahinter geht, versuchen wir nicht das Produkt anzupreisen, sondern eine „Menschen-Geschichte“ daraus zu stricken. Beispiele dazu sind diese Beiträge:
- Vom GTI zum GT: Mein Weg als Ingenieur
- Atari + Logistik + Maschinenbau = Platooning
- V”max”-die neue Klasse
Die Themen haben sich nicht wirklich verschoben, jedoch hat im Laufe der letzten 10 Jahren der Anteil an strategischen Themen zugenommen. Wenn wir beispielsweise große Automobilmessen wie die IAA in Frankfurt oder den Autosalon in Genf haben, planen wir dazu einen Beitrag. Genau wie zu unserer Hauptversammlung, zur Jahrespressekonferenz oder zu unseren Aktivitäten auf der re:publica.
Welchen Anteil machen die Mitarbeiter bei den Lesern ungefähr aus?
Wenn wir das über die IP-Adresse messen, dann kommen wir auf ungefähr 30%. Es dürften aber mehr sein, weil wir ja aus diesen Zahlen nicht sehen, wie viele das Daimler-Blog unterwegs oder zu Hause lesen. Wir schätzen, auch gestützt auf eine Leserumfrage, die wir vor eineinhalb Jahren gemacht haben, dass es zwischen 30 und 50% sind – ja nach Thema.
Unser Blog wirkt somit auch sehr stark nach innen. Das ist aber wie erwähnt in erster Linie abhängig vom Thema, zu dem gebloggt wird. Bei den „weichen“ Personalthemen, die etwa Karrieremöglichkeiten innerhalb Daimler beschreiben, sind die externen Leser in der Überzahl. Bloggen wir jedoch zu Themen wie Kantinenessen oder Produktionsstopp geht, überwiegt der Anteil der Mitarbeiter unter den Lesern.
Die Kantine als Thema funktioniert in fast jedem Unternehmen, dass sich Daimler aber auch zu Themen wie Produktionsstopp oder Kurzarbeit auf seinem Corporate Blog Gedanken macht, ist schon bemerkenswert. Wie kam es dazu?
Das Thema wurde von einem Mitarbeiter aus der Produktion angestoßen, der sich seine Gedanken zu einem in den Medien angekündigten Produktionsstopp machte, worauf der Leiter Personal- und Arbeitspolitik der Spekulation Fakten entgegen setzte. Ein schönes Beispiel, wie offen und hierarchiefrei die Kommunikation im Unternehmen ist. Und das Daimler-Blog trägt ein kleines Stück dazu bei, diese Kultur nach aussen zu tragen.
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Im zweiten Teil erfahren Sie mehr zu Vermarktung, Nutzungsverhalten, Technologie und Konzeption.
Logisch, dass Daimler das Jubiläum auch im eigenen Blog gebührend feiert. 10 Jahre Daimler-Blog: Happy Birthday eröffnet eine Serie von Beiträgen von internen und externen Schlüsselpersonen und verlinkt gleich alle Tweets mit #DaimlerBlog10.
3 Kommentare zu “10 Jahre Daimler-Blog: 990 Mitarbeitende sorgen für relevanten Content (Teil 1)”