Das DAX30-Unternehmen Daimler betreibt seit 10 Jahren einen der führenden Corporate Blogs im deutschen Sprachraum. Konzipiert war er von Anfang an als Mitarbeiter-Blog. Im ersten Teil unseres Gesprächs hat Uwe Knaus erzählt, wie man Mitarbeitende zum Schreiben motiviert und welche Themen in der Vergangenheit besonders gut angekommen sind. Heute spricht er über Vermarktung, Nutzungsverhalten, Technologie und Konzeption des Daimler-Blogs. Und er bringt eine Checkliste, die man vor dem Blog-Launch abarbeiten sollte.
Die Mitarbeiter habt ihr als Leser sicher, die anderen müsst ihr erst finden, wie funktioniert die Vermarktung des Blogs?
Das Blog haben wir lange kaum vermarktet. In den Anfangszeiten fanden Blogleser das Blog und Texte fanden den Weg zu den Lesern. Wir hatten bereits in den Anfangszeiten ca. 1’000 RSS-Feed Abonnenten, was uns sehr erfreute. Mit dem Wachstum von Facebook und Twitter fingen wir an, die Blogbeiträge auch über unsere Corporate Kanäle auf Social Media zu teilen. Das führte zwar zu steigenden Lesezahlen, allerdings auch dazu, dass die Kommentarhäufigkeit zurückging.
Bis 2010, als Facebook in Deutschland startete hatten wir im Durchschnitt 10 Kommentare pro Beitrag. Die Varianz reichte allerdings von 0 bis 100. Das Erstarken von Facebook und Twitter und aktuell auch LinkedIn führte zu zunehmender Off-Site-Kommentierung unserer Beiträge und somit zu einem Rückgang der Kommentarhäufigkeit. Aktuell liegen wir noch bei 7 Kommentaren pro Beitrag.
Als wir vor gut zwei Jahren unser Intranet modernisierten, konnten wir auch dort die Blogbeiträge prominenter anteasern als zuvor. Dort erreichen wir allerdings nur die Menschen, die einen eigenen Rechner haben, also nicht die gewerblichen Mitarbeiter. Für diese gibt es eine App, über die sie neben dem Speiseplan auch die aktuellen Blogbeiträge ausgespielt bekommen.
Und was tun die Leser, wenn sie mal auf dem Blog sind?
Dann bleiben sie im Durchschnitt 7-8 Minuten, nehmen meist zwei Beiträge mit. Das 3:1-Verhältnis von Page Impressions zu Unique Visitors deutet sogar darauf hin, dass sie bis zu drei Beiträge pro Besuch lesen. Wenn der Content gut und interessant ist, dann bleiben sie auch und nutzen die Funktion „Themenverwandte Beiträge“ am Ende eines Beitrags.
Wenn jemand einen Blogbeitrag durchliest und dazu noch kommentiert, dann hat er im Kopf etwas verarbeitet. Das ist weit mehr als ein Like bei Facebook oder Instagram. Bei Instagram wird ja schon reines Durchscrollen von Beiträgen als Reichweite ausgegeben, hat aber mit nachhaltiger Inhaltsvermittlung recht wenig zu tun.
Das sind jetzt grosse Zahlen, haben da kleinere Corporate Blogs überhaupt eine Chance?
Daimler ist mit 280.000 Mitarbeitern ein sehr großes Unternehmen und hat sowohl viele Geschichten, als auch viele Stakeholder. Das alleine führt schon zu größeren Zahlen.
Wenn kleinere Unternehmen weniger Leser auf ihrem Corporate Blog haben, also beispielsweise nur 200 Leser pro Tag, dann sollten sie das dementsprechend einordnen. Darüber hinaus sollten sie sich die Frage stellen, wie viele Leser das Unternehmen mit den Inhalten seiner klassischen Öffentlichkeitsarbeit erreicht, die sich dann so lange mit einem Thema beschäftigen? Ein Blog bietet also grosse Chancen, auch für kleine Unternehmen.
Kommen wir von den Zahlen zu dem Menschen. Wisst ihr, wer eure Leser sind und was sie erwarten?
Seit dem Start haben wir das bislang zweimal erhoben: 2009 und 2016. Die Ergebnisse haben sich in diesem Zeitraum nicht signifikant verändert. Die aktuellen Ergebnisse kurz zusammengefasst:
Die Leser des Daimler-Blogs sind zu 71 Prozent männlich, insgesamt sind die Besucher deutlich aktiver und kreativer als der Durchschnitt der Onliner.
Unsere Leser sind jünger als man auf Anhieb denken mag. Mehr als die Hälfte der Leser sind zwischen 14 und 29 Jahre alt, 35 Prozent der Besucher zwischen 30 und 49. Somit gehören 88 Prozent der Leser der werberelevanten Zielgruppe an, die Menschen im Alter von 14 bis 49 Jahre umfasst.
Sie interessieren sich hauptsächlich für Produkte, Technologie und Innovation, aber auch für „weiche“ Themen wie beispielsweise Mitarbeiter & Gesellschaft und Einstieg & Karriere.
Wechseln wir von den Menschen zur Technologie: Ihr habt den Blog auch technisch immer wieder weiterentwickelt, seit dem internationalen Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember 2015 werden Beiträge auch via Narando vorgelesen. Was hat sich sonst noch geändert?
Stimmt, Narando ist ein Dienst aus Deutschland, bei dem echte Menschen Texte einsprechen. Siri, Alexa oder Navigationsstimmen, klingen bei längeren Texten schnell nervig. Das ist so gut investiert, wenn man bedenkt, dass der Abbruch bei maschinengesprochenen Texten schon kurzer Zeit erfolgt.
Dieser Service vergrössert allerdings die Komplexität des Veröffentlichungsprozess. Beispielsweise können eingesprochene Texte nicht mehr verändert werden, beziehungsweise erfordern eine neue Vertonung und somit höhere Kosten, falls der Autor nachträgliche Änderungen wünscht. Es lohnt sich trotzdem, denn wir schaffen einen gewissen Grad an Barrierefreiheit und Goodwill.
Seit kurzem haben wir einen Alexa Skill, man kann also Alexa sagen, sie soll unsere neuesten Blog-Beiträge vorlesen. Das bringt nicht unbedingt mehr Leser, zeigt aber, dass Daimler ein innovatives Unternehmen ist.
Und der letzte „heisse Scheiss“ ist ein Newsletter (lacht). Viele Menschen, gerade auch auf der vergangenen re:publica, haben mir gesagt, dass sie den Blog eher lesen würden, wenn sie über neue Beiträge informiert würden. Wir bieten zwar seit dem Launch auch verschiedene RSS-Feeds an, beispielsweise zu den verschiedenen Themengebieten oder zu Kommentaren und haben 1.200 Abonnenten, ich gehe aber davon aus, dass viele Beiträge in irgendeinem RSS-Reader einlaufen und dort nie gelesen werden. RSS hat sich in der Breite leider nicht durchgesetzt und ist seit der Abschaffung des Google Readers weiter auf dem absteigenden Ast.
Deshalb bieten wir seit gut einem Monat einen wöchentlichen Newsletter mit den aktuellsten Beiträgen an. Schön aufbereitet, die Beiträge mit Bild und Text kurz angeteasert unaufgeregt und unaufdringlich. Die ersten Wochen zeigen eine gute Anlaufkurve.
Hinsichtlich SEO setzen wir beispielsweise auf das Yoast-Plugin. Es hilft uns aber auch hinsichtlich einer optimierten Ausspielung auf Facebook und Twitter.
Was gibst du aus deinen Erfahrungen einem Unternehmen mit, das mit einem Blog starten will?
Es ist immer einfacher ein Blog zu starten, als es am Leben zu halten. Die meisten Blogs sind gescheitert, weil nach dem Start kein vernünftiger Content oder einfach zu wenig Beiträge. Die Bezeichnung Blog kommt von Web Logbook, also Internet-Tagebuch und dies sollte in einer bestimmten Häufigkeit mit passendem Inhalt befüllt werden.
Man sollte man sich vor dem Launch einige grundlegende Gedanken machen:
- Herrscht eine offene Unternehmenskultur vor, die transparentes Bloggen zulässt?
- Gibt es genügend Geschichten zu erzählen?
- Wie viele Beiträge sollen pro Woche erscheinen?
- Wer verfasst die Beiträge? Mitarbeiter, PR-Abteilung oder externe Autoren?
- Wie steht das Management zu dem Projekt?
- Gibt es einen Betriebsrat, beziehungsweise ist er eingebunden?
- Gibt es klare Spielregeln wie beispielsweise Blogging Guidelines oder Kommentarrichtlinien?
- Unter welcher URL läuft der Blog?
- Wie verzahnt man es mit der Corporate Website, beziehungsweise mit dem ganzen Online-Konstrukt?
- Wie unterscheidet es sich von der Website, von Pressemitteilungen oder einem Online Magazin?
- Wie werden die Blogbeiträge vermarktet?
- Wie wird der Blog kommuniziert?
Ich glaube, dass man erstmal mit zwei Beiträgen pro Woche ganz gut durchkommt, als absolutes Minimum muss es einer sein, der muss dann auch richtig gut sein. Leser gewöhnen sich schnell an einen Rhythmus. Erhöht man die Veröffentlichungsfrequenz, heißt das noch lange nicht, dass in gleichem Maße auch mehr Leser kommen. Ballert man zu viel raus, kann es den Besucher schnell überfordern und man verliert ihn möglicherweise. Blogs sind schließlich keine Newsportale.
Hier ist ein gutes Fingerspitzengefühl gefragt, welches Angebot und Nachfrage sensibel ausbalanciert, damit die Kosten den Nutzen nicht übersteigen.
Gibt es über diese Rahmenbedingungen hinaus, noch andere Faktoren zu beachten? Wie sollten beispielsweise Texte verfasst sein, wie geht man an Themen ran?
Die Beiträge dürfen unter keinen Umständen PR- oder Marketingtexte sein. Wo Blog drauf steht, muss Blog drin sein, denn Leser merken ganz schnell, wenn ihnen umgeschriebene Pressemitteilungen angeboten werden. Das machen sie ein oder auch zweimal mit und sind dann weg. Und dann ist es wie mit Kunden: Sie zu halten ist immer einfacher, als einen verlorenen wiederzugewinnen. (grinst)
Blog-Content muss nicht unbedingt High End sein. Bloggen kommt, wie schon erwähnt, vom Tagebuchschreiben. Gefühle, Eindrücke oder Gedanken spielen dort eine große Rolle, dies angereichert mit Fakten, das punktet.
High End findet ja auch meist auf der Corporate Website statt. Die beiden müssen sich ergänzen: Wie der grosse Bruder mit der kleinen Schwester an der Hand, die immer etwas nach links oder rechts springt und auch mal bremst oder nach vorne brescht. Das Blog darf anders sein.
Hast du auch ein paar Tipps zur technischen Umsetzung?
Ja, Inhalt und Gestaltung sollten Hand in Hand gehen, die Technik gibt den letzten Kick. Wir haben uns entschieden, die aktuellsten Themen auf einer Art Bühne zu zeigen. Bilder sind wichtig, denn sie ziehen den Leser in den Beitrag. Die Bühne haben wir dann noch mit einem Thema angereichert, das wir empfehlen. Das kann dann auch mal länger stehen bleiben und wird nicht von neuen Beiträgen aus dem Sichtfeld verdrängt.
Ich glaube an WordPress als Blog-Plattform führt heute kein Weg mehr dran vorbei. Zum Start 2007 war WordPress lediglich eine von drei stark verbreiteten Alternativen. Dass sie quasi zum Standard wird, konnten wir damals nicht ahnen. Heute läuft jede 4. Webseite auf dieser Open Source Plattform.
Um eine Verknüpfung innerhalb der Blogosphäre zu verstärken, eignet sich neben der Blogroll auch die Trackback-Funktionalität. Der Einsatz von Trackbacks ist zwar in den letzten Jahren etwas zurückgegangen, es handelt sich aber immer noch um ein wichtiges Feature, um mit anderen Blogs zu kommunizieren und Google zu zeigen, dass man „wichtig“ ist. Trackbacks sinnvoll eingesetzt, führen am Ende zu den für die Auffindbarkeit wichtigen Backlinks.
Du hast jetzt unglaublich viel von deiner Erfahrung geteilt, gibt es noch eine letzte Anmerkung, bevor wir zum Schluss kommen?
Ja, da wir hier gerade an der Hochschule in Darmstadt sind, möchte ich ein sehr wertvolles Projekt nicht auslassen. Vier Studierende des Studiengangs „Online-PR/Online-Journalismus“ und ihr Professor, Thomas Pleil, haben uns beim Start genau auf die Finger geschaut und wertvolles unabhängiges Feedback gegeben. Wir nutzten dazu eine Art Watchblog, auf dem wir uns in geschlossener Umgebung austauschten. Mit an Bord waren der technische Dienstleister und ein externer strategischer Berater. Die Studierenden haben alle Beiträge unter die Lupe genommen und sie kommentiert: Sind die Einträge qualitativ gut? Enthalten sie zu viel PR? Woher kommen die Kommentare? Wie ist die Tonalität in den Kommentaren? Zieht das Blog Trolle an? Das waren nur einige der Fragestellungen, die dort erörtert wurden.
Diesen Tipp kann ich nur weiter geben: Lasst euer Blog schon in der Startphase durch eine externe Agentur oder eine Hochschule beurteilen, das gibt wertvolles objektives Feedback. Als Betreiber eines Blogs ist man nicht ganz vor einer subjektiven Betrachtung seines Projekts gefeit.
Ich danke Uwe Knaus für die Zeit, die er sich für dieses Gespräch genommen hat. Und ganz besonders für die transparente Information über Erfolge und Erfahrungen, die für uns Berufskollegen sehr wertvoll sind.
Ein Kommentar zu “10 Jahre Daimler-Blog: Vermarktung, Nutzung, Technologie, Konzeption (2/2)”