Netzgemüse – Aufzucht und Pflege der Generation Internet

Wie packt man es an, dass Digital Natives nicht naiv ins Internet aufbrechen? Was können Eltern zum Aufbau der viel diskutierten „Medienkompetenz“ ihrer Sprösslinge beitragen? Darüber sprechen Tanja und Johnny Haeusler in ihrem Buch und sie tun dies in erster Linie aus ihrer Perspektive als Eltern von zwei halbwüchsigen Jungs. „Wie die meisten anderen Eltern empfinden auch wir die Aufzucht und Pflege dieser digitalen Generation, die wir für dieses Buch liebevoller „Netzgemüse“ nennen wollen, als erzieherische Herausforderung, die viele Fragen mit sich bringt.“ Das Autorenpaar gehört seit 2007 zum Gründungs- und Veranstaltungsteam der re:publica, einer der für mich wichtigsten europäischen Konferenzen für Online-Medien und die digitale Gesellschaft, an der ich auch 2013 wieder teilnehme.

Netzgemuese von Johnny Haeusler
Netzgemuese von Johnny Haeusler

Das Paar erzählt offen, ehrlich aber auch enorm humorvoll und dadurch kurzweilig über die Internet-Erfahrungen mit und von seiner Brut – ohne jedoch jemals etwas Näheres über die beiden Sprösslinge zu verraten. Auch das ist Medienkompetenz, wie ich sie notabene bei vielen Eltern vermisse, die ihre Säuglinge und Kleinkinder stolz bei Facebook & Co. zur Schau stellen. Aber darum geht es hier nicht. Oder eben doch. Denn wie Kinder das Internet für sich erobern können ohne Schaden zu nehmen, sollten sie zuallererst zu Hause lernen. Sie brauchen Eltern, die hinschauen, erklären, sich engagieren, begleiten und irgendwann auch loslassen können. Das sollte so selbstverständlich sein, wie die elterliche Begleitung in den ersten Kindergartentagen auf dem Schulweg.

Von engagierter Begleitung, von der Spannung zwischen Festhalten und Loslassen handelt das ganze Buch. Es ist kein Ratgeber mit einer Checkliste, die uns zu guten Eltern macht, wenn wir in jedes Kästchen einen Haken gesetzt haben. Es ist eine herzliche Einladung einer Familie, an ihren Erfahrungen teilzuhaben. Tanja und Johnny Hauesler haben kein Buch darüber geschrieben „wie man es richtig macht“, sondern wie sie sich an die für ihre Familie passenden Lösungen herangetastet haben, sei dies bei der Eröffnung des ersten Facebook-Profils (gibt es dafür den richtigen Zeitpunkt?) oder die Regelung der Spieldauer von Games. Das Buch deckt alle relevanten Themen ab, vom Internet als Lebensraum mit einem näheren Blick auf YouTube und Facebook, bis hin zur grossen Welt der Online-Spiele und die Herausforderung für alle Beteiligten mit dem Umgangs mit Smartphones. Natürlich fehlen auch Tabu-Themen nicht, und wie sich das liest, zeigen die Autoren in einem Probekapitel (und hier gibt’s noch mehr zu lesen).

Tanja und Johnny Haeusler sagen auf fast 300 Seiten Vieles, was sie aus dem häuslichen Alltag in die Realität des Webs übertragen. Diese Zitate haben es mir besonders angetan:

  • „Virtualität ist nicht die Abwesenheit von Realität, sondern von Körperlichkeit, und Emotionen lassen sich nicht wegklicken.“
  • „Unsere Freiheit hört dort auf, wo die Geschäftsbedingungen der Betreiber anfangen“.
  • „Wir alle werden zu Identitätsmanagern im Internet“.
  • „Doch ein Zurück in eine Welt vor dem Internet und vor Facebook gibt es nicht mehr. Es nützt daher wenig, sich gegen eine Welt mit Internet zu wehren, stattdessen sollten wir uns mit ihr beschäftigen, sie kennen(lernen), sie aktiv zum Besten formen und uns gemeinsam mit unseren Kindern: kümmern“.
  • Und zu Auseinandersetzungen bei Online-Games: „Statt ‚Tim hat meine Sandburg kaputt gemacht!’ hiess es nun ‚darkrobot96 hat unseren Wasserfall zerstört!’ Doch die Tränen und die Wut waren die gleichen.“

Das Buch vermittelt zahlreiche Erfahrungen und daraus abgeleitet auch die Learnings, aus denen der Leser seinen Teil davon ableitet. Die beiden haben gemeinsam den Mut, ihre beiden Jungs laufen zu lassen, aber nicht ohne sie aus den Augen zu verlieren. Und auch wenn die Freiheit im Netz scheinbar grenzenlos ist, so geht es nicht ohne Regeln – einerseits von den Eltern gesetzt – aber auch durch die Netzgemeinde. Sie haben eindrücklich beschrieben, wo ihre Söhne an Grenzen stiessen und sich selber einen Rahmen schufen, indem sie in ihrer Community Regeln aufstellten und durchsetzten.

Das Autorenpaar versucht Strategien aufzuzeigen und Mut zu machen, was ihm bei jenen Eltern gelingen dürfte, die gegenüber dem Thema Kids im Internet schon relativ aufgeschlossen sind. Skeptiker, die schon die Nase rümpfen, wenn sie das Wort Facebook nur schon hören und kategorisch auf Abwehr eingestellt sind, werden es schwerer haben, einen Nutzen aus dem Buch zu ziehen. Ihnen empfehle ich die Lektüre der vielen Analogien aus dem Alltag, die mich immer wieder zum Schmunzeln und stillen Kopfnicken gebracht haben. Oder um es mit den Worten von Tanja und Johnny Haeusler in den letzten Zeilen ihres Werks zu sagen:

„Wir sind Eltern. Für uns gibt es nicht die digitale Generation, für uns gibt es Töchter und Söhne, die wir lieben und die wir ebenso lange kennen wie sie uns. Eine Gemeinsamkeit, aus der sich bei gegenseitigem Respekt und Interesse etwas machen lässt. Also: Machen wir’s!“

Netzgemüse: Aufzucht und Pflege der Generation Internet (auch als Kindle Edition )
Tanja und Johnny Haeusler
Taschenbuch: 288 Seiten
Verlag: Goldmann Verlag (19. November 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3442157439
ISBN-13: 978-3442157433
Preis: EUR 9,99 (Angabe ohne Gewähr)

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