Wenn das Jahr geht zu Ende geht, feiern Beiträge mit Trends für das kommende Jahr Hochkonjunktur. Leider bleiben viele dieser Prognosen meist ohne jegliche Einordnung. Sie suggerieren, gesichert zu verkünden, was kommendes Jahr tonangebend ist. “Our Trends Aren’t Trendy”, schreibt dagegen das Future Today Institute (FTI) im Vorwort des 2019 Trend Report For Journalism, Media & Technology. Das FTI hat es sich zur Aufgabe gemacht, Entwicklungen aufzuzeigen, einzuordnen und zu gewichten. Dazu gehört auch die Information, wie viele Jahre ein Trend bereits auf der Liste steht. Das gefällt mir.
Aus den 108 Trends auf 155 Seiten habe ich vier ausgewählt, von denen ich denke, dass sie auch für Unternehmen und Organisationen ein Thema sind. Alle Folien sind am Ende dieses Beitrages verlinkt.
Weitblick statt Tunnelblick
Der 2019 Trend Report deckt viele verschiedene Themen und Bereiche ab, denn die Zukunft von Journalismus, Medien und Technologie wird von unzähligen Abhängigkeiten beeinflusst.
You cannot know the future of your field without looking broadly.
Dazu ergänzen die Herausgeber: “Für eine sinnvolle Planung der Zukunft müssen Unternehmen aktiv auf Signale hören und nicht reflexartig auf Strömungen reagieren.” Für die Erhebung der Trends arbeitet das FTI mit den folgenden zehn Themenfeldern:
Die Erhebung von Trends sollte idealerweise nicht einmal erfolgen, so wie hier gegen Jahresende, sondern als fortlaufender Beobachtungsprozess verstanden werden – “Every organization should continuously monitor weak signals, track emerging trends and develop strategy for the future.” Darum gibt der 2019 Trend Report auf den ersten Seiten auch eine Anleitung, wie Unternehmen Trends und Signale überwachen können:
108 Trends im Überblick
Die Gefahr, sich in der Fülle der Trends zu verlieren, ist natürlich gegeben. Der Report ist nicht dafür gemacht, von vorne nach hinten gelesen zu werden. Das Inhaltsverzeichnis gibt mit der Gliederung nach Schwerpunkten eine gute Orientierung. Stöbern können Sie zu folgenden Themen (Foliennummer in Klammer):
- Künstliche Intelligenz (19)
- Computational Journalism (38)
- Blockchain-Technologien (44)
- Interfaces (68)
- Teaching and Newsroom Training (76)
- Publishing and Distribution (79)
- Mixed Reality und Video (94)
- Wearables (107)
- Hardware (112)
- The Media Business (120)
- Policy and Regulation (129)
- Security and Privacy (135)
Die wichtigsten Trends sind einheitlich in sechs Elemente gegliedert und erlauben so einen schnellen Überblick:
- Key Insight: Kurze, einfache Erklärung des Trends.
- Beispiele: Anwendungsbeispiele aus der Praxis
- What’s next: Was dieser Trend im kommenden Jahr bedeutet. Auch die Trends im Bereich Journalismus und Medien sind für Unternehmen und Organisationen relevant.
- Watchlist: Organisationen und Interessengruppen, die am stärksten vom Trend betroffen sind.
- Jahre auf der Liste: Die Anzahl Jahre sind ein Indikator dafür, wie sich der Trend entwickelt.
- Action Meter: Eine leicht verständliche Grafik, die in vier Feldern anzeigt, wo sich der Trend befindet. Zwischen geringer und hoher Wahrscheinlichkeit und zwischen sofortiger Wirkung und längerfristigen Auswirkungen.
Der 2019 Trend Report For Journalism, Media & Technology erscheint zum zweiten Mal als Auskoppelung des Tech Trends Report 2018, der seit 11 Jahren publiziert wird.
Drei Game Changer
Das Management Summary nennt drei Trends, die im gesamten digitalen Ökosystem zu Veränderungen führen, bei Geräten, Plattformen und Anwendungen:
- Das traditionelle Smartphone wird abgelöst durch Smart Wearables
- Blockchain soll schon 2019 zum starker Treiber für Veränderungen werden.
- Künstliche Intelligenz (KI) eröffnet die dritte Computer-Ära.
2018 markiere den Anfang vom Ende der traditionellen Smartphones. Kommunikations- und Anschlussgeräte werden zunehmend mit Stimmen, Gesten und Berührungen gesteuert. Der Übergang von Smartphones zu Smart Wearables und unsichtbaren Schnittstellen bringt eine grundlegende Veränderung in unseren Alltag. Genannt werden als Beispiele Ohrhörer mit biometrischen Sensoren und Lautsprechern; Ringe und Armbänder, die Bewegung wahrnehmen, oder intelligente Brillen. Bildschirme werden nicht ganz verschwinden, aber auch sie verändern sich und Samsung arbeitet bereits seit einiger Zeit an einem faltbaren Smartphone.
Die Blockchain war schon dieses Jahr ein grosses Thema, doch 2019 entwickelt sie sich zu einem wichtigen Treiber des Wandels. Weil das Ökosystem für Medien- und Journalismus-Organisationen enorme Entwicklungsmöglichkeiten eröffnet, wird dem Thema im vorliegenden Report viel Platz eingeräumt. Verschiedene Szenarien und ein eigenes Glossar sollen das Thema fassbar machen.
Künstliche Intelligenz bezeichnet der Report nicht als technischen Trend, sondern als die dritte Ära des Computings. KI (meist ist die Rede von AI, für Artificial Intelligence) wird kontrovers diskutiert. Da ist einerseits schier grenzenloser Optimismus gepaart mit überhöhten Erwartungen. Anderseits grassiert eine grosse Angst vor dem Konzept der KI, weil zu wenig klar ist, was sie in unserem Alltag bedeutet und wie sie sich entwickeln wird.
Haben Sie gewusst, dass zwischen zwei Arten von künstlicher Intelligenz unterschieden wird? Schwache KI ist spezialisiert auf ein Gebiet, beispielsweise als Spam-Filter, als Sprachassistent wie Siri oder als Schachcomputer. Starke KI übertrifft inzwischen die menschliche Intelligenz auf engen Spezialgebieten. Deep Learning hat schon erstaunliche Resultate gebracht. Ich nutze zum Beispiel regelmässig DeepL, eine Online-Plattform für maschinelle Übersetzungen. Probieren Sie es aus, Sie werden staunen! Bei der Recherche bin ich auf dieses hochinteressante Erklärvideo gestossen. Haben Sie noch 5 Minuten Zeit? Dann schauen Sie es sich an.
Doch nun zu den Trends: Ich habe aus der Fülle jene vier gewählt, von denen ich denke, dass sie auch für die Unternehmenskommunikation ein Thema sind. Dabei geht es um Sprache, Personifizierung und die Erreichung von Nischen.
Vier ausgewählte Trends
Wenn Sie jetzt gähnen, dann kann ich Sie ein Stück weit verstehen. Schliesslich sind sie mittlerweile Teil unseres Mainstream-Vokabulars geworden. Im Journalismus haben Newsrooms rund um die Welt Chatbots im Einsatz. Als Beispiel genannt wird im Report ein Erdbeben-Tracking-Bot für die blitzschnelle Information über Erderschütterungen. Aber auch Wettervorhersagen, Sportresultate oder Unternehmensberichte (z.B. bei Bloomberg) gehören bereits zu den Klassikern. Zu den Abstimmungen vom 25. November hat der Tages-Anzeiger den Roboter Tobi ins Rennen geschickt: Er hat noch am Wahlsonntag Resultate “von Allschwil bis Zernez” ausgespuckt.
2019 werden wir auch von Unternehmen mehr und vor allem noch bessere Chatbots sehen, die auf Nutzeranfragen intelligent und immer natürlicher antworten. Meine Hoffnung ist, dass sie die ewig überlasteten Hotlines vieler Dienstleister bald Geschichte werden lassen. Kürzlich hat übrigens Microsoft angekündigt, eine Open-Source-Lösung an den Start zu bringen, die es Unternehmen leicht macht, eigene Bots zu entwickeln.
Dass Bots auch missbraucht werden, um gerade in sozialen Netzwerken wie Twitter und Facebook Falschinformation zu verbreiten und Wahlen zu manipulieren, macht sie aber auch zu einem kontroversen Thema. Auch die Transparenz gibt Anlass zu Diskussionen Anlass: Müssen Beiträge mit Roboter- und Datenjournalismus gekennzeichnet werden, wann und wie? Bots müssen sich in der breiten Masse ihre Akzeptanz erst erwerben. Das gelingt dann am besten, wenn sie möglichst einfach zur Problemlösung beitragen – und Facebook & Co. glaubwürdig darlegen, dass sie den Missbrauch im Griff haben.
Spielt Alexa auf Zuruf schon Ihre Lieblingsmusik? Oder sagt Ihnen Siri, dass es Zeit ist, aus dem Haus zu gehen, weil Ihr Zug bald fährt? Dann sind Sie schon mitten drin in den Voice Interfaces. Die Erkennung von natürlicher Sprache spielt in unserem Alltag eine immer grössere Rolle.
Daimler macht schon seit Sommer 2017 möglich, dass man sich Blogbeiträge mit einem Alexa-Skill vorlesen lassen kann. Der Report sagt denn auch nochmals ein enormes Wachstum über die kommenden Jahre voraus. Allerdings ist noch unklar, inwieweit die DSGVO (GDPR) Unternehmen bei der Nutzung der Sprachtechnologie ausbremst. Schliesslich sollen mit Vorschriften die Daten eingeschränkt werden, welche Unternehmen von Verbrauchern sammeln und nutzen können. Ob Alexa und Google Home die GDPR-Anforderungen erfüllen können, wird noch immer diskutiert und ist alles andere als klar. Auf den Ausgang der Diskussion darf man gespannt sein.
Unternehmen dürfen sich aber trotzdem schon einmal in Position bringen und ihre Texte auch für das gesprochene Wort fit machen. Denn ob Sie für den Blog schreiben oder Hörtexte verfassen, sind schon zwei verschiedene Paar Schuhe.
Suchmaschinen wie Google, Bing oder DuckduckGo bringen Resultate zu allem, was es im Internet in geschriebener Form gibt. Mit Audio-Suchmaschinen lassen sich mittlerweile auch Informationen in reinen Audioinhalten suchen und finden. Wenn Unternehmen Podcasts veröffentlichen, verfassen sie dazu Shownotes mit den wesentlichen Inhalten. Allerdings leisten diese noch lange nicht, was ein Transkript bringen würde, nämlich die Volltextsuche. Hier schafft Spaactor Abhilfe, eine Audio-Suchmaschine, welche Videos und Podcasts durchsucht. Sie bringt sekundenschnell Resultate mit der genauen Angabe, wo sich das Gesuchte in der Aufnahme befindet. Das Argument, auf Podcasts zu verzichten, weil sie linear und nicht durchsuchbar sind, verfängt also nicht mehr. Mit der Audio-Suche wird selektives Anhören genauso möglich wie selektives Lesen.
Newsletter, Podcasts und Nischennetzwerke, die ein kleineres Publikum ansprechen, erleben gemäss dem Report eine Renaissance. Darum gilt für One-To-Few Publishing: Jetzt handeln! Im nächsten Schritt geht es darum, das Nischenpublikum noch besser zu erreichen. Neuere Plattformen ermöglichen es Inhaltsentwicklern zudem, ein kostenpflichtiges Abonnementmodell einzubauen. Erste Entwicklungen zeigen, dass Menschen bereit sind, zu bezahlen für Inhalte, die sie besonders interessieren. Der Report nennt Revue und Substack, welche beide ein Angebot für bezahlte Newsletter anbieten, Analysen, Zahlungsverkehrsdienste und Vorlagen inklusive.
Ich vertrete die Meinung, dass guter und relevanter Content seinen Wert hat. Darum habe ich den Social Media Watchblog, den Martin Fehrensen herausgibt, kostenpflichtig abonniert. Er versorgt mich zweimal pro Woche mit fundierten Informationen und Einordnungen. Darüber hinaus ist der Social Media Watchblog für seine Leserinnen, lies Community, auch über einen Slack-Kanal erreichbar. Dass dieses Format auf Interesse stösst, zeigt die erfreuliche Entwicklung des Membership-Modells.
Der 2019 Trend Report erwartet, dass sich immer mehr Nischen-Netzwerke entwickeln werden. Das ist zwar einerseits eine grosse Chance, mit einer kleinen Teilöffentlichkeit eine starke Bindung einzugehen. Was bleibt, ist die grosse Herausforderung, herauszufinden, welche Themen auf Resonanz stossen und diese so zu spielen, dass sie eine Community auf Dauer binden. Unternehmen können es sich leisten, das ohne Bezahlabo zu machen – allerdings können sie den Zugang zum Netzwerk auch durchaus als Benefit verkaufen.