Immer öfter bringen sich Unternehmen und Marken ins öffentliche Netzgespräch ein: Damit tun sie eigentlich das Richtige. “Sie bringen sich ins Gespräch und nutzen die geballte Kommunikationskraft.”, schreibt Adrienne Fichter in ihrem privaten Blog und holt dann im gleichen Beitrag aus, um sich Luft zu verschaffen. Denn eigentlich sind der Social-Media-Redaktorin bei der NZZ diese Aktivitäten von Unternehmen doch eher suspekt. Aber sie geht auch mit den Bloggern ins Gericht, die sich an ihren (gemäss Szenenjargon) “Klassentreffen” von Firmen bewirten lassen und dafür auf Twitter mit Gratis-Werbung für den Gastgeber nicht geizen. Noch schwieriger wird die Lage – und die damit verbundene Diskussion – wenn Blogger gegen Bezahlung für die Organisation solcher Veranstaltungen als Klassensprecher andere Teilnehmer anheuern und dabei die Transparenz vermissen lassen.
Nachdem sich die Diskussion über die vergangenen Wochen in verschiedenen Medien entfacht und die Gemüter erhitzt hatte, trafen sich diese Woche über 40 Interessierte im Zentrum Karl der Grosse in Zürich. Ziel: Eine offene Diskussion über Blogger Relations. Zustande kam das, was im Zusammenhang mit dem Anlass bei search.ch unter anderem in der NZZ moniert wurde: Ein “Blogger-Klassentreffen“, mit dabei auch diverese PR-Berater und eine Handvoll Journalisten. Auch ohne Bier und Häppchen dafür bei stillem und leisem Wasser wurde angeregt diskutiert.
Auf dem Podium waren neben Adrienne Fichter auch Markus Maurer (@kusito) und Kevin Kyburz (@swissky). Alle drei dürfen sich, wie in der Einladung vermerkt, zu den digitalen Multiplikatoren zählen. Dass Unternehmen auf solche Influencer heiss sind und sie gerne für sich gewinnen wollen, liegt auf der Hand. Zum Thema, wie man Influencer findet, habe ich im Rahmen der Blogparade von Brandwatch bereits geschrieben. Im Zentrum der Diskussion standen die Fragen:
- Kann eine Berichterstattung auf Basis einer Event-Einladung oder eines Geschenkes überhaupt neutral sein?
- Wie gehen Unternehmen mit kritischen Artikeln um?
- Muss der Umgang mit dem Thema in irgendeiner Form geregelt werden?
- Sind Blogger oder die einladenden Unternehmen in der Pflicht, Transparenz zu schaffen?
- Sollen für Medienschaffende die gleichen Richtlinien gelten?
Moderiert hat den Abend, bei sehr aktiver Beteiligung des Publikums, PR-Berater Daniel Frei.
Viel wurde diskutiert über den Unterschied zwischen Bloggern und Journalisten, von ungleich langen Spiessen war die Rede, von Grabenkämpfen zwischen Journalisten und Bloggern, vom Missbrauch von Bloggern für unternehmerische Zwecke. Wechselnde Perspektiven und abgerissene Argumentationsketten machten eine systematische Einordnung schwierig und schon bald hatten die Anwesenden den Eindruck, dass sich die Debatte im Kreis dreht. Auf den Punkt gebracht hat es ein Teilnehmer in der hintersten Reihe, der per Zufall in die Runde geriet:
Hier war ein Offline Typ und er hat es 1.5h mit uns ausgehalten. Gelernt hat er nichts. Das sagt alles über diesen Abend. #BloggerDialog
— Claudio Schwarz (@purzlbaum) 24. September 2014
Im Westen also nichts Neues? Im Prinzip nicht, aber eigentlich ja auf eine Weise schon. Denn wie bei allem, was sich Online abspielt, bilden Erfahrung und gesunder Menschenverstand die Grundlage. Vieles, was sich in der Medienarbeit über die Jahre als gute Praxis bewährt hat, kann auch für den Umgang mit Bloggern angewendet werden. Aber es geht nicht ohne Reflexion und Anpassungen an die besonderen Bedürfnisse. Die Diskussion wurde tags darauf auf Twitter und mehreren Blogposts fortgesetzt. Ich greife hier einige Elemente auf:
Die Frage der Neutralität
Wer verlangt von einem Blogger, der als Privatperson aus eigenem Antrieb und Interesse in die Tasten greift, Neutralität? Ich bin der Meinung, dass Blogger – im Gegensatz zu Journalisten – die Freiheit geniessen, ein Thema aus ihrer eigenen Perspektive, in ihrem eigenen Stil für ihre ganz spezifische Zielgruppe zu beleuchten. Damit setzen sie einen Gegenpol zum geschliffenen Unternehmenssprech (These 14 im Cluetrain-Manifest lässt grüssen), aber auch zu Beiträgen in klassichen Medien, die einer breiteren Öffentlichkeit verpflichtet sind. Das entbindet sich nicht davon, sich an rechtliche Grundlagen zu halten und an Werten und Normen zu orientieren.
Die Frage der Instrumentalisierung
Reicht eine Einladung zu einem Event und ein guter Abend im Kreise von alten Online-Bekannten zur Instrumentalisierung eines Bloggers? Verpflichtet ein Geschenk dazu, in eine Lobes-Hymne zum Produkt auszubrechen? Dominik Allemann schreibt im Bernet Blog: “Es gibt kein Müssen”. Zum Swisscom Event ging ich, weil ich wissen wollte, wie andere so einen Anlass aufgleisen. Ich habe zugehört, konsumiert – und nichts gebloggt. Das ist die Freiheit eines Bloggers. Andere haben frisch von der Leber ihre ersten Eindrücke zur App getwittert, wegen Performance-Problemen auch eher kritisch. Auch das ist die Freiheit von Bloggern. Adrienne hat in der offenen Diskussion angemerkt, dass zwar Viele über search.ch getwittert, aber kaum jemand gebloggt habe. So, where’s the beef? Wenn eine Information für den eigenen Blog nicht relevant ist, dann schafft sie es nicht rein. So einfach ist das. Und das entscheidet jeder für sich selber. Teils über den Kopf. Teils über den Bauch – den man trotz gefütterten Häppchen nicht unterschätzen sollte.
Die Frage der Transparenz
Die Frage nach den Geschenken lässt aufhorchen. Noch mehr der Hinweis auf Bezahlung. Schon in der Medienarbeit (und nicht nur dort) stellt sich die Frage, bis wann ein Geschenk eine Aufmerksamkeit ist und wo die Bestechung anfängt. Bezahlte Beiträge, Gastbeiträge, Advertorials oder Tests, die mit geschenkten Produkten zustande gekommen sind, müssen meiner Meinung nach klar gekennzeichnet werden. Und zwar am Anfang des Artikels. Auch ein Blogger ist es seinen Lesern schuldig kommerzielle Zusammenhänge aufzuzeigen. Zur Transparenz gehört auch die Deklaration der Quellen mit Verlinkungen, gerne auch mal verbunden mit einem lobenden Hinweis. Das Web ist kein Selbstbedienungsladen, es ist ein Geben und Nehmen. Wenn andere sich nicht an Regeln der Transparenz halten und ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen, dann ist das noch lange keine Legitimation, es ihnen gleich zu tun. In den sozialen Medien funktioniert Vieles über me too. Aber das bitte nicht!
Die Frage der Absicht
An der offenen Diskussion wurde immer wieder angemerkt, den Unternehmen gehe es nur um Reichweite. Allein der Begriff macht gierig. Aber was umfasst er? Wie weit ist sie denn, diese Reichweite? Wer wird erreicht? Mit welcher Wirkung? Und was ist die Halbwertszeit einer Meldung? Der Hinweis, dass die beiden in der Debatte am meisten diskutierten Events von Swisscom und search.ch auch dazu dienen sollten, Feedback einzuholen, verklang praktisch ungehört. Ich würde sogar soweit gehen zu behaupten, dass die kritischen Geister in der Runde ihnen diese Absicht im Stillen sogar abgesprochen haben. Am Swisscom-Event war ich selber dabei: An aufmerksamen Mitarbeitern, die gespannt die ersten Gehversuche auf der iO App mitverfolgt und mitbesprochen haben, hat es nicht gefehlt. Und werft ihnen jetzt nicht vor, dass es nur darum ging, dass 50 Blogger sich die App aufs Smartphone laden, sowas bekommt man mit weniger Aufwand.
Die Frage der Öffentlichkeit
Adrienne Fichter stört sich daran, dass sich Social-Media-Begeisterte an einem Firmen-Anlass dazu hinreissen lassen, “in aller Öffentlichkeit” darüber zu twittern. Von welcher Öffentlichkeit ist denn hier die Rede? Die meisten Blogger in der Schweiz erreichen eine persönliche Öffentlichkeit und – verglichen mit anderen Medien – in der Mehrheit eine absolut überschaubare Reichtweite. 2009 habe ich, gestützt auf Fachliteratur, dazu geschrieben: “Unter persönlicher Öffentlichkeit sind diejenigen verteilten Konversationen zu verstehen, die über Themen von vorrangig persönlicher Bedeutung geführt werden. Öffentlichkeit per se ist dabei jedoch nicht mit gesellschaftlicher Relevanz gleichzusetzen (wie im professionell betriebenen Journalismus). Im Social Web bedeutet Öffentlichkeit die potentielle Zugänglichkeit für alle interessierten Personen, selbst wenn dies nur eine kleine Gruppe ist.” Unternehmen tun darum im Umgang mit Bloggern gut daran, sie nicht nur als Multiplikatoren sondern als wertvolle Gesprächspartner für Feedback und die weiter Entwicklung von Ideen aufzubauen.
Die Frage der Richtlinien
Braucht es nun für Blogger-Richtlinien? Ein Blogger Manifest ist in Arbeit, allerdings derzeit noch im Status “Baustelle”. Da steht noch viel Arbeit an. Eigene Richtlinien, wie sie verschiedene Blogger für sich gemacht haben, sind zwar löblich, werden aber wenig Glaubwürdigkeit erlangen. Wenn Richtlinien für Blogger (wenn auch nur als Gentlemens Agreement) tragfähig werden sollen, braucht es einen Konsens auf breiterer Ebene. Sie müssen einer Mehrheit bekannt, durch die Praxis sanktioniert und von der Szene kontrolliert sein. Sonst werden sie zu Papier-Tigern (oder wie auch immer die digitale Entsprechung dazu heisst.). Eine Basis gelegt wurde bereits 2005 mit den sechs Grundsätzen von Fairblogs. (Danke an @purzlbaum für den Hinweis):
- «Ich akzeptiere das geltende Recht.»
- «Ich blogge mit Respekt.»
- «Ich zeige Dialogbereitschaft.»
- «Ich deklariere Gerüchte.»
- «Ich deklariere kommerzielle Interessen.»
- «Ich deklariere Quellen und Zitate.»
Damit lässt es sich für’s Erste doch schon mal ganz gut leben. Journalisten sind übrigens ebenfalls mit Rechten und Pflichten eingedeckt. Die Diskussion über gleiche Rechte und Pflichten muss in einem grösseren Zusammenhang geführt werden.
Aber eigentlich stehen ja auch die Unternehmen mit ihrer Praxis in der Kritik. So wie PR-Schaffende lernen, wie sie mit Journalisten und Medien umgehen, so sollten sie auch die Regeln zu den Blogger-Relations beherzigen. Die Hamburger Kommunikationsagentur Achtung! hat dazu einen Kodex entwickelt. Er für Agenturen und Unternehmen gleichermassen gültig und wir empfehlen ihn auch unseren Lesern in PR im Social Web. Spielregeln sind nötig. Werden sie gebrochen, gibt es Unstimmigkeiten oder gar Ärger. Weiter möchte ich hier für den Moment nicht gehen.
Die Stimme aus dem Wissenschaftsbetrieb
Adrienne Fichter und Kevin Kyburz erläutern die Thematik im Medientalk vom 27. September auf SRF 4: «Influence Marketing» – brauchen Blogger Guidelines? Ab Minute 37 erdet Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften die Diskussion. Er begrüsst einen solchen Code of Conduct ausdrücklich, weil er dazu beitragen kann, Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Transparenz zu schaffen – so er denn befolgt wird. Er gibt aber zu bedenken: “Allein dadurch, dass man sich an ein solches Manifest hält, wird ein Blogger noch lange nicht zum Journalisten.”. Er bekennt sich zum unabhängigen Journalismus, der eine Vielfalt bietet und dafür bürgen soll, dass sich keine Fankultur durchsetzt, die Marketing macht. Ein Manifest kann dazu beitragen, stärker zu professionalisieren und Grenzen zu ziehen.
Alle diese Fragen zeigen, dass es noch einiges zu klären gibt. Am gefährlichsten sind die Themen von denen gedacht wird, “dass doch sowieso alles klar ist” oder dass es sich um “alten Wein in neuen Schläuchen” handelt, denn dann findet der nötige Diskurs nicht statt. Darum ein grosses Dankeschön an Adrienne für ihre Beharrlichkeit! Ich freue mich auf die Fortsetzung einer konsens- und lösungsorientierten Diskussion.
Liebe Marie-Christine. Danke für die bisher differenzierteste Aufarbeitung des Themas ( ein gutes Fazit zog auch @boumi https://medium.com/@boumi/blogger-relations-abf98988e862)
3 Dinge zur Ergänzung: Dass ich Bloggern vorwarf, nichts über die App geschrieben zu haben, stimmt nur halb. Beziehungsweise ich hab da gar nichts Anderes erwartet, dass darüber geschrieben wird. Das Kalkül der PR-Strategie war erfolgreich aufgegangen: Man verschaffte sich die Öffentlichkeitsarbeit schon während des Anlasses, Blogbeiträge waren in dem Sinne gar nicht mehr nötig. Wieso auch? Man hat ja nur das Design der App zu sehen bekommen und das neue Konzept.
Dein Satz unterstreicht das schön: “Unternehmen tun darum im Umgang mit Bloggern gut daran, sie nicht nur als Multiplikatoren sondern als wertvolle Gesprächspartner für Feedback und die weiter Entwicklung von Ideen aufzubauen” Die Reichweite wurde geschaffen, die Neugier bei den Anderen auf Twitter geweckt. Perfekt also…Mehr gab es nicht darüber zu schreiben. Deswegen mein Appell: Sei Dir dessen bewusst. Nicht mehr und nicht weniger.
Zu der persönlichen Öffentlichkeit, das sehe ich entschieden anders. Dass dies aufgelöst wird (persönlich und öffentlich-öffentlich) wissen wir spätestens seit #Selfiegate und dem #Kristallnachttweet. Eine private Followercommunity gibt es nicht auf öffentlichen Plattformen wie Twitter. Was gesellschaftlich relevant ist, bestimmen nicht mehr die Massenmedien. Und so kann ein simpler PR-Anlass wenn er hinausgetragen wird in die sozialen Medien bei genügend RTs und Erwähnungen von einigen Leuten als relevant erachtet werden. Je nachdem auch welche Inhalte geteilt werden (und was genau vorgefallen ist). Bei einer kritischen Masse und reichweitenstarken Multiplikatoren ist es einfach Öffentlichkeit.
Und zu guter Letzt: Die Idee eines allumfassenden Manifests war schon während des Anlasses gestorben. Das Dok (der Entwurf) dient als Diskussionsgrundlage und widerspiegelt die verschiedenen Meinungen. Als solches soll es “in die Webgeschichte” eingehen und nicht mehr und nicht weniger. https://docs.google.com/document/d/1_yVGuWlC9GBIjR5rwpQBlQ7zTWTq1WhbFQwp_R-YKMk/edit
Eine persönliche Öffentlichkeit ist nicht privat, wie du das suggerierst, sondern eben eine eingeschränkte Öffentlichkeit. Und richtig, Massenmedien sind nicht mehr alleinige Gatekeeper, aber es ist auch nicht so, dass jeder der publizieren kann, auch gleich die breite Öffentlichkeit erreicht. Nehme ich “simpel” wörtlich (und mit PR doppelst du ja auch etwas nach ;-), dann erreicht ein solches Event keine Reichweite, genauso wenig ein simpler Blogpost oder ein simples Video. Will heissen: Damit sich ein Thema entwickelt braucht es einiges: Es regiert der Zufall (zur richtigen Zeit am richtigen Ort). Mit dabei sind Influencer, die das Thema in einen grösseren und teils neuen Kreis verbreiten. Und das Thema oder ein Beitrag muss eine hohe Relevanz haben, damit er/es es auch nachhaltig im Gespräch bleibt.
Und schade eigentlich, dass das Manifest gestorben ist. Zumindest für Unternehmen wäre das nämlich ein Thema, und das schliesst das Verhalten der Blogger mit ein.