Newsrooms sind in diesem Blog seit vier Jahren ein Thema. In zahlreichen Unternehmen haben mir Berufskolleginnen schon Einblick in die Praxis und ihre Erfahrungen gegeben. Der Siemens-Newsroom in München war der erste, den ich besuchte, damals gab mir Oliver Santen einen umfassenden Überblick. Nach vier Jahren ist die Zeit nun reif für einen Marschhalt und die Frage: Wie hat der Newsroom die Kommunikation verändert? Ich freue mich sehr, dass Clarissa Haller, Head of Corporate Communications bei Siemens, meine Fragen beantwortet hat. Sie zeigt auf beeindruckende Weise, wie sich der Siemens-Newsroom weit über einen Content-Hub hinaus entwickelt hat.
Die ersten drei Fragen habe ich übrigens all meinen bisherigen Gesprächspartnern gestellt. Dieser Beitrag macht den Anfang in einer Serie von höchst interessanten Erkenntnissen und Resultaten, die ich seither zu diesen Newsrooms erhalten habe. Sie helfen allen, welche selbst bereits einen Newsroom betreiben oder für ihr Unternehmen konzipieren. Eine erste Compilation lesen Sie in der Medienwoche.
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Lässt sich nachvollziehen, ob Beiträge, Themen und Botschaften mit Einführung des Newsrooms beim Publikum besser ankommen und was sich verändert hat?
Zuerst einmal: In den letzten Jahren (seit dem letzten Austausch zum Siemens-Newsroom 2015) hat sich viel getan – ganz allgemein in der Medien- und Kommunikationswelt, dann natürlich auch in Sachen Digitalisierung unseres Arbeitsalltages und schliesslich auch – als Folge all dieser Veränderungen – hinsichtlich des Newsrooms bei Siemens.
Was wir grundsätzlich über die letzten Jahre nachweisen konnten, ist, dass wir heute fokussierter kommunizieren als vor ein paar Jahren noch:
Wir sehen, dass Siemens heute mit Themen assoziiert wird, die viel genauer auf unser Geschäft und unsere Unternehmensstrategie einzahlen (wie z.B. Industrie 4.0, IoT, Cybersecurity, Künstliche Intelligenz). Vor ein paar Jahren waren es noch ganz andere, mehr generische Themen.
Zudem kommunizieren wir heute gezielter, das heisst persönlicher und individueller: Wir reden heute mehr mit den Stimmen unserer eigenen Mitarbeiter (z.B. C-Level und Fachexperten) und wir sprechen auch direkt mit einzelnen Stakeholdern (z.B. externen Influencern). Diese sehr granulare Art der Kommunikation ist nur möglich, weil wir den Newsroom zur Koordination all dieser Konversationen nutzen.
Wir haben natürlich auch gemerkt, dass wir durch den Newsroom schneller geworden sind in unserer Kommunikation. Durch die klassischen Mechanismen des Newsrooms, zum Beispiel die täglichen Meetings oder die transparente Art der Zusammenarbeit, reagieren wir auf Geschehnisse schneller und produzieren damit auch Inhalte schneller.
Darüber hinaus arbeiten wir auch viel agiler – im Newsroom organisieren wir uns in der Regel in sogenannten „Squads“, das sind selbst-organisierte Projektgruppen. Sie setzen sich aus Personen bzw. „Skills“, also Fähigkeiten, aus unterschiedlichen Teams zusammen und sind selbst verantwortlich für ihr Projekt bzw. Thema. Die Squads können für einzelne Kommunikationsaktivitäten zusammenkommen oder auch über einen längeren Zeitraum hinweg für grössere und langfristigere Projekte. Der Newsroom hilft uns dabei, diese Squads zu orchestrieren – in diesem Sinne hilft er uns also auch, agil zu arbeiten und trägt so unter anderem dazu bei, Hierarchien und Silos abzubauen sowie Abstimmungsprozesse zu beschleunigen oder komplett zu eliminieren.
Um also Ihre Frage zu beantworten: Ja, wir können heute nachweisen, dass der Newsroom unsere Kommunikation positiv verändert hat. Wir reagieren schneller auf Trends als früher, die Wahrnehmung von Siemens (als Unternehmen, das sich mit der Digitalisierung auseinandersetzt) ist stimmiger als vor ein paar Jahren noch und wir schaffen es heute besser, Themen online mit zu beeinflussen (z.B. indem wir „Buzz“ und „Share of Voice“ generieren).
Der Newsroom ist für uns aber längst weit mehr als nur ein Content-Hub. Über unseren Newsroom fördern wir auch unsere Themen-Communities und den Kulturwandel unserer eigenen Kommunikationsabteilung – dazu gehören z.B. das agile Arbeiten (wie oben beschrieben) oder unsere Learning-Aktivitäten (was wir „Digital Enablement“ nennen). Der Newsroom wird so immer mehr zum Change-Instrument für unsere eigene digitale Transformation.
Wie verschafft sich ein Unternehmen bei einem Publikum, von dem man sagt, dass es unter dem Content-Shock leidet, Gehör und Aufmerksamkeit? Haben sich Definition und Ansprache von Stakeholdern verändert?
Einfach gesagt: durch Qualität und Quantität – oder Relevanz und Masse.
Relevanz schaffen wir, indem wir genau auf die Interessen unserer Zielgruppen eingehen – was uns gelingt, wenn wir unsere Zielgruppen analysieren und ihnen richtig zuhören, z.B. durch „Social Listening“. Mit den heutigen Tools und Plattformen ist es viel einfacher geworden, unseren Stakeholdern zuzuhören, allerdings bedarf es dazu auch des richtigen Mindsets und der richtigen Abläufe. Wir machen weniger „fire and forget“ bzw. one-way Kommunikation und setzen auf Dialog und Austausch mit unseren Stakeholdern. Der Newsroom ist der ideale Ort, um dieses Mindset zu fördern.
Beim Thema Quantität geht es uns weniger darum, viel zu kommunizieren (denn Masse allein ist wenig förderlich), sondern auf den richtigen Plattformen zu kommunizieren. Dazu gehört insbesondere die Kommunikation in der Online-Welt, allen voran auf den Social Media-Plattformen. Ein überwältigender Teil der Kommunikation und Meinungsbildung findet heute nämlich auf diesen oder über diese Plattformen statt – da ist es wichtig, dass wir da präsent sind.
Relevanz schaffen wir aber auch, indem wir fokussiert kommunizieren – also getreu dem Motto „weniger ist mehr“. Wir versuchen, eher weniger Themen, diese aber konzentrierter und dabei interessanter und inhaltlich wertvoller zu gestalten. Dazu gehört auch, dass wir die richtigen Formate und Kanäle wählen.
Apropos Kanäle: Ganz wichtig für uns ist unsere Arbeit mit Influencern – internen wie externen. Ganz besonders in der Online-Welt wollen wir weniger als Unternehmen Siemens auftreten, dafür aber umso mehr mit unseren eigenen Leuten, welche wir deshalb zu Corporate Influencern aufbauen. Unsere eigenen Leute sind nämlich die besten Botschafter unseres Unternehmens und können oft auch sehr viel persönlicher, einfacher und glaubwürdiger in den Dialog treten, als wenn wir dies als Unternehmen tun.
Unsere Vorstände und viele andere Manager bei Siemens gehen dabei mit gutem Beispiel voran. Dazu kommt auch die Zusammenarbeit mit externen Influencern: Zusammen mit diesen versuchen wir die für unsere Branche wichtigen Themen aufzugreifen und auf unterschiedliche Art und Weise zu erlebbar zu machen. Diese „Kanäle“ helfen uns, relevant zu bleiben und auch Dialog zu fördern. Um dabei den Überblick zu behalten, koordinieren wir alle Aktivitäten über den Newsroom.
Gibt es Anzeichen, dass Inhalte von Unternehmen vermehrt auch Aufgaben erfüllen, welche zuvor unabhängige, aber jetzt geschwächte Medien geleistet haben?
Diese Frage kann man aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten.
Schauen wir uns die grundsätzlichen Aufgaben von Medien vs. Unternehmen an, sehen wir keine Anzeichen der Verschiebung. Die Medien werden weiterhin die wichtige Aufgabe der vierten Gewalt im Staate wahrnehmen, in Zukunft möglicherweise sogar noch mehr (Stichwort „fake news“). So gesehen haben die Medien heute vielleicht sogar einen noch wichtigeren Auftrag, den sie dank ihrer Reputation und ihrer journalistischen Standards erfüllen können und müssen.
Schauen wir die wirtschaftliche Seite an, so ist klar, dass der Einbruch an Werbeeinahmen bei den Medien zu einem enormen Druck geführt hat. Dagegen steigen die Werbeeinahmen bei den Social Media-Plattformen, allen voran Facebook und Google, was zu einer Verschiebung der Meinungsmacht führt. Als Konsequenz haben Social Media Nutzer (Individuen und auch Unternehmen) grundsätzlich mehr Einfluss auf den öffentlichen Diskurs. Wir sehen das konkret in unserer täglichen Kommunikationsarbeit: Wir haben dank des Einsatzes von Social Media zusätzliche Möglichkeiten des eigenen Agenda-Settings gewonnen.
Vor dem Hintergrund dieser Informationen – Was sind denn dann strukturell die wesentlichen Veränderungen des Newsrooms heute gegenüber unserem letzten Gespräch 2015?
Also, wenn man das kurz und knapp zusammenfassen will:
- Es gibt keine „Governance“-Abteilung mehr. Die Kollegen, die am Newsroom-Prozess beteiligt sind, und das sind schlussendlich alle diejenigen, die mit dem Thema Content beschäftigt sind – ob Planung, Erstellung, Distribution oder Messung – organisieren sich selbst. Es braucht niemanden, der ihnen dabei hilft.
- Das Governance-Team war in der Vergangenheit dafür zuständig, über Telefonkonferenzen und Excel-Sheets die Planungen der unterschiedlichen Bereiche abzufragen und zur Verfügung zu stellen. Heute benutzen wir Trello als Tool, um umfassende Transparenz in Echtzeit herzustellen.
- Die Meetings sind internationaler und vielfältiger geworden. Früher waren vor allem die Kollegen aus der deutschen Pressestelle in den Meetings präsent. Heute sind jeden Tag alle Regionen, alle Geschäftsfelder und alle Disziplinen vertreten, was die Diskussionen, den Themenmix und die Reichweite – und damit auch die Relevanz – komplett verändert hat.
- Last but not least: Früher war das Thema Analytics an Agenturen ausgelagert. Das hatte zur Folge, dass wir Informationen über Relevanz und Reichweite immer erst frühestens einen Tag später zur Verfügung hatten, was in der digitalen Welt eine Ewigkeit ist. Heute generieren wir die Analytics selbst und in Echtzeit und sind jederzeit in der Lage, auf dieser Basis zu reagieren oder zu antizipieren. Auch das wird über den Newsroom gesteuert.
Ich bedanke mich bei Clarissa Haller für die Zeit, die sie sich genommen hat. Ich kann übrigens nur empfehlen, ihren Beiträgen auf Linkedin Pulse zu folgen.
Das heißt „als“ und nicht „wie“, dass kann ja nicht wahr sein…
Danke für den Hinweis, der Titel ist angepasst, im Beitrag war es richtig. Darf ich mich revanchieren? In Ihrem Kommentar würde ich noch ein s streichen. ;-)