“Welche Rolle spielen Corporate Influencer in der internen Kommunikation?” – Als mich Sonja Sartor unter dieser Forschungsfrage für ein Expertinneninterview kontaktierte, musste ich erst einmal zurückfragen. Ich wollte von ihr wissen: “Sie untersuchen zwar die Relevanz von Corporate Influencern in der internen Kommunikation, bei den Themen, die Sie im Interview besprechen wollen, sehe ich aber eher die externe Ausrichtung.” Die Antwort liess nicht lange auf sich warten: “Ich gebe Ihnen Recht, Corporate-Influencer-Programme fokussieren sich meistens auf die Aussenwirkung, da sie Mitarbeiter animieren, Geschichten und Botschaften aus dem Unternehmen nach aussen zu tragen. Durch das Aufkommen der sozialen Medien verschwimmen die Grenzen zwischen intern und extern immer mehr. Trotzdem hat der Einsatz von Corporate Influencern eine Auswirkung auf die Rolle und Aufgaben der internen Kommunikation, wie ich durch die Literaturrecherche und erste Gespräche mit ExpertInnen feststellen konnte.” Meine Neugier war geweckt.
Im Gespräch, das Sonja Sartor für ihre Abschlussarbeit des Master-Lehrgangs Kommunikationsmanagement (M.A.) an der Universität Hohenheim mit mir geführt hat, haben wir das Thema ‘Corporate Influencer’ breit aufgefächert. Neben der Begriffsklärung lag der Schwerpunkt der Fragen nicht auf der internen Kommunikation, sondern auf dem Verständnis, der Identifikation und den Motivationen von Corporate Influencern sowie auf Corporate-Influencer-Programmen als Kommunikations-Instrument, dessen Zielen, der Implementierung und auf Chancen und Risiken. Ich danke Sonja Sartor für ihre Zustimmung, unser Gespräch hier zu publizieren.
Was verstehen Sie persönlich unter einem Corporate Influencer und was sind seine Aufgaben?
Ein Corporate Influencer ist in der Lage, aufgrund seiner fachlichen Expertise, seiner Vermittlungskompetenz und seiner Vernetzung relevante Inhalte, die mit seinem Arbeitgeber in Verbindung stehen, kompetent und glaubwürdig zu vermitteln. Im Unternehmen hat er dadurch eine besondere Wirkkraft, wobei ich ihn eher als menschliche Brücke einer Organisation oder eines Unternehmens zu externen Stakeholdern sehe.
Welche Eigenschaften sollte ein Mitarbeiter besitzen, damit er überhaupt in Frage kommt, als Corporate Influencer aufzutreten?
Zuerst einmal sollte er dem Unternehmen gegenüber sehr grosse Loyalität aufbringen. Er muss sich im Unternehmen und in seinem Aufgabengebiet wohl fühlen. Das heisst nicht, dass er kritiklos sein muss, was Entwicklungen im Unternehmen anbelangt, aber er sollte im Grossen und Ganzen hinter dem Unternehmen und hinter der Unternehmensleitung stehen. Zudem sollte er nicht einfach einen “Nine-to-five-Job” machen, um sein Brot zu verdienen, sondern auch Spass an der Arbeit haben. Darüber hinaus sollte er sich für sein Thema überdurchschnittlich interessieren und bereit sein, dafür auch einmal eine ‘Extrameile’ zu gehen.
Wie würden Sie potenzielle Corporate Influencer identifizieren? Haben Sie einen Auswahlprozess, den Sie dem Unternehmen vorschlagen würden?
Corporate Infuencer kann man dann identifizieren, wenn man seine Mitarbeiter ‘kennt’. Dafür kommt es darauf an, wie gut das Unternehmen nach innen zuhört. Natürlich spielt hier die Unternehmensgrösse eine entscheidende Rolle: bei einer Belegschaft von 50 Mitarbeitenden kennt man sich. Bei einem Grosskonzern mit Niederlassungen gestaltet sich das natürlich schwieriger. Je grösser also ein Unternehmen ist, desto besser muss also nicht nur die interne Kommunikation, sondern auch das organisationale Zuhören funktionieren. Das bedeutet, dass man sieht, wo sich die Mitarbeiter mit ihren Themen überhaupt zu Wort melden.
Neben dem Zuhören und einer guten internen Kommunikation braucht es auch die Möglichkeit zur Mitwirkung. Das bedeutet, dass Mitarbeitende befragt und eingeladen werden, ihre Meinung zu Themen zu sagen. Das kann über das interne Vorschlagswesen erfolgen, ober auch über betriebliche Weiterbildungsveranstaltungen. Das wird dazu führen, dass man mit der Zeit herausfindet, wo es Leute gibt, die mit ihrem Thema fachlich besonders stark oder kommunikativ kompetent unterwegs sind – oder idealerweise beides. Was es braucht, sind nicht alleine diese Fähigkeiten, sondern auch den Willen, eigenes Wissen verständlich aufbereitet zu teilen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch gerne von Change Agents, also von Mitarbeitenden, die auch einmal an einer Hierarchiestruktur vorbei etwas Neues anstossen und Veränderungen treiben.
War motiviert Mitarbeitende neben der Partizipation noch, in diese Rolle zu schlüpfen?
Es braucht das Interesse, sich selber weiterzuentwickeln und stetig dazu zu lernen. Entsprechend gehören bestimmte Fördermassnahmen in ein Mitarbeiterprogramm: Weiterbildung, die Möglichkeit, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen, und andere Impulse. Dann ist vermutlich eine weitere Motivation, beruflich weiterzukommen. Wer im Unternehmen aufsteigen möchte, achtet auch darauf, sich intern gut zu profilieren. Ein wesentlicher Treiber ist aber auch die Wertschätzung, die man erfährt, wenn man sein Wissen teilt und anderen hilft.
Was verstehen Sie unter einem Corporate Influencer-Programm?
Das ist für mich eine bewusste und damit auch strategisch geplante Herangehensweise an den Aufbau von Influencern. Das bedeutet, dass man sich vorher vertiefte Gedanken gemacht hat: Was wollen wir erreichen? Wie wollen wir das Programm aufbauen? Wie viele Ressourcen wollen wir dafür einsetzen? Wie gehen wir das Thema von der Governance und von der (arbeits-)rechtlichen Sicht her an? Wie gehen wir damit um, dass Mitarbeitende für die Aufgabe – zulasten ihrer Kernaufgaben – Zeit investieren? Das sind alles Fragen, die in einem Konzept geklärt werden müssen und die auch das ‘Go’ der Geschäftsleitung brauchen.
Welche Ziele verfolgen Unternehmen mit solchen Corporate Influencer-Programmen?
Wenn es Mitarbeitende gibt, die – überspitzt gesagt – nicht mit einem PR-Auftrag handeln, sondern aus eigener Initiative auftreten und ihr Wissen teilen, senden diese zunächst ein Signal nach innen. Sie können durchaus als Katalysator wirken, indem die Wirkung ihres Tuns sichtbar wird, weil sie zum Beispiel vermehrt für Fachfragen beigezogen und geschätzt werden. Nach aussen führt das zu mehr Präsenz für das Unternehmen, was natürlich auch imagebildend wirkt, sei es als Arbeitgeber, am Standort, als Marke usw. Es können also Effekte eintreten, die das Recruiting erleichtern und die Türen für die Interessen des Unternehmen etwas einfacher öffnen, weil es nicht mehr als ganz fremd wahrgenommen wird.
Corporate Influencer-Programme werden heute strategischer angegangen werden als früher. Wie wichtig sind sie im Vergleich zu anderen klassischen Kommunikationsinstrumenten?
Ich würde sie nicht überschätzen. Es ist in der Tat so, dass es Corporate Influencer schon immer gab. Früher hat man uns in der Ausbildung darauf sensibilisiert, dass der Mann im Lieferwagen und die Dame am Empfang eine imagebildende Funktion übernehmen. Und ich erlaube mir, frei nach Paul Watzlawick, zu sagen: “Man kann nicht nicht Botschafter sein.” Sobald man sich als Mitarbeiterin eines Unternehmens zu erkennen gibt, entfaltet man immer eine Wirkung. Und ich sehe das wie Sie, man tut das heute besser strategisch geplant. Trotzdem würde ich ein solches Programm immer nur als integrierten Teil eines Gesamtkommunikationsmixes sehen. Corporate Influencer sind eine Gruppe von Mitarbeitenden, die das Potenzial haben, die Kommunikation zu verstärken.
Wo sehen Sie bei solchen Programmen die zentralen Chancen und Risiken?
Die Teilnahme muss natürlich freiwillig sein. Es besteht aber die Gefahr, dass – etwas salopp ausgedrückt – eine Elite von “besseren Mitarbeitenden” aufgebaut wird. Daraus könnte im Unternehmen ein ‘Club im Club’ entstehen, der es unter anderem auch neuen Mitarbeitenden, die ebenfalls interessiert wären, sich als Corporate Influencer zu positionieren, schwer macht, Fuss zu fassen. Das ist natürlich nur eine Hypothese, aber ich erachte das Risiko als wahrscheinlich.
Dann könnte sich auch aus übersteigerten Erwartungen ein Druck aufbauen, ich denke da zum Beispiel an Programme, die über Gamification laufen. Das ist zwar für die Mitglieder im Programm motivierend und unterhaltsam, der Wettbewerbsaspekt darin aber auch fordernd, weil sie vom stetigen Vergleich mit anderen leben.
Und natürlich dürfen solche Programme auch niemals in der Hoffnung gestartet werden, dass Mitarbeitende mehr Umsatz bringen in einem Umfeld, das von Sparmassnahmen geprägt ist. Die Kultur und das Klima müssen also stimmen und es muss Gestaltungsspielraum vorhanden sein. Auch hier nochmals eine Abwandlung von PR begin at home: Corporate Influencers begin at home.
Neben der höheren Sichtbarkeit, welche Vorteile gibt es noch?
Ganz klar, dass ein solches Unternehmen als menschlicher wahrgenommen wird, weil nicht eine Marke oder eine CEO spricht, sondern Menschen wie du und ich. Wir neigen ja dazu, Peer-to-Peer mehr zu vertrauen, das sagt ja auch der Edelman Trust Barometer. Aber auch hier gibt es ein Risiko nach aussen, denn es muss intern geklärt werden, ob ein Mitarbeiter über das Unternehmen oder für das Unternehmen spricht. Dafür braucht es Richtlinien und Schulung. Solche Richtlinien sollten allerdings nicht primär verbieten, sondern eher sensibilisieren, darin sind sie vergleichbar mit den Social Media Guidelines.
Neben Richtlinien und Schulung, welche Kommunikationsmittel sind in einem Corporate Influencer-Programm zentral?
Die interne Kommunikation, aber auch insbesondere ein gutes Intranet und interne Veranstaltungen spielen eine tragende Rolle. Mitarbeitende sollen sich einerseits niederschwellig untereinander austauschen und in Fach- und Interessengruppen zusammenfinden können. Aber auch, indem die Kommunikation die Rolle des Kurators übernimmt und im Intranet interessante Inhalte featured und so für alle sichtbar macht.
Was sind die grundlegenden Voraussetzungen für die erfolgreiche Implementierung eines solchen Programms?
Freiwilligkeit und Zeit. Die Ziele, was die Mitwirkung anbelangt, sollten nicht zu hoch gesteckt sein. Auch wenn vielleicht zunächst nur 1% mitmachen ist es ein erster Erfolg, wenn diese Mitarbeitenden ihren Job gut machen. Dann können sie, langfristig gesehen, eine Wirkung auf die anderen entfalten und Nachahmer finden. Die Kultur muss passen und das Programm muss innerhalb dieser Kultur wachsen können. Dafür braucht es auch eine dauerhafte Begleitkommunikation. Dies übrigens auch unter dem Aspekt, dass durch die Fluktuation ja immer wieder neue Mitarbeitende zum Unternehmen stossen; auch diese gilt es abzuholen.
Woran kann das Programm scheitern?
Durch zu viel Druck und eine allzu programmatische Umsetzung. Das widerspricht jetzt scheinbar einer strategischen und geplanten Herangehensweise. Aber: Ein strategischer Plan sieht zwar vor, dass man weiss, was man will, wen man gewinnen will und wie das Ziel erreicht werden soll. Er lässt es aber genauso zu, im Falle von Hindernissen die Situation neu zu evaluieren und den Weg anzupassen.
Woran würden Sie den Erfolg von Corporate Influencern festmachen?
Das hängt von den Zielen ab. Im Jobbotschafter-Programm von OTTO geht es beispielsweise darum, sich im ‘War for Talents’ als interessanter Arbeitgeber zu positionieren. Dort ist ein Erfolgskriterium, dass es mehr Kaltbewerbungen gibt. Das ist messbar. Bei Veranstaltungen ist die Anzahl von Teilnehmenden natürlich ein klarer Indikator, oder wenn das Programm nach innen aufgebaut ist, kann sich die Teilnahme am Vorschlagswesen verbessern, was auch relativ gut auswertbar ist. Aber eine direkte Kausalität festzustellen ist, wie generell in der Kommunikation, meist schwierig.
Haben Sie schon mitbekommen, dass sich Effekte eingestellt haben?
Zum Beispiel kann sich die Durchlaufzeit von der Bewerbung bis zur Einstellung verkürzen, weil sich geeignete Fachkräfte bewerben. Bei NGOs habe ich auch schon festgestellt, dass sich mehr Leute freiwillig engagieren, wenn die Mitarbeitenden einen guten Job machen und das nach aussen tragen. Allerdings lässt sich auch nicht immer trennscharf feststellen, ob Mitarbeitende wirksame Corporate Influencer sind oder einfach ihren Job gut gemacht haben.
Welche Abteilungen sollten für ein solches Programm verantwortlich sein?
Hier handelt es sich um eine Zusammenarbeit zwischen HR und Kommunikation. Die Personalabteilung gehört ins Boot, weil sie sich unter anderem auch um arbeitsrechtliche Belange kümmert und die Mitarbeiterstruktur sehr gut kennt. Kommunikation kommt dazu als Querschnittfunktion und auch mit der Fähigkeit, Inhalte zu vermitteln und zu motivieren. Logischerweise braucht es auch ein Committment der Geschäftsleitung, wobei es ja viele Unternehmen gibt, bei denen die Kommunikation schon in der Geschäftsleitung angesiedelt ist.
Welche Aufgabe übernimmt die interne Kommunikation im Kontext von Corporate Influencern?
Eine sehr Wichtige: Wer nicht informiert und orientiert ist, was im Unternehmen geht und wo es hin will, wird nicht in der Lage sein, nach aussen zu kommunizieren. Die Fähigkeit Corporate Influencer zu sein, wächst für mich sehr stark daraus, dass die Mitarbeitenden einen sehr guten Informationsstand haben. Damit meine ich aber nicht, dass sie Top-down mit Wissen versorgt werden. Vielmehr muss das, was kommuniziert wird, auch wirklich verstanden und getragen werden.
Durch den Einsatz von Corporate Influencern verschwimmen die Grenzen zwischen intern und extern immer mehr. Zudem gibt die Kommunikationsabteilung ein Stück weit die Kontrolle über die Kommunikation ab. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Das ist so und die Menschen haben immer mehr Kanäle, über die sie sprechen können. Allerdings finde ich das Thema der Kontrolle etwas schwierig. Ich sehe Kommunikation weniger als Instanz, die alles kontrolliert, sondern mehr als Ermöglicherin. Sie sollte die Kernbotschaften definieren und intern auch zugänglich machen. Wie die Kommunikation letztlich von Mitarbeitenden nach aussen gestaltet wird, kann sie nicht mehr steuern. Einen Aussendienstmitarbeiter können Sie intern gut schulen, wenn er sich aber beim Mittagessen mit Kunden schlecht benimmt, hilft das auch nichts mehr. Die Vielfalt hat aber auch ein Gutes, denn wie die Mitarbeitenden kommunizieren, macht das Unternehmen letztlich aus.
Allerdings sollte die Kommunikation zuhören, und dazu gehört auch hinzuschauen, was Mitarbeitende tun. Und zwar nicht im Sinne einer Überwachung, sondern um zu sehen, ob sie im Sinne des Unternehmens handeln. Dabei ist mir völlig bewusst, dass es sich hier um eine Gratwanderung handelt. Ich glaube aber, dass Menschen mittlerweile gelernt haben, sich bewusster und vermutlich auch besser in sozialen Netzwerken zu bewegen. Zudem ist die Motivation gesunken, sich öffentlich mitzuteilen. User suchen sich heute eher geschlossene und private Gruppen und Messenger aus und ziehen sich ins sogenannte Dark Social zurück.
Zum Schluss möchte ich mit Ihnen einen Blick in die Zukunft wagen: Wird sich der Trend zu Corporate Influencern durchsetzen?
Nein, ich glaube, das ist ein Hype, der auch wieder abflacht. Aber das Bewusstsein, dass Menschen im Netz Spuren hinterlassen und dass ihr Auftritt eine Wirkung erzielt, nimmt sicher zu. Wie gesagt hat jeder im Prinzip das Zeug dazu, als Botschafter zu wirken. Die strategischen Influencer-Programme sind jetzt ein Thema, ein weiteres Thema sind Personenmarken, die sich unter anderem auch positionieren, um arbeitsmarktfähig zu bleiben. Diese Bestrebungen werden bleiben, aber ich glaube nicht, dass sie die Kommunikation revolutionieren werden.
Das Gespräch zeigt, dass der Einsatz von Corporate Influencern und Mitarbeitenden als Botschafter sehr wohl eine Auswirkung auf die Rolle und Aufgaben der internen Kommunikation hat. PR begin at home, das wissen wir. Das gilt gleichermassen für den Aufbau von Corporate Influencern und Mitarbeitenden als Botschafter. Ich danke Sonja Sartor für dieses Gespräch.