Das Ende von Social Media: Warum wir digitale Netzwerke neu denken müssen

Wenn Sie Social Media nutzen: Tauschen Sie sich mit Freunden und Bekannten aus oder lassen Sie sich berieseln? Wahrscheinlich hat sich auch Ihr Konsumverhalten verändert. Soziale Medien haben sich zu Plattformen entwickelt, die auf den Konsum von Inhalten ausgerichtet sind: Der Interest Graph hat den Social Graph abgelöst. Was für Konsumentinnen zur Dauerunterhaltung, aber auch zum Zeitfresser geworden ist, stellt für Unternehmen und Organisationen ein grosses Problem dar. Sie haben massiv an Sichtbarkeit und Reichweite eingebüsst. Trotzdem unterhalten sie immer noch einen teuren Social-Media-Apparat. Wir müssen umdenken! Deshalb hat Dominik Ruisinger “Das Ende von Social Media” geschrieben.

Eigentlich gehört der Untertitel des Buches an den Anfang: “Warum wir digitale Netzwerke neu denken müssen”. Genau das müssen wir in der Kommunikation tun, wenn wir unsere Ziele und Zielgruppen auch in Zukunft erreichen wollen. Dominik Ruisingers im Mai 2024 erschienenes Fachbuch steht nicht für das Ende der digitalen Kommunikation, sondern für den Beginn eines neuen Umgangs mit digitalen Netzwerken. Es hilft Praktikerinnen, die Entwicklungen zu verstehen und neue (alte) Wege zu gehen.

Social-Media-Hamsterrad

Am Anfang von Social Media in der Unternehmenskommunikation stand der Kampf um Akzeptanz und Budget. Viele Kommunikationsabteilungen haben Social Media über Jahre hinweg mühsam und mit zum Teil erheblichem Ressourceneinsatz aufgebaut. Das ist jetzt fünfzehn bis zwanzig Jahre her – wie die Zeit vergeht!

Das Ende von Social Media, Dominik Ruisinger Entwicklung Social Web
Die Entwicklung des Social Web anhand ausgewählter Plattformen (Das Ende von Social Media, Abb. 3, S. 29, mit freundlicher Genehmigung von Dominik Ruisinger)

Heute ist Social Media in Unternehmen etabliert und hat sich vielerorts emanzipiert: eigene Teams, eigene Strategien, eigene Redaktionspläne. Social Media sind hungrig und verlangen nach immer neuen Inhalten. Doch die Plattformen verfolgen ihre eigenen Strategien und verändern ständig die Spielregeln. “Unternehmen und Institutionen erreichen mit ihren eigenen Inhalten immer weniger Sichtbarkeit“, schreibt Dominik Rusinger: “Darauf reagieren viele mit noch mehr Inhalten und noch mehr Werbung.” Das Hamsterrad dreht sich unablässig.

Wer seine Inhalte nur für Social Media aufbereitet und allein auf die Reichweite der Plattformen setzt, baut auf Sand. Das wissen wir längst. Wie wichtig es ist, dem Content ein eigenes Zuhause zu geben, habe ich bereits 2016 beschrieben – da war die Social Media Euphorie noch auf dem Höhepunkt.

Das Ende von was?

Wenn Dominik Ruisinger vom Ende spricht, meint er tiefgreifende Veränderungen und das Ende von Social Media, wie wir es bisher kannten. Dabei stellt er hauptsächlich den Begriff ‘Social’ infrage, eine Diskussion, die zwar nicht neu ist, aber heute wieder aufgenommen werden muss.

Das Ende bedeutet: Weg vom Posten hin zum Konsumieren, weg vom Networking hin zu Entertainment, weg von öffentlich einsehbaren Inhalt hin zum Rückzug ins Private mit Messengern und Gruppen. Es bedeutet aber auch die Verschiebung der Macht der besten Kontakte zur Macht der besten Inhalte.

Ende heisst auch Abschied nehmen. Wir verabschieden uns von unserem Netzwerk, weil wir es nicht mehr sehen. Wir verabschieden uns von der freien Gestaltung unserer Feeds, weil Algorithmen sie steuern (im Buch ist auch die Rede von ‘Algo Media’). Wir verabschieden uns von echtem, von Menschen gemachtem Content, weil KI und Fake ganz neue Angebote schaffen.

Trotz des eindeutigen Titels “Das Ende von Social Media” betont Dominik Ruisinger: “Dieses Buch ist weder eine düstere Prophezeiung noch eine Abrechnung mit der Social-Media-Branche. Es skizziert auch keine Vermeidungsstrategie. Es ist ein Aufruf zu einem besseren Verständnis heutiger Kanäle, ein Abgesang auf den Teilbegriff ‘Social’ und eine Anleitung zu einem stärker integrierten Denken und vor allem Handeln. Darum auch der Untertitel ‘Warum wir digitale Netzwerke neu denken müssen’.”

Vom Social Graph zum Interest Graph

In den Anfängen von Social Media haben wir selbst entschieden, welche Inhalte wir sehen wollten. Entweder folgten wir Menschen (Followerprinzip) oder wir vernetzten uns mit ihnen (Vernetzungsprinzip).

Indem wir uns mit Menschen verbanden, die unsere Interessen teilten, bestimmten wir unseren persönlichen Newsfeed. Das “dumme Facebook” gab es nicht, was wir sahen, war das Abbild der Menschen, mit denen wir uns vernetzten (mein Facebook war darum auch nie dumm). Dominik Ruisinger drückt es in seinem Buch so aus: “Die soziale Beziehung bestimmte den Inhalt und nichts anderes. Die Verbreitung von Informationen erfolgte nach einem einfachen Prinzip, das seit 1997 fast alle Social-Media-Plattformen vereinte: dem Social Graph“.

In den frühen Tagen von Facebook sahen wir alles aus unserem Netzwerk, in chronologischer Reihenfolge und unabhängig von der Qualität der Beiträge oder den ganz persönlichen Interessen. “Wer über ein Netzwerk von vielen meinungsstarken und verbreitungswilligen Followern, Fans und Netzwerkpartnern verfügte, profitierte vom Multiplikatoreneffekt.” Die Inhalte dieser Kreatoren erhielten eine hohe Sichtbarkeit und fanden sich nicht selten auch in den klassischen Medien wieder.

Das Ende von Social Media, Dominik Ruisinger
Social Graph im Vergleich zum Interest Graph (Das Ende von Social Media, Abb. 9, S. 57, mit freundlicher Genehmigung von Dominik Ruisinger)

Dann kam ab 2009 die Entfremdung, weg vom Social Graph. Facebook führte einen Algorithmus ein, um die Inhalte im Newsfeed zu ordnen. Beiträge wurden nicht mehr chronologisch, sondern nach Beliebtheit sortiert, schliesslich sollten die Nutzer keine relevanten Beiträge mehr verpassen. So übernahm Facebook, aber auch alle anderen Plattformen, schrittweise die Macht über die verbreiteten Inhalte.

Die Entwicklung ging weg vom etablierten Social Graph hin zum kuratierten Interest Graph (auch Content Graph genannt) und damit weg von den Menschen und ihren persönlichen Beziehungen hin zur Macht der Inhalte. Der Interest Graph zeigt an, was dem bisherigen Verhalten entspricht. Bestes Beispiel ist TikTok, das nicht auf Beziehungen, sondern auf Interessen aufbaut. Deshalb frage ich mich, wie Unternehmen und Institutionen es schaffen wollen, ihre Zielgruppen (organisch) auf TikTok zu erreichen. Fun Fact: TikTok bezeichnet sich selbst nicht als Social-Media-Angebot, sondern als Entertainment-Plattform.

Heute wird jeder Beitrag vorab von Algorithmen analysiert und auf seine Relevanz hin bewertet. Wie die Algorithmen genau funktionieren, wird nicht nur geheim gehalten, sondern auch ständig verändert. Viele Unternehmen und Medien sind in diese Falle getappt. Statt sich in ihrer Content-Strategie von eigenen Themen leiten zu lassen, versuchen sie, nach den von Algorithmen bevorzugten Inhalten und Formaten zu produzieren. Und sie haben andere Kanäle, wie die eigene Website, vernachlässigt.

Dominik Ruisinger beschreibt in seinem Buch anschaulich die Zusammenhänge für Wirtschaft, Politik und Gesellschaft und öffnet damit dem Leser die Augen. Sein Fazit: “Die Abkehr vom Social Graph und die Hinwendung zum Interest Graph bis hin zu Artificial Media hat die soziale Komponente des Social Networking deutlich geschwächt“.

Umsetzung in drei Dimensionen

Es ist ein Fakt: Unternehmen erhalten immer weniger Besucher über ihre Social-Media-Kanäle (Shared Media), und dies trotz grosser zeitlicher und finanzieller Anstrengungen. “Sie haben sich zu lange einer Illusion hingegeben, die sich heute als wirkungsarm und ressourcenfressend herausstellt. Stattdessen müssen sie ihre eigenen Kanäle stärken (Owned Media) und gleichzeitig Social Media noch stärker als Paid-Media-Kanal begreifen”, schreibt Ruisinger.

“Bedeutet dies, dass wir die sozialen Medien künftig beiseiteschieben und nicht mehr berücksichtigen sollten? Keineswegs! Nur: Wir müssen Social Media und die digitalen Netzwerke neu denken, wie es auch im Untertitel des Buches heisst. Angesichts ihrer Wandlungsfähigkeit werden die Social-Media-Plattformen auch keineswegs sofort verschwinden. Zumindest nicht in den nächsten Jahren.”

Trotzdem sollten Unternehmen handeln. Dominik Ruisinger hat die zentralen Herausforderungen herausgegriffen und auf 60 Seiten Lösungsansätze und Empfehlungen skizziert:

  • Strategie: Integriert denken und handeln: Dazu gehören die Vernetzung aller Kanäle und Instrumente, die Stärkung der eigenen Plattformen und die Bildung eines starken Content-Hubs. Auch der längst totgesagte Newsletter ist ein Thema.
  • People: Menschen sprechen lassen. Ruisinger stellt den Digital-Communication-Manager vor, aber auch das Revival der Mitarbeitenden als Markenbotschafter. Das Buch liefert die Grundlagen für ein Ambassador-Programm.
  • Content: Inhalte gezielt aufbereiten, das bedeutet kanalspezifisch, sichtbar, strukturiert, interaktiv und teilbar.

In seinem Buch “Das Ende von Social Media” geizt der mehrfache Buchautor und Kommunikationsprofi nicht mit konkreten Hilfestellungen. Wenn Sie dieses Buch heute lesen, lernen Sie, Ihre Kommunikation und vor allem Ihre Ressourcen für morgen besser auszurichten.

Das Ende von Social Media

Das Ende von Social Media
Warum wir digitale Netzwerke neu denken müssen

Autor: Dominik Ruisinger
Kartonierter Einband, 212 Seiten, auch als E-Book erhältlich (in der Printausgabe ist ein individueller Code enthalten, mit dem auf die Online-Version des Buches zugegriffen werden kann.)
Verlag: Schäffer-Poeschel
Sprache: deutsch
ISBN: 978-3-7910-6264-8
Veröffentlichung: Mai 2024
Preis: CHF 34.80 (ohne Gewähr) 

Der Blick ins Buch und Inhaltsverzeichnis

Website des Autors Dominik Ruisinger

Ihre Meinung zum Thema

Die erforderlichen Felder sind mit * markiert. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Neuste Beiträge in Ihre Mailbox

Verpassen Sie nichts mehr zu PR im Social Web, Online-PR und digitaler Kommunikation. Abonnieren Sie die Beiträge jetzt als Newsletter.

Zur Newsletter-Anmeldung