Vor vier Jahren hat Christoph Hardt den Verbands-Newsroom des GDV Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft aufgebaut. Zuvor hatte er dieselbe Aufgabe bei Siemens gestemmt. Er bringt also geballte Erfahrung aus Industrie und Verbandswesen mit. Darum habe ich mich sehr gefreut, als er meine kurzfristige Anfrage zum Besuch des Newsrooms in Berlin spontan angenommen hat.
Wir hatten ein sehr angeregtes Gespräch unter Berufskollegen. Die tiefen Einblicke und ausgesprochen interessanten Antworten von Christoph Hardt habe ich dieses Mal nicht klassisch als Interview aufbereitet, sondern nach Schlagworten gruppiert.
Wenn Sie wissen wollen, wie der Newsroom die Kommunikation beim GDV inzwischen verändert hat, springen Sie direkt auf die drei Fragen, die ich Christoph Hardt gestellt habe. (Am Ende dieses Beitrags.)
Die Vision
Wir hatten eine klare Veränderungsperspektive, die hiess: von der traditionellen Pressestelle zum aktiven Publisher in einer sich dramatisch verändernden medialen Konstellation werden. Wir wollten nicht mehr darauf warten, bis das Telefon klingelt. Sondern, bildlich gesprochen, selbst den Hörer in die Hand nehmen, also selber zu Produzenten hochwertigen Contents werden. Diesen Change – vor allem eine Veränderung in den Köpfen – haben wir über den Verbands-Newsroom, obschon er nur ein Vehikel ist, geschafft.
Der Change
Newsroom ist die Integration von journalistischen Arbeitsformen und Formaten in eine Grossraumumgebung. Alle Teams haben sich komplett neu formiert. Dass auch viele Leute neu reinkamen, hat geholfen. Wir haben mit dem Newsroom und der Orientierung an Themenschwerpunkten alte Inhaltssäulen wie zum Beispiel Lebensversicherung, Sachversicherung und viele andere mehr durchbrochen. Das war eine grosse Veränderung, sind das doch ganz unterschiedliche Sparten.
Der Raum
Der Raum ist gar nicht das Wichtigste. Aber es ist gut, wenn Sie eine gute Innenarchitektur haben, die Leute müssen gerne da hinkommen, sie geben ja auch was auf. Es kommt aber ganz fest auf den Kopf an. “Der Newsroom findet im Kopf statt”, das sage ich schon seit ganz, ganz langem. Es kommt also entscheidend auf die Veränderungsbereitschaft in den Köpfen an. Das ist aber auch ein Resultat von kontinuierlicher Arbeit am Thema. Oft wird gedacht, dass mit dem Einzug in den Verbands-Newsroom die Entwicklungsarbeit getan ist, dabei fängt sie erst an.
Die Aufgabe
Die Kommunikation verantwortet die Präsentation der Branche insgesamt. Wir nehmen unsere Rolle wahr als role model für die gesamte Branche. Der Newsroom, den wir hier machen, ist mittlerweile von vielen anderen Unternehmen aufgenommen worden. Im Kern sind wir ein Interessenverband, wobei Lobbying heute nicht mehr reicht. Wir müssen kampagnenfähig sein. Schlagfertig zu sein und schnelle Entscheidungen zu bringen, ist heute für eine gute mediale Präsenz wichtig.
Das Stakeholder-Management
Bei den Stakeholdern haben wir drei Cluster gebildet: Verbraucher (Verbraucherschutz), Influencer und Politik sowie Wirtschaft und Branche. Dafür haben wir letztes Jahr zwei grosse Content-Sammelplätze (Websites) etabliert: gdv.de als klassischen Debatten und Politik-Kanal, ergänzt um Twitter zur politischen Beeinflussung und Meinungsbildung; und dieversicherer.de für Verbraucher mit flotter, lockerer und unterhaltsamer Präsentation von Versicherungsthemen. Hier ergänzen wir mit YouTube und Facebook.
Die Themen
Unsere Stakeholder erreichen wir also über die passenden Kanäle, aber auch über Themen. Wir haben drei Content-Themen als Schwerpunkte:
- Starkregen mit der Initiative «Stadt. Land. unter». Hier geht es insbesondere um Hochwasser und Überschwemmung.
- Cybersecurity mit der Initiative «Cyber sicher»
- Alterung mit der Initiative «7 Jahre länger» zum Thema Altersvorsorge. Hierfür haben wir eine eigene Website und Facebook aufgebaut.
Die Kanäle
Für die Themenschwerpunktsetzung arbeiten wir mit einer eigenständigen thematischen Infrastruktur. Zudem haben wir auf gdv.de einen Debattenkanal, mit dem wir auf Kampagnen von Gegnern reagieren können. Für die Verbraucher haben wir einen unterhaltsam informierenden Kanal sichergestellt.
Die Aufgabenteilung
Für Mitgliederkommunikation haben wir ein eigenes Team mit drei Leuten gebildet, das kommt sehr gut an. Sie sind die Anlaufstelle für die Mitglieder für Themen, die brennen. Einmal pro Woche geht die Themenplanung unserer Kommunikation an die Mitglieder. Sie erhalten auch Wordings zu aktuellen Lagen und zu kritischen Themen mit Information und Erklärung. Wir halten die Mitglieder informiert darüber, was wir tun, sie halten aber auch uns informiert darüber, was sie tun. Immer häufiger bauen Unternehmen unsere Kommunikation in ihre Kommunikation ein. Die Inhalte von «7 Jahre länger» werden zum Beispiel als sehr hilfreich im Kundengespräch empfunden.
Dann gibt es ein Team von drei Personen, das als Single Point of Entry nur die Medien bedient. Dieses Team bespielt auch Twitter.
Der GDV ist eine Knowhow-Organisation. In der Fachkommunikation betreuen fünf bis sechs Leute die Expertinnen und die Kompetenzzentren der verschiedenen Versicherungssparten im Verband. Sie gehen in die Gremiensitzungen und nehmen an den wöchentlich stattfindenden Expertenrunden teil. Aus diesen Sitzungen wiederum kommen dann Impulse für die Kommunikation.
Im Team Multimedia für die Kanalproduktion haben wir das Verlagsmedienhaus zentriert mit Facebook, Versicherer und gdv.de. Der Content wird von der Content-Abteilung zugeliefert, Facebook wird aber stark von den Leuten gemacht, die auf dem Kanal sitzen. Diese Vermischung ist gewollt, die Trennung ist künstlich: Jeder im Newsroom muss kanal- und zielgruppenfähig sein. Von den Facebook-Leuten erwarte ich, dass sie Listening und Aktionen im Griff haben. Seit wir das neue CMS eingeführt haben, das in der Bedienung logischer geworden ist (inklusive WYSIWYG-Feeling), arbeiten die Leute aus dem Content auch sehr stark auf der Website und die Grenzen vermischen sich.
Der Chef
Wir haben einen Chef vom Dienst, den wir jeden Tag und zwar quer durch die Abteilung wechseln. Diese Person ist der Chef oder die Chefin des Tages. Über allen Teams steht der Newsroom-Chef, er hat die Entscheidungskompetenz, ein Thema zu fahren oder auch nicht. Er leitet die morgendliche Runde und macht die Reportings. Der Chef vom Dienst macht den Medienspiegel, verfolgt tagsüber die Nachrichtenlage und informiert die Organisation über wichtige News.
Das Agenda Setting
Früher kamen Themen von den Fachleuten oder durch Medienanfragen. Heute entscheiden wir, wann ein Thema ein Thema wird (das heisst, wann es auf die Agenda kommt.) Inzwischen haben die internen Stakeholder die Notwendigkeit verstanden, Schwerpunkte zu setzen. Geholfen hat dabei der Erfolg der Kommunikation – dass die Stakeholder sehen, dass wir mit unseren Themen wirklich in der Öffentlichkeit präsent sind. Der Fortschritt wird aber auch gesehen, weil wir ihn intern kommuniziert haben. Der Verbands-Newsroom ist Teil der Change Story selber, jeder, der hier hinkommt, sieht: Da hat sich was getan.
Alle Themen haben eine Heimat und sind als Inhalts-Schwerpunkte für die Community ersichtlich. Darum herum bilden sich auch Communitys.
Die Themen ergänzen wir mit stark regionalisierter Kommunikation zum Thema Naturgefahren und Überschwemmung.
Die Redaktionsplanung
Wir planen in den in den Zeitdimensionen Jahr, Monat und Woche. Dafür arbeiten wir noch immer mit einer Excel-Tabelle. Wir sind aktuell in einem Findungsprozess, dabei, eine Lösung zu finden, die unseren Workflow hier abbildet. Das Thema haben wir uns immer wieder angeschaut. Allerdings waren wir in den letzten Monaten mit anderen IT-Projekten dermassen stark beschäftigt, dass wir das Tool-Thema für unsere Redaktionsplanung vorerst zurückstellen mussten. Inzwischen ist das einfachere CMS eingeführt, das neue Mitgliederportal steht am Start und das Corporate Design ist mitten in der Umsetzung.
Die Koordination
Wir treffen uns alle täglich um 9.30 Uhr für eine Viertelstunde. Montags dauert die Sitzung in der Regel 20 bis 30 Minuten und beinhaltet die Analyse der Vorwoche und die Wochenanalyse. Tägliche Medienanalyse und der Medienspiegel zur Performance führen fallweise zur Weiterverarbeitung von Themen im Newsroom.
Die Stolperfallen
Wenn man einen Newsroom einführt, kann man vieles falsch machen: Viel altes in neuem lassen und zum Beispiel Teams und Hierarchiestrukturen nicht hinterfragen. Reportings unangetastet lassen. Die Pressestelle, die im Kern eine reaktive Einheit ist, völlig unberührt in den offenen Newsroom umziehen. Die Pressestelle dominiert den Medienkanal und muss den Switch mitmachen.
Die Errungenschaften
Im Kern reden wir mehr miteinander. Wir orientieren uns tatsächlich am Output, also was kommt da heraus. Und wir streiten über den Fortgang unserer Kommunikation: was wollen wir neu und anders tun? Unsere Arbeit hat eine grosse Transparenz bekommen. Der Newsroom hat sehr positiv in den Verband hineingewirkt, wir haben mit Sicherheit auch die Verhaltensmuster unserer Führungskräfte im Verband verändert. Die Art der Kommunikation hat sich verändert, weil wir schnelle, klare und gute Kommunikation brauchen. Wir erhalten von den Führungskräften viel schneller ein klares Statement zu einem gefragten Thema. Die Leute haben verstanden, dass wir schnell, erklärbar und klar in unserer Sprache sein und damit als Verband in unserer Kommunikation schlagkräftig sein müssen.
Was hat der Newsroom wirklich verändert?
Drei Fragen an Christoph Hardt
Welche Veränderungen und vor allem auch welche Verbesserungen bringt ein Newsroom? Dazu habe ich Christoph Hard nochmals im Januar 2019 befragt:
Lässt sich nachvollziehen, ob Beiträge, Themen und Botschaften mit Einführung des Newsrooms beim Publikum besser ankommen und was sich verändert hat?
Wir messen u.a. die Zufriedenheit unserer Mitgliedsunternehmen mit unseren Content-Initiativen, die ist kontinuierlich angestiegen, mehr als 80 % fühlen sich gut über unsere Themen informiert, mehr als zwei Drittel aller Unternehmen nehmen die Impulse für die eigene Kommunikation auf, 80 % äußern, dass unsere Kommunikation ihre Erwartungen erfüllt oder übererfüllt.
Wir bekommen von externen Medien Lob für die Transparenz und Schnelligkeit unseres Contents. Eine führende Nachrichtenagentur lobte nach unserem Bestseller „Generation Mitte“ eigens die professionelle Vorbereitung unserer Veranstaltungen.
Wie verschafft sich ein Unternehmen bei einem Publikum, von dem man sagt, dass es unter dem Content-Shock leidet, Gehör und Aufmerksamkeit? Haben sich Definition und Ansprache von Stakeholdern verändert?
Durch Schnelligkeit, Qualität der Aussagen, ansprechende Darstellung bzw. Aufbereitung. Wir sprechen unsere Zielgruppe Journalisten und Politik verstärkt über Twitter an und verbreitern weiter unsere Kanäle auf LinkedIn, Xing, Instagram. Wir definieren die Kommunikationsziele für einzelne Events, Aktionen bzw. Contentschwerpunkte noch genauer. Wen wollen wir erreichen und wieviel?
Gibt es Anzeichen, dass Inhalte von Unternehmen vermehrt auch Aufgaben erfüllen, welche zuvor unabhängige, aber jetzt geschwächte, Medien geleistet haben?
Wir freuten uns 2018 häufiger darüber, dass Kernaussagen aus unseren Medieninformationen übernommen wurden. Ich halte das aber nicht nur für das Ergebnis „geschwächter“ Redaktionen, sondern auch für das Ergebnis gezielter Vermarktung. So haben wir bislang vor allem national kommunizierte Inhalte im vergangenen Jahr immer stärker regionalisiert und damit erhebliche Breitenwirkung erzielt, etwa beim Thema Naturgefahren: „Naturgefahren treffen Deggendorf am stärksten“.
Die Fragen wurden schriftlich gestellt. Christoph Hardt hat im Januar 2019 geantwortet.