Storytelling ist ein Buzz-Wort aus unserer Zeit. Und wer ihm die Krone aufsetzen will, hängt noch das Wörtchen Digital vorne dran und fertig ist das neue Business-Modell für Agenturen und Berater, weil das ja etwas bahnbrechend Neues sei. Falsch! Sprachwissenschafter Ivo Hajnal hat im Seminar Digital Storytelling das Thema entmystifiziert. Er hat gezeigt, dass Storytelling nichts anderes ist, wie solides Handwerk bei dem es, wie bei jedem anderen Handwerk auch, die Fleissigen und die wahren Künstler gibt.
Das Seminar brachte mir ein paar schöne Anwendungsfälle. Insbesondere hat es mir aber geholfen einzuordnen und Prioritäten zu setzen; darum hatte ich es auch in erster Linie gebucht. Was ich mitgenommen habe teile ich zur eigenen Reflexion und hoffentlich zur Bereicherung meiner Leserinnen und Leser.
Storytelling ist nichts Neues, im Gegenteil, Aristoteles hat sich um die 350 Jahre vor Christus mit dem Thema beschäftigt und Steine gelegt, auf die wir heute noch bauen. Warum aber sollen Geschichten heute in der Unternehmenskommunikation eingesetzt werden? Nicht weil sie uns seit Kindsbeinen Freude bereiten. Geschichten transportieren anstelle von nackten Fakten Inhalts-Objekte die wir als Muster erkennen können. Wenn sich diese Muster an Bestehendem orientieren, also das Erfahrungswissen des Empfängers abholen, dann weckt das bei ihm Assoziationen. Werden Stories
mit emotionalen Werten ergänzt, kann der Empfänger auch gefühlsmässig andocken. Aber Achtung: Emotionen werden von jedem wieder ganz anders aufgenommen und verarbeitet – nicht gerade einfach für professionelle Storyteller. Nun gut, soviel zur theoretischen Einordnung. Dann tauchen wir jetzt ein in die Praxis.
Unternehmen betreiben selten reines Storytelling
Wenn Unternehmen zum Mittel des Storytellings greifen, so tun sie das höchst selten in einer reinen Form. Zu sehr laufen Unternehmenskultur und unternehmerische Interessen gegen solche Vorhaben, eine Geschichte muss ja auf die Marke einzahlen. Tut sie das nicht unmittelbar, so hat sie in den meisten Unternehmen kaum je eine Chance realisiert zu werden. Natürlich gibt es Ausnahmen, eine davon ist The Helping Hand von Siemens/answers. Ivo Hajnal unterscheidet zwischen folgenden Hybrid-Formen in der Unternehmenskommunikation; alle enthalten lediglich Elemente von Storytelling:
- Erklärfilm zur Vorstellung eines Themas, Darlegung eines Problems und Überzeugung. Beispiel: Monsieur Santé erklärt die Einheitskasse.
- Erzählungen und Reportagen in Textform, die mit digitalen Elementen angereichert sind. Beispiel: Die Zeit Am Berg der Fahrrad-Verrückten zu 100 Jahre Tour de France.
- Crossmediale Verschränkung von Print(Magazinen) mit digitalen Mitteln via Online-Kanäle wie z.B. YouTube. Beispiel: Das Kundenmagazin CREDO von LGT, dessen Beiträge online verlängert werden, beispielsweise mit einem “Video” wie jenes zu Jim Capraro. Handwerklich ist dieses Beispiel ebenfalls unheimlich spannend, weil das “Ursprungsprodukt” ein Interview mit dem Aktivisten war. Das Gespräch wurde nicht nur für das Magazin verwertet. LGT hat es auch, ergänzt um eine Off-Stimme, zu einer gefilmten Bildstrecke verarbeitet und auf YouTube gestellt.
- Bespielen von verschiedenen Kanälen mit der immer gleichen Geschichte. Als Richard Branson nach dem Absturz von SpaceShipTwo den Tod von einem Piloten und die schwere Verletzung der Zweiten zu beklagen hatte, machte sein Unternehmen Virgin Galactic diese Betroffenheit auf allen möglichen Kanälen sichtbar. Auf der Website (man beachte das Foto mit der Wand, an der ausgedruckte Posts von Facebook aufgehängt sind), Twitter, Facebook usw. Man könnte hier kritisch anmerken, dass ein Absturz ein trauriger Fakt, aber keine Geschichte darstellt. Das ist im Prinzip richtig, aber das Unglück ist Teil einer grösseren Geschichte, deren Schreibung schon viel früher angefangen hat und die Menschen in den Bann zieht.
Es geht also darum, teils aufwändig erarbeiteten und recherchierten Content vielseitig zu nutzen, wie ich das bereits früher in diesem Blog thematisiert habe. Content zu zerlegen, zu überlegen, welche Inhalte in welchen Kanal passen und wie Elemente nicht nur crossmedial sondern unter Umständen sogar transmedial aufbereitet werden können.
Der Plot: nicht zu weit suchen.
“Jede Geschichte ist eine Art Vorurteil mit Emotionen, die aber auch Sicherheit vermittelt.”, stellt Ivo Hajnal fest. Klassische Plots holen den Leser da ab, wo er (Vor-)Urteile in Sekundenbruchstelle fällen kann. Man nehme den Plot David gegen Goliath und fülle Nestlé und Greenpeace ein und schon ist das Bild fertig. Weitere Plotpaare können sein Leben & Tod, Gut & Böse, Stark & Schwach usw. Geschichten mit solchen Plots helfen,
implizites Wissen (also quasi zwischen den Zeilen) zu vermitteln. Genau dieses Wissen ist es, welches sich emotional auf die Reputation eines Unternehmens oder einer Marke auswirkt. Explizites Wissen, wenn auch noch so professionell, sachlich und faktenbasiert aufbereitet wird diese Wirkung nie erreichen können. Das ist übrigens auch die Herausforderung, wenn Nestlé Greenpeace auf einen blutendenden Kit-Kat-Riegel antworten soll. Fakten kommen nicht an. Eine glaubwürde Video-Botschaft von ganz oben hilft da schon eher.
Der Storytelling-Handwerkskasten
Wir tendieren dazu, in der schillernden Welt von Social Media in Videos, Bildern auf Instagram oder Diskussionen auf Facebook zu denken. Wer Geschichten vom Kanal her aufbaut wird Schiffbruch erleiden. Das hat uns auch die Übung im Workshop eindrücklich gezeigt. Ausgehend von einer Medienmitteilung des SV-Service sollten wir eine (crossmediale) Story entwickeln. Das Thema war etwas sperrig, die Versuchung, sich zu überlegen, wie das Video aufgebaut werden soll, welche Musik ergänzt und was auf Facebook dazu gepostet werden soll, war gross. Aber genau so schnell wurde auch klar, wie schnell man sich verliert und am Ende des Tages keine greifbare Geschichte übrig bleibt. Doch genau darum geht es: Geschichten sind erst dann wirklich gut, wenn ihr Kern leicht aufgenommen und weitererzählt werden kann.
Bevor eine Geschichte geschrieben werden kann, muss einige Vorarbeit geleistet werden: Einlesen, recherchieren, einordnen. Da hilft es, einige Eckpunkte zu definieren:
- Problem: Worum geht es, was ist das Problem, das mit der Geschichte ganz konkret adressiert und gelöst werden soll? Die Kunst ist zu verschlanken, sämtliche Extra-Schlaufen mit wenn und aber zu entfernen und den Sachverhalt so darzustellen, dass er in drei Sätzen verständlich und nachvollziehbar erklärt werden kann.
- Botschaft: Welche Botschaft soll die Geschichte vermitteln. Dreht sich diese um das geschilderte Problem? Geht es um das Unternehmen selber oder seine Relevanz in der Gesellschaft? Wenn es um das Unternehmen geht, dann beginnen Sie den Beitrag nicht, in dem Sie sagen, was es tut. Oder wie. Viel interessanter und glaubwürdiger ist das warum. Was ist die Vision, die Mission, welche Werte werden vertreten?
- Held: Wer oder was ist der Held? Und es reicht nicht die Darstellung eines braungebrannten Hünen mit Muskelpaket. Der Held muss eine Transformation durchlaufen. Entweder war er, bevor er zum Helden wurde, ein unscheinbarer, blasser junger Mann. Oder er startete als Held mit überheblichem Blick über alles und wurde zum geläuterten Mann. In der Unternehmenskommunikation ist der Held nicht rein fiktional, wird der mit einem Beruf verbunden, erhöht sich das Identifikationspotential.
- Angst: Eine Geschichte hat einen Plot, sie thematisiert einen Konflikt und darin sind immer auf der einen oder anderen Seite Ängste involviert. Welche Ängste werden angesprochen? Und was trägt der Absender der Geschichte, das Unternehmen, zur Lösung bei und wird neben dem gezeigten Helden zum Problemlöser im Hintergrund?
- Ort: Wo spielt die Geschichte. Damit ist nicht allein der geographische Ort gemeint, der für sich schon Nähe schafft: Aufreger im Nachbarort bewegen mehr wie solche auf der südlichen Halbkugel. Ganz im Sinne von Musterbildung gibt der Ort der ganzen Geschichte eine Prägung: Ein vermooster Wald im Nebel. Ein Sitzungszimmer mit ellenlangem glänzenden Konferenztisch. Das innere eines mit Spinnweben verhangenen Beichtstuhls. Und schon ist die Kulisse für die Geschichte gebaut. Und Sie merken, dafür braucht es noch nicht mal einen Film, da reicht schon allein die Sprache.
- Perspektive: Wir neigen dazu, Inhalte möglichst ausgewogen und linear von Anfang bis zum Ende zu erzählen und riskieren dabei langweilig zu werden. Ein Perspektivenwechsel bringt Spannung. Nur schon der Wechsel von der Unternehmens-Sicht zur Kunden-Perspektive verändert die Story. Aber, gerade beim Geschichten erzählen hilft es, sich auch einmal in die Froschperspektive zu versetzen. Die Kamerasprache kennt verschiedene Perspektiven. Mit einem Smartphone haben Sie immer eine Kamera dabei. Lassen Sie mal den Yoga- oder Squash-Kurs sausen und verbiegen Sie sich auf andere Weise – das macht Spass und wird bei der Erzählung der nächsten Geschichte helfen.
- Traum: Sachlich betrachtet handelt es sich hier um das Ziel: Wo will die Geschichte hin, was will sie auslösen. Verpackt wird sie aber in einen Traum, in eine Vision, in eine vage Vorstellung von dem was irgendwann sein soll, die sich beim Helden aber emotional festgesetzt hat. Der Traum muss dabei so konkret werden, dass der Leser oder Zuschauer sich identifizieren und mitträumen oder gar -fiebern kann.
Sie sehen, bis zu diesem Moment wurde noch kein bisschen Ladung der Smartphone-Akkus oder der Filmkamera verbraucht. Erst wenn die Geschichte steht, erst wenn sie bestanden hat, weil sie beim Erzählen von verschiedensten Menschen verstanden wurde, erst dann ist sie umsetzungsreif. Wie man das macht, dafür gibt es verschiedenen Lehrgänge, natürlich auch bei der Schweizerischen Text Akademie.
Sie sind neugierig auf mehr Lesestoff zum Thema? Ich habe kürzlich das Buch Storytelling: Die Zukunft von PR und Marketing von Petra Sammer (O’Reilly) gelesen, das mich begeistert hat. Hier geht’s zur Rezension.
2 Kommentare zu “Digital Storytelling: Take aways aus dem Seminar von ZPRG und Text Akademie”