Digitale Transformation als kultureller Wandel war Anfang September das Thema am Social Media Gipfel in Zürich. Sarah Stiefel, die bei den Schweizerischen Bundesbahnen SBB die digitale Kommunikation verantwortet, gab Einblick in die bisherige Reise. Es gibt noch nicht viele Beispiele, die den Weg der digitalen Transformation der Kommunikation zeigen, Darum habe ich Sarah Stiefel gebeten, mir ergänzend zu ihrem Referat ein paar Fragen zu beantworten. Entstanden ist ein Einblick aus einer sehr persönlichen Perspektive. Die Präsentation ist am Ende dieses Beitrag verlinkt.
Sarah, du hast am Social Media Gipfel über die Digitale Transformation der SBB Kommunikation gesprochen. Wann habt ihr begonnen und wann wurde dir klar, dass ihr euch in einem Transformationsprozess befindet?
Rückblickend würde ich sagen, dass die Digitale Transformation der SBB mit dem damals neuen Bereich «SBB E-Business» (heute «SBB Digital Business») losgetreten wurde, den Patrick Comboeuf von 2006 bis 2014 aufgebaut hat. Zumindest nehme ich das so wahr. Nebst dem erfolgreichen Aufbau der digitalen Vertriebskanäle wie sbb.ch und der ersten SBB Mobile App hat er auch die Basis für die digitale Kommunikation der SBB gelegt.
Mit der Einführung des Kundendialogs über Facebook und Twitter als Early Adopters 2011 und mit dem Aufbau des schweizweit ersten Content Marketing Teams im Jahr 2013 wurden die Grundpfeiler für die heutige Digitale Transformation der SBB-Kommunikation gesetzt.
Dass sich Content Marketing oder eben Digitale Kommunikation in einem grossen Unternehmen wie der SBB nur etablieren und breit entfalten kann, wenn die Abteilungen Kommunikation, Marketing, Vertrieb & Kundenservice Hand in Hand arbeiten, wurde mir bereits in der Probezeit klar. Die Mitarbeitenden, die schon vor meinem Start bei der SBB im Team gearbeitet hatten, bestätigten meine Erkenntnisse. Strukturelle Anpassungen und Organisationsentwicklung sind die Grundlagen, damit sich die Digitale Kommunikation «State of the Art» entfalten kann. Zudem war eine konzernweite Transformation der Kommunikations-Prozesse nötig, um eine «wirklich» integrierte Kollaboration der genannten Abteilungen möglich zu machen.
Die Befähigung der Mitarbeitenden ist der zweite zentrale Schritt. Sind die Prozesse unklar, entsteht ein Patchwork an Massnahmen und bei den Mitarbeitenden Verwirrung. Früher war es möglich, Aufgaben mit isolierten Kompetenzen anzugehen. Heute, im Kontext des Medienwandels und der sozialen Medien, funktioniert das alte Denkmuster nach Disziplinen wie Kommunikation, Marketing und Vertrieb/Kundenservice schlicht nicht mehr. Die Prozesse müssen gemeinsam und kollaborativ mit Blick auf den Gesamtkontext und die externe Gesamtwahrnehmung aller ausgesendeten kommunikativen Massnahmen gestaltet werden – und das braucht Zeit.
Ihr habt eure Digital Content Strategie auf den Ebenen Information, Inspiration und Interaktion aufgebaut. Wann und wie habt ihr diese Strategie entwickelt und hat sie sich bis heute bewährt?
Die Digital Content Strategie entwickelten wir im 2014 in der Abteilung SBB Digital Business vorerst nur für die digitalen Inhalte und Kanäle. Das war ein wichtiger erster Schritt, um zwischen Informationsinhalten für Webseiten, editorialen Inhalte für Blogposts sowie «flippigen» Interaktions-Geschichten unterscheiden zu können. Dank der Strategie konnten wir eine Struktur in den Redaktionsprozess bringen und uns an Themen (vs. Kanälen) orientieren. Im Idealfall konnten wir bei erfolgreichen Themen Webseiten mit Informations- und Abverkaufsinhalten, mit editorialen Blogposts und interaktiven Stories vermarkten, respektive Traffic generieren.
An erste Grenzen stiessen wir, als aus den abgeleiteten Kommunikationszielen der Zielkonflikt Digital only vs. Integrierte Kommunikation auftauchte. Zu diesem Zeitpunkt verliess ich das Digital Business und wurde Leiterin Digitale Kommunikation. In dieser übergreifenden, strategischen Position bei der SBB Kommunikation fand mein Ansatz Gehör. Die Geschäftsleitung der SBB-Kommunikation erkannte, dass im Kontext der rasant voranschreitenden Digitalisierung und Transformation der Medien- und Kommunikationsbranche die bestehenden internen Strukturen und Prozesse es nicht mehr erlauben, einen relevanten Dialog mit den Zielgruppen zu führen. Ich durfte die digitale Kommunikations- und Plattformstrategie erarbeiten.
Du hast gesagt, dass die Dachkommunikation 2016 und die SBB Service Scouts deine “Musterbrecherinnen” waren. Kannst du das bitte erklären?
Im Rahmen meiner Weiterbildung MAS in Leadership und Change Management habe ich mich vertieft mit den Generischen Prinzipien (Link zum pdf) nach Haken/Schiepek und mit der Synergetik befasst, was denn auch zur Antwort auf deine Frage führt:
In der ersten Transformationsphase der SBB-Kommunikation verliefen die Anpassungen mehrheitlich entlang der Prozessoptimierung. Bestehende Best Practices wurden, wo erforderlich, langsam und nach Bedarf optimiert. Rückblickend gab es in der ersten Transformationsphase aus meiner Perspektive aber zwei signifikante Prozessmusterwechsel: Der erste erfolgte 2016 im Rahmen der Dachkommunikation, als zehn sogenannte «SBB Service Scouts» aufgestellt wurden. Sie machten sichtbar, dass die bestehenden internen Prozesse nicht mehr genügten, um den neuen Anforderungen der vernetzten Social Media Kommunikation und deren neuen Akteuren gerecht zu werden.
Die «SBB Service Scouts» haben die SBB Kommunikation regelrecht durchgerüttelt und ich selber wurde als Initiantin der Aktion nicht nur gefeiert. Wenn man das Innovationsprojekt «SBB Service Scouts» im Kontext der Generischen Prinzipien und der dahinterliegenden Wissenschaft der Synergetik betrachtet, ist zu erkennen, dass das Projekt als sogenannter «Attraktor» oder eben Musterbrecher wirkte (hier wird die Rolle von Attraktoren witzig und interaktiv erklärt). Es hat das Voranschreiten der digitalen Transformation der SBB-Kommunikation vermutlich stark beeinflusst, zumindest bin ich im Rahmen meiner CAS-Arbeit Change Management zu diesem Schluss gekommen. Der zweite «Attraktor», der einen Musterwechsel bei der Geschäftsleitung ausgelöst hatte, war dann in der Folge die Digitale Kommunikations- und Plattformstrategie.
Dann habt ihr die digitale Kommunikations- und Plattform-Strategie aufgebaut mit vier Stossrichtungen.
Die erste Stossrichtung fasst du mit „Kernzielgruppe Mensch“ zusammen. Greift das nicht etwas arg kurz?
Ich denke nicht, im Gegenteil, es greift sogar noch weiter als die Stossrichtung und ist ergänzend auch eine Grundhaltung. Menschen, und somit unsere Kunden und Zielgruppen, wollen mit Menschen interagieren. Deshalb setzten wir Menschen in den Fokus unserer digitalen Kommunikation: Bei der Kreation von Artikeln wie auch in der Distribution der Inhalte. Ich sehe den Menschen als relevanteste «Schnittmenge» oder eben als «Kernzielgruppe Mensch»: Mitarbeitende, Kunden, Journalistinnen, Politiker, etc.
Wir alle sind vorerst einfach Menschen mit Interessen, ehe wir in unsere diversen Rollen schlüpfen. Mir geht es darum, darauf aufmerksam zu machen, dass wir verschiedenen Zielgruppen angehören und uns immer zuerst das Thema interessiert. So wollen wir seitens SBB auch unsere Inhalte und Geschichten erzählen: im Fokus für den am Thema interessierten Menschen und falls relevant auch spezifisch, für den einer Zielgruppe angehörenden Menschen. Das können Fakten für Journalisten, exklusive Inhalte für Mitarbeitende oder inspirierende Freizeitgeschichten für Kunden sein. «SBB News» ist genau vor diesem Hintergrund der «Kernzielgruppe Mensch» aufgebaut – mit drei spezifischen Startseiten: für Mitarbeitende, Kunden und Journalisten. Inhaltlich sind alle Artikel für den interessierten Menschen (sprich für alle Zielgruppen) verfügbar – kategorisiert nach Themenkategorien.
Am 29.05.2018 ging mit SBB News ein Hub für redaktionelle Inhalte live, mit dem ihr Prozesse integriert und für den User ein konsistentes Erlebnis geschaffen habt. Erst jetzt im September seid ihr mit dem Newsroom gestartet. Was erwartet ihr davon?
Der Newsroom startete als Pilot bereits im April 2018, seither arbeiten wir mit dieser Organisationsform. Wir verbessern uns stetig und halten regelmässig Workshops, um die Prozesse laufend zu optimieren.
Anfang September wurde der Newsroom als Organisationseinheit formal verankert und einige organisatorische Anpassungen vorgenommen. Für SBB-Verhältnisse ging der Prozess von der Pilotierung bis zur formalen Organisationseinheit rasant. Das Timing und Go-Live von «SBB News» Ende Mai war in diesem Sinne optimal und gab dem Newsroom-Pilot den letzten nötigen Schub für die offizielle und formale Verankerung.
Wie habt ihr in diesem Transformationsprozess die Mitarbeitenden mitgenommen?
Wir hatten bereits 2017 erste Webinare zum Medienwandel und Workshops für Personal Branding angeboten. Aus ressourcentechnischen Gründen – wir waren mit «SBB News» und dem Newsroom komplett absorbiert – konnten wir diese im Jahr 2018 nicht weiterführen. Das Thema Mitarbeitendenbefähigung nehmen wir 2019 wieder auf. Glücklicherweise erweist sich das als optimales Vorgehen. Mit der Einführung des SBB Newsrooms und der «SBB News» sind nun alle sehr daran interessiert, ihr Verständnis und ihre fachlichen Fähigkeiten in der digitalen Kommunikation zu optimieren.
In diesem Sinne bestätigt sich auch meine These, dass sich Mitarbeitende Fachkompetenz in digitaler Kommunikation erst aneignen können und wollen, wenn der Kulturwandel verstanden wird: Von der Top-Down und Inside-Out Kommunikation hin zur dialogisch vernetzten Echtzeit-Kommunikation.
Was waren in diesem dreijährigen Prozess die Hürden und mit wem hast du sie gemeistert?
Die Veränderung hat Widerstände ausgelöst und diese waren während dem ganzen Prozess die grössten Hürden. Dabei versuchte ich immer, den Standpunkt «des Anderen» zu verstehen. Die sogenannten psychosozialen Prozesse in Veränderungen rutschen aber immer auch auf die persönliche Ebene. Ich realisierte, dass ich mir fachliches Know-How im Bereich Change Management aneignen musste, um das Ganze einordnen und mit mehr Distanz betrachten zu können. Deshalb habe ich die Weiterbildung MAS in Leadership und Change Management begonnen. Die CAS in Digital Leadership, Change Management und Coaching lehrten mich, die Prozesse objektiv zu betrachten und erfolgreiche Massnahmen zur Förderung der positiven Transformation einzusetzen.
Mein Mann war zudem die wichtigste Stütze im ganzen Prozess, er unterstützte mich enorm. Und auch meine Familie und verständnisvolle Freunde waren wichtige Begleiter. Zudem verhalf mir die regelmässige Teilnahme in den Yoga-Retreats einer meiner besten Freundinnen, Sandra Samiya-Yoga, zum nötigen Schub «Deceleration».
Und last but not least hätte wir den ganzen Change nie ohne unsere Trio-Power mit Michelle my Boss und Nadia meine rechte Hand durchbringen können.
Ist die Transformation damit abgeschlossen?
Die SBB Kommunikation durchläuft seit 2015 einen hochkomplexen Paradigmawechsel, der durch die weltweite digitale Transformation der Kommunikation und des damit verbundenen Medienwandels getrieben wird. Ich habe von meinen Kolleginnen und Kollegen (und auch von mir selbst) wohl in den letzten zwei Jahren sehr schnell viel gefordert und erst kürzlich realisiert, wie weit wir bei der SBB bereits sind. Dass es uns im 2018 gelungen ist, den SBB Newsroom und SBB News an den Start zu kriegen, ist eine tolle Leistung und darauf sind wir auch stolz.
Im Jahr 2019 wollen wir nun gemeinsam weiterlernen und unsere Inhalte qualitativ noch besser aufbereiten. Wir wollen weiterhin intensiv für die Medien da sein, aber auch den Dialog intern mit den Mitarbeitenden und extern mit den Kunden intensiveren und noch stärker direkt auf ihre Bedürfnisse und Fragen eingehen.
Die Transformation der SBB Kommunikation ist wohl nie abgeschlossen; wir lernen gerade erst, im neuen Modus zu funktionieren, damit wir für die Zukunft gewappnet sind. Für eine sich stetig transformierende Welt.
Du hast einige Tipps für den Transformationsweg mitgegeben …
… welches ist dein absoluter Geheimtipp?
Immer davon ausgehen, dass das Gegenüber einen guten Grund für sein Handeln hat und falls sich dieser Grund nicht erschliesst: miteinander reden und zwar von Mensch zu Mensch, möglichst losgelöst von Rollen.
Mit Verspätung aber nicht weniger Interesse habe ich das spannende Interview gelesen. Danke euch beiden für das Aufdecken und Aufzeigen von wertvollen Learnings und die Inspiration, wie es andere Organisationen auch anpacken könnten.
Ich finde, dass es genau das ist, was uns weiter bringt. So gesehen bin ich allen in unserem Berufsfeld dankbar, die mir für diesen Blog und meine Leser hier Einblick geben in ihre Praxis.