Für angehende Querdenker haben Gunnar Bender, Georg Milde und Jessica Pehlert das Fachbuch Disruptiv Affairs geschrieben. Wie stellt sich bei der Kommunikations-Arbeit auch im Zeitalter digitaler Transformation der Erfolg ein? Um diese Frage zu beantworten, haben die Autoren 21 Persönlichkeiten porträtiert und sie nach ihren disruptiven Denkansätzen in der Kommunikation befragt. Entstanden ist ein Werk, welches den heute zum Buzzword gewordenen Begriff der Disruption mit Inhalt füllt. Es vermittelt Impulse für das eigene Wirken und macht Mut, neue Wege auszuprobieren.
Disruption: Was ist das?
Sehr spannend ist der Einstieg der beschreibt, wie sich die Gesellschaft im Zeitalter digitaler Transformation wandelt – ich war so sehr in die Lektüre vertieft, dass ich in den falschen Bus gestiegen bin. Disruptive Affairs beleuchtet die drei Bereiche Wirtschaft & Arbeit, Medien & Öffentlichkeit und Politik & Gesellschaft. Gut, dass die Autoren das Modewort Disruption gleich zu Beginn definieren, denn der Begriff wird sehr vielfältig und oft auch falsch verwendet.
Disruption beschreibt die Ablösung und teils vollständige Verdrängung etablierter Geschäftsmodelle, Produkte oder Dienstleistungen durch bahnbrechende Neuerungen.
So sind Innovationen erst dann disruptiv, wenn sie den Markt grundlegend verändern, bestehende Modelle komplett umstrukturieren oder das gängige Konsum- und Nutzungsverhalten auf den Kopf stellen. So reizvoll das Neue auch sein mag, es wohnt ihm immer auch etwas Zerstörerisches inne.
Digitalisierung ist der Treiber der Entwicklungen, die wir heute alle erleben. Doch was genau wird denn transformiert? Das Buch nennt drei wesentliche Veränderungen:
- Flexibilisierung mit Cloud-Computing und ein fortschreitender Trend zur Individualisierung
- Verschiebung der Wertschöpfung vom Produkt zum Service, das Smartphone ist nur ein Beispiel
- Umkehrung der ökonomischen Logik, getrieben durch die vier Technologieriesen GAFA (Google, Amazon, Facebook und Apple)
Die enorme Dynamik verändert auch Grundlegendes. Flexible Arbeitsmodelle, neue Wege der Zusammenarbeit und ein verändertes Verständnis von Hierarchien sind nur drei Herausforderungen, die ohne richtig gute Kommunikation in die Sackgasse führen.
Neue Formen der Mediennutzung haben die Medien ihrer Gatekeeper-Rolle beraubt. Heute haben wir fragmentierte Teilöffentlichkeiten, die sich in einer Vielzahl von Foren austauschen. Hierarchien bilden sich danach, wer einen Beitrag liefern und genügend Menschen überzeugen kann. Das wäre doch auch einmal ein brauchbarere Ansatz in der aktuellen Influencer-Diskussion. Unternehmen sind gefordert, noch mehr aber das politische System. Dieses ist mit langwierigen Prozessen und föderalen Strukturen so gar nicht auf Tempo ausgelegt und das in einem Umfeld, das sich über Flexibilität und Schnelllebigkeit definiert.
Sie sehen, allein schon Kapitel 1 zur dringenden Notwendigkeit einer neuen Kommunikationsdisziplin liefert jede Menge Denkfutter.
Querdenker im Porträt
Medien, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft befinden sich aktuell in einem radikalen Umbruch. Diese Transformation ist ein Prozess, den Kommunikatoren begleiten müssen. Wie schaffen sie es, nicht bloss auf den Wandel zu reagieren, sondern Trends frühzeitig zu erkennen und Veränderungen vorherzusehen? Indem sie disruptives Denken wagen, üben und verinnerlichen. Aber auch wenn sie Umbrüche nicht als Zerstörung, sondern als Notwendigkeit und Chance verstehen. Erst mit dieser Denkhaltung sind sie in der Lage, ihren Job als Kommunikatoren richtig gut zu machen. Wie das geht? 21 Querdenker sagen, wie sie in der Kommunikation die Komfortzone verlassen und so frei sind, den Fortschritt zu wagen. Diese Gespräche bilden den Schwerpunkt des Buches.
Für Sachar Klein (hy.pr) ist es ein No Go den Status Quo zu akzeptieren. ‘Stay Curious’ lautet seine Devise: “Man braucht eine gewisse Neugierde und die Bereitschaft, die Dinge anzunehmen und spielerisch damit umzugehen.” Klaus Eck (d.Tales) betont: “Ein guter Kommunikator muss wissen, wo die Entwicklung hingeht, damit er sich vorbereiten, experimentieren und umschwenken kann, falls es notwendig ist.” Für Daniel Nathrath (ada) “ist Disruption Fortschritt auf Speed” und als logische Konsequenz gehört alles, was das Gute ausbremst, zerstört. Verena Pausder (Fox & Sheep) fordert, dass sich jeder CEO mit potenziellen Angreifern seines Kerngeschäfts auseinander setzt. Sie stellt aber ernüchtert fest: “Das scheitert meistens schon beim ‘Wer'”. “Nicht mehr operative Fragen, sondern der ‘Purpose’ gehört in den Mittelpunkt der Unternehmenstätigkeit”, das rät Ernst Primosch (Hill + Knowlton) seinen Kunden. “Er appelliert an ein Umdenken in der Kommunikation: “Business-to-Customer und Business-to-Business werden jetzt durch Business-to-Human ersetzt.” Dr. Joana Breidenbach (Betterplace) räumt ein: “Wir machen auch mal Unsinnprojekte, die uns aber Spass machen, und lassen uns überraschen, welche Insights daraus entstehen.”
Flexibilität, Reaktionsfähigkeit und Proaktivität sind heute also gefragte Eigenschaften, für Unternehmen und Kommunikatoren. Nicht alle Ansätze und Ratschläge aus den 21 Porträts empfinde ich als wirklich disruptiv. Das hat aber auch eine gute Seite, der Begriff wird auch etwas entzaubert. Hängt man das Thema zu hoch auf, könnte der Mut, wirklich anzupacken, auf der Strecke bleiben. Was es im Grunde genommen bei aller Technologie braucht, sind zutiefst menschliche Eigenschaften: Neugierde, den Mut, neue Wege zu beschreiten, den Willen dran zu bleiben, aber auch Spass.
Disruptive Affairs
Es sind ganz spezifische Erfordernisse, die sich durch die Digitalisierung in allen Lebensbereichen ergeben. Im dritten Teil des Buches beschreiben die Autoren, was sie mit dem Buchtitel sagen wollen: “Disruptive Affairs sind eine Unterdisziplin der Organisationskommunikation. Dabei handelt es sich um die interne und externe Kommunikationsarbeit, die im Rahmen disruptiven Denkens eingesetzt wird, mit dem Ziel, im Zeitalter digitaler Transformation Akzeptanz und Vertrauen bei den relevanten Zielgruppen aufzubauen.” Dieser Definition füge ich hinzu, dass Kommunikation sich an den Zielen und Leistungen der Organisation ausrichtet. Digital Affairs allein machen ein Unternehmen und sein Angebot nicht disruptiv. Sie können aber mit interner Kommunikation markant zur Veränderung der Kultur beitragen. Diese fusst mit Blick auf die Digitalisierung auf:
- neuen Formen der Zusammenarbeit
- eine positive Fehlerkultur
- ein Verständnis von Hierarchie, das auf Kompetenzen und nicht auf Funktionen baut.
Mit dem disruptiven Z wird der Prozess dargestellt und soll dem Leser so in Erinnerung bleiben. Zum Schluss runden die 13 Eigenschaften disruptiv denkender Kommunikatoren die vorangegangenen Ausführungen auf gute Weise ab. Und zur Beschreibung der neuen Kommunikationsdisziplin gehört auch der, wenn auch eher summarische Blick, in die Bildung und Praxis.
Ich empfehle dieses sehr schön gestaltete Buch allen, die ihren Kopf mal wieder lüften und sich für neue Denkansätze öffnen wollen. Mit gut 160 Seiten reicht dafür ein verregnetes Wochenende.
Digital Affairs
Neue Denkansätze für Kommunikatoren im Zeitalter digitaler Transformation
Autoren: Gunnar Bender, Georg Milde, Jessica Pehlert
Fester Einband, 167 Seiten
Herausgeber: B&S Siebenhaar Verlag
Sprache: deutsch
ISBN: 978-3-943132-48-9
Preis: SRF 36.80, EUR 24.80 (ohne Gewähr)