Die Kluft zwischen Innovation und Gesellschaft ist zum neuen Treiber der Polarisierung geworden – das zeigt das Edelman Trust Barometer 2024. Die diesjährige Ausgabe der Umfrage untersucht die Einstellung der Bevölkerung zu Innovationen, befasst sich mit wirtschaftlichen Ängsten und der Einstellung zur Wirksamkeit von Regulierungen. Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Bedeutung von Transparenz, ethischer Führung und der Rolle der Wissenschaft, um neue Technologien einzuführen. Lesen Sie hier die wichtigsten Ergebnisse des Global Reports.
Der Edelman Trust Barometer 2024 ist eine umfassende Analyse des weltweiten Vertrauens in Institutionen wie NGOs, Unternehmen, Regierungen und Medien. Er untersucht jedes Jahr signifikante Veränderungen des Vertrauens in verschiedenen Ländern und Regionen und beleuchtet die Einstellungen der Bevölkerung. 32’000 Personen aus 28 Ländern haben teilgenommen. Im Zentrum stand die Frage:
Was wird die Gesellschaft dazu bringen, Innovationen zu akzeptieren oder abzulehnen?
David Edelman hat den Report am 16. Januar 2024 am Rande des diesjährigen Weltwirtschaftsforums WEF in Davos vorgestellt.
Vertrauen aus dem Gleichgewicht
Die Differenzen zwischen den Institutionen sind gross: So werden Regierungen als weit weniger kompetent und ethisch angesehen als die Wirtschaft. NGOs wird zwar das höchste Mass an Ethik zugeschrieben, bei der Kompetenz hapert es hingegen. Medien sind weiter ins Hintertreffen geraten, sie vermögen weder bei der Ethik noch bei der Kompetenz zu punkten – eine höchst bedenkliche Entwicklung, die in einem weiter rückläufigen Medienkonsum resultieren dürfte.
Generell ist das Vertrauen in Institutionen in den Entwicklungsländern stärker ausgeprägt. Das Vereinigte Königreich bildet zum ersten Mal das Schlusslicht der Vertrauensrangliste.
Den Führungspersönlichkeiten des Establishments wird nicht zugetraut, die Wahrheit zu sagen: 64 Prozent sagen dies von Journalisten und Reporterinnen (+3 % gegenüber dem Vorjahr), 63 Prozent von Staatsoberhäuptern (+1 %) und 61 Prozent von Wirtschaftsführerinnen (+2 %). Das Vertrauen schwindet also in allen drei Gruppen.
Anders verhält es sich mit der Wissenschaft und mit Menschen wie du und ich: Sie bewegen sich auf Augenhöhe. 74 Prozent vertrauen Peers und ebenso viele den Wissenschaftlern, dass sie die Wahrheit über neue Innovationen und Technologien sagen. Gerade mal 47 Prozent vertrauen Journalisten und tiefe 45 Prozent den Regierungschefinnen.
Die wirtschaftlichen Ängste bleiben, während die sozialen Ängste zunehmen. Einerseits gibt es persönliche wirtschaftliche Ängste wie Arbeitsplatzverlust oder Inflation. Hinzu kommen existenzielle gesellschaftliche Ängste vor dem Klimawandel, vor Hackern, vor einem Atomkrieg oder einem Informationskrieg. Am stärksten gestiegen ist die Angst vor ausländischen Angriffen auf unsere Medien, um Differenzen zu schüren (+6 %).
Innovation in der Gesellschaft
Unternehmen wird am meisten zugetraut, Innovationen in die Gesellschaft zu tragen. 66 Prozent trauen den Unternehmen zu, Innovationen in die Gesellschaft zu bringen und dafür zu sorgen, dass diese sicher, für die Öffentlichkeit verständlich, nützlich oder zugänglich sind. Die Zustimmung hängt jedoch vom Einkommen ab. Teilnehmende mit hohem Einkommen stimmen eher zu als Teilnehmende mit niedrigem Einkommen, von denen nur 53 Prozent ihr Vertrauen aussprechen.
Aufhorchen lässt mich folgendes Ergebnis, das ich gerade für die Kommunikation für wichtig halte:
Vertrauen in einen Industriezweig ist kein Garant für Vertrauen in die Innovationen der jeweiligen Industrie.
Der Edelman Trust Barometer 2024 hat vier Sektoren abgefragt. 72 Prozent vertrauen der Lebensmittelbranche (Food and Beverage). Innovationen aus dieser Branche werden jedoch skeptisch betrachtet. Nur 32 Prozent vertrauen Errungenschaften wie gentechnisch veränderten Lebensmitteln, schädlingsresistenten Nutzpflanzen oder schneller wachsenden Fischen. Auch der Gesundheitssektor (73 %) muss sich das Vertrauen für seine Entwicklungen hart erarbeiten. 50 Prozent glauben an genbasierte Medizin, mRNA-Impfstoffe, Gen-Splitting und Gentherapie.
Der Technologiesektor geniesst mit 76 Prozent das grösste Vertrauen. Entwicklungen, die uns gefühlt alle beschäftigen, stossen bei 50 Prozent auf Misstrauen. Die Rede ist von künstlicher Intelligenz, maschinellem Lernen, natürlicher Sprachverarbeitung und generativer KI. Nur im Energiesektor, dem 65 Prozent vertrauen, ist die Akzeptanz für die Innovationen mit 71 Prozent noch höher. Die Befragten haben offensichtlich Vertrauen in grüne Energie, Biokraftstoffe, flüssigen Wasserstoff sowie Wind- und Solarenergie.
Das Gefühl, dass wir sowohl von der Technologie als auch von der Gesellschaft im Stich gelassen werden, entsteht durch schlechtes institutionelles Innovationsmanagement. 54 Prozent sagen: “Die Technologie verändert sich zu schnell und auf eine Weise, die für Menschen wie mich nicht gut ist”. 69 Prozent beklagen: “Unsere Gesellschaft verändert sich zu schnell und nicht so, dass Menschen wie ich davon profitieren”.
Die Politik nimmt Einfluss
Neue Technologien müssen reguliert werden. Allerdings glauben 59 Prozent der Befragten, dass die staatlichen Regulierungsbehörden die neuen Technologien nicht ausreichend verstehen, um sie wirksam zu reglementieren. Gleichzeitig wird befürchtet, dass die Regierung zu viel Einfluss auf die Wissenschaft nimmt. 53 Prozent aller Befragten sind der Auffassung, dass die Wissenschaft politisiert worden ist. Besonders hoch ist die Zustimmung in China (67 %), den USA (67 %), Frankreich (60 %), Thailand (60 %) und Australien (59 %). Ausserdem hätten Regierungen und Organisationen, welche die Forschung finanzieren, zu viel Einfluss auf die Art und Weise, wie Wissenschaft betrieben wird. Dies sagen 59 % der Befragten weltweit und besonders viele in China (75 %), Malaysia (71 %), Indien (70 %), Mexiko (65 %) und Südafrika (65 %).
Die Angst vor einem schlechten Innovationsmanagement ist gross. Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, Regierungen und die Wissenschaft stehen mit unterschiedlichen Fragen im Fokus:
- Habe ich Vertrauen in die Art und Weise, wie Unternehmen und NGOs Innovationen in die Gesellschaft einführen?
- Kann der Staat neue Technologien regulieren?
- Ist Wissenschaft unabhängig von Politik und Geld?
39 Prozent sagen nein, 22 Prozent glauben, dass Innovation gut gemanagt wird. Weitere 39 Prozent sind indifferent und sagen weder ja noch nein. Zur kritischsten Gruppe gehören übrigens Männer über 55 Jahre, bei den Ländern sind dies die USA (56 %), Australien (50 %) und mit je 49 % Deutschland und das Vereinigte Königreich.
Wenn Institutionen mit Innovationen nicht richtig umgehen, führt dies zu mehr Ablehnung und weniger Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Technologien. Es gibt aber noch einen weiteren Faktor, der die Akzeptanz von Innovationen stark beeinflusst: die politische Einstellung. So ist die Ablehnung im rechten Spektrum deutlich höher. Weltweit lehnen 27 Prozent der Rechten grüne Energie, künstliche Intelligenz, genbasierte Medizin und GVO-Lebensmittel ab. Bei den Linken sind es 20 Prozent, was einem Delta von 7 Punkten entspricht. Betrachtet man die Länder, so sind in den USA rechts 53 Prozent dagegen (links 12 % dafür, Differenz 41 Punkte), in Australien 37 Prozent (vs. 14 % bzw. 23 Punkte), in Deutschland 47 Prozent (vs. 27 % bzw. 20 Punkte).
Wenn die Institutionen die Innovation nicht richtig steuern, werden die Gerechtigkeit und der Kapitalismus infrage gestellt. Dass die Reichen vom System bevorzugt werden, glauben 82 Prozent. Immerhin 53 Prozent der Menschen, die überzeugt sind, dass die Innovation gut gemanagt wird, stimmen dieser Meinung ebenfalls zu. 57 Prozent der Kritiker sagen, dass der heutige Kapitalismus der Welt mehr schadet als nützt, 40 Prozent derer, die mit dem Innovationsmanagement zufrieden sind, stimmen dem zu.
Die Wissenschaft in der Gesellschaft neu beleben
Wer sollte bei der Einführung von Innovationen in unserem Land eine wichtige Rolle spielen? Der Edelman Trust Barometer 2024 zeigt die fünf am häufigsten genannten von insgesamt elf Gruppen. Von Wissenschaftlerinnen (77 %) und Experten (74 %) wird erwartet, dass sie die Führung übernehmen und Innovationen vorantreiben. Es folgen Akademikerinnen und Lehrer (66 %), CEOs, die Innovationen einführen (60 %) und Regierungsmitglieder (60 %).
Die Beteiligung der Wissenschaft kommt einem Gütesiegel gleich, denn sie erhöht die Akzeptanz von Innovationen deutlich. Bei denjenigen, die ein hohes Vertrauen darin haben, dass jede Innovation von Wissenschaftlern und Ethikerinnen geprüft wurde, ist auch die Bereitschaft zur Annahme grösser.
Doch es gibt ein Hindernis. 45 Prozent der Befragten sagen: “Wissenschaftler wissen nicht, wie sie mit Leuten wie mir kommunizieren sollen”. In Deutschland sind es 41 Prozent. Die Befragten recherchieren selbst und erwarten Informationen, denen sie vertrauen können. Diese finden sie am häufigsten durch Online-Recherchen (59 %), 51 % suchen in sozialen Medien und ihrem Netzwerk, 47 % lesen nationale Medien, 40 % verlassen sich auf Informationen von Freunden und Familie und 39 % schauen in lokale Medien.
Vertrauen in den Wandel schaffen
Welche Massnahmen helfen, Vertrauen in Innovationen zu schaffen? Der Edelman Trust Barometer 2024 nennt jeweils drei Vorschläge für Unternehmen, NGOs, Regierungen und Medien.
Eine vertrauensbildende Verhaltensweise ist jedoch bei allen gleich: Die Betroffenen wollen mitreden. Sie fordern: “Hört uns zu, lasst uns Fragen stellen!” Das führt zu einer deutlich höheren Akzeptanz bei denjenigen, die spüren, dass Menschen wie sie grossen Einfluss darauf haben, wie sich Innovationen auf ihr Leben auswirken.
Eine weitere Forderung ist eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik. 60 Prozent sagen: “Wenn die Wirtschaft mit der Regierung zusammenarbeiten würde, hätte ich mehr Vertrauen in den technologischen Wandel”. In der Umfrage 2015 waren noch 45 Prozent dieser Meinung. Diese Zusammenarbeit führt auch zu einem deutlich höheren Vertrauen in eine wirksame Regulierung.
CEOs müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und sich mit den Auswirkungen von Innovationen auf die Gesellschaft auseinandersetzen. 62 Prozent erwarten von CEOs, dass sie den Wandel in der Gesellschaft und nicht nur den Wandel im eigenen Unternehmen vorantreiben. Die Mitarbeiter halten es für wichtig, dass ihre CEO öffentlich über Themen spricht, die sie betreffen. Dabei denken sie an die beruflichen Qualifikationen der Zukunft, den ethischen Umgang mit Technologie und die Auswirkungen der Automatisierung auf die Mitarbeiter.
Vier Erkenntnisse aus dem Edelman Trust Barometer 2024
Der Bericht schliesst mit vier Schlussfolgerungen:
- Die Umsetzung ist genauso wichtig wie die Erfindung:
Schlecht eingeführte Innovationen können sowohl die Ursache für Rückschläge als auch für Fortschritte in der Gesellschaft sein. Es ist wichtig, die wissenschaftlichen Grundlagen zu erklären und die Folgen von Durchbrüchen wie künstlicher Intelligenz, Impfstoffen und grüner Energie zu gestalten.
- Unternehmen müssen Partner des Wandels sein:
Der Wirtschaft wird am ehesten zugetraut, Innovationen in die Gesellschaft zu tragen, vor allem gemeinsam mit der Regierung. CEOs müssen Arbeitsplätze schützen und zu neuen ethischen Fragen Stellung beziehen.
- Wissenschaft muss sich in der Gesellschaft engagieren:
Wissenschaftlerinnen geniessen nach wie vor Vertrauen, werden aber zunehmend von der Öffentlichkeit hinterfragt. Um das Vertrauen in Expertenempfehlungen zu stärken, gilt es, Forschung zu erklären, den Dialog zu suchen und die Stimmen von Fachkollegen als Fürsprecher zu nutzen.
- Gib mir die Kontrolle über meine Zukunft:
Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass sie die Kontrolle darüber haben, wie sich Innovationen auf ihr Leben auswirken, werden sie diese eher annehmen als sich dagegen wehren. Hören Sie sich die Bedenken an, seien Sie offen für Fragen.
Mehr zur Vertiefung
Edelman-CEO David Edelman hat den Edelman Trust Barometer 2024 am 16. Januar 2024 am Rande des Weltwirtschaftsforums WEF in Davos vorgestellt. Der Präsentation folgte eine Podiumsdiskussion:
Hier finden Sie den Global Report zum kostenlosen Download. Link zur Medienmitteilung.