Ein Newsroom für die Unternehmens-Kommunikation? DATEV macht’s vor. (Update)

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Christian Buggisch, Leiter Corporate Publishing DATEV

Viele Medienhäuser organisieren ihre Redaktionen in Newsrooms, warum nicht auch Unternehmen? Schon vor Jahren hat Tom Foremsky gesagt: „Every company is a media company“. Die Komplexität von Inhalten, Medien und Kanälen zwingt Unternehmen, sich zu organisieren. Doch wie sieht das heute, mal abgesehen von Coca-Cola und Red Bull aus? Ich habe auf Twitter gefragt, welche Unternehmen in einem Newsroom arbeiten. Gemeldet hat sich Christian Buggisch, Leiter Corporate Publishing bei DATEV.

Dieser Beitrag wurde erstmals am 5. Februar 2015 veröffentlicht. Lesen Sie auch diese Updates: Der Newsroom von Datev: Erfahrungen acht Monate nach dem Start. Wenn Sie wissen wollen, wie der Newsroom die Kommunikation bei Datev 3.5 Jahre später verändert hat, springen Sie direkt auf das Kurzinterview mit Christian Buggisch am Ende dieses Beitrags.

DATEV ist ein Unternehmen das IT-Lösungen anbietet und als Genossenschaft über 40’000 Mitglieder hat. Um es vorwegzunehmen: Die Rede ist in diesem Artikel nicht von einem Social Media Newsroom, sondern von der Organisation und Koordination der Zusammenarbeit aller Kommunikationsdisziplinen im Newsroom.

DATEV ist in verschiedenen sozialen Medien aktiv. Neben bekannten Plattformen wie Xing, Youtube, Twitter, Facebook und Google+, gehören auch kununu, Flickr und Instagram zum Social-Media-Portfolio. Auch in der Blogosphäre ist DATEV mit verschiedenen, zielgruppenspezifischen Blogs vertreten. Dazu gehören der DATEV-Blog für DATEV-spezifische Informationen, der TRIALOG-Blog für Unternehmer und der Karriere-Blog. Hinzu kommen Kundenpublikationen, Newsletter, Medienarbeit usw. Alle diese Aktivitäten gilt es zu bündeln und inhaltlich-strategisch in eine Richtung zu trimmen, der Newsroom klingt wie eine logische Lösung. Doch lassen wir Christian Buggisch selber zu Wort kommen:

Wie kam es zur Idee, einen Newsroom einzurichten?

Wir haben vor ungefähr zweieinhalb Jahren unsere Marketing- und Kommunikations-Hauptabteilung umorganisiert. Seitdem gibt es dort “meine” Abteilung Corporate Publishing mit drei Teams: Online-Kommunikation, Zeitschriften-Kommunikation und Service-Kommunikation. Diese Teams gab es in dieser Form schon vorher, insofern ist da viel historisch gewachsen, aber sie waren nicht in einer Abteilung gebündelt. Vor gut einem Jahr habe ich ein Projekt aufgesetzt, um die vorhandenen Strukturen und Prozesse – ergebnisoffen – auf den Prüfstand zu stellen. Dabei wurde früh deutlich, dass das Newsroom-Konzept bei einer Neu-Organisation hilfreich sein könnte, und das hat sich dann letztlich bestätigt.

Wie dürfen wir uns den Newsroom bei DATEV vorstellen?

Es wird künftig bei uns die „klassischen“ Newsroom-Elemente geben: Das Strategieteam, Themendesks, Mediendesks und den Chef vom Dienst (CvD). Organisatorisch wird es weiterhin drei Teams geben, die aber anders zusammengestellt werden: Zwei Teams betreuen die Themendesks, ein Team ist für die Mediendesks zuständig. Es wird zwei CvDs geben, die unabhängig von den Teams direktberichtend bei mir organisiert sind. Start des Ganzen soll zwischen April und Sommer 2015 sein, der Newsroom wird ca. 40 Mitarbeiter umfassen.

Strategieteam: Mitglieder sind im Prinzip die Führungskräfte, also meine drei Teamleiter und ich. Hier liegt die Budget- und Personalverantwortung, wir machen das Controlling und sind sowohl Eskalations- und finale Entscheidungsinstanz wie auch die Brücke ins Top-Management (Geschäftsleitung und Vorstand).

Themendesks: Hier geschieht die inhaltlich-thematische Arbeit. Das was im angloamerikanischen Journalismus die „Reporter“ sind, sind bei uns die Redakteure. Ein Themendesk befasst sich zum Beispiel mit Produkten. Hier werden alle Inhalte, News, Produktbeschreibungen und Servicedokumente zu unseren Softwareprodukten erstellt. Ein anderes Themendesk hat Personal und Soziales als Schwerpunkt. Das umfasst den Karrierebereich im Web, Stellenanzeigen sowie interne und externe Mitarbeiterthemen.

Mediendesks: Der laufender Betrieb und Weiterentwicklung unserer Medien umfasst ein breites Spektrum. Das reicht von der Heftplanung und -Realisierung unserer Kundenzeitschrift (im Zeitschriften-Desk) bis hin zum Relaunch der Corporate Website (im Online-Desk). Für Blogs und soziale Medien gibt es ein eigenes Social Media-Desk.

Chef vom Dienst (CvD): Er ist für die Koordination zwischen den Desks verantwortlich, aber auch erster Ansprechpartner für die Fachabteilungen im Haus. Er weiss über alle Themen und Aktivitäten Bescheid und entscheidet im Zweifelsfall über Prioritäten. Zudem leitet er die Redaktionskonferenz.

Wie das dann im Zusammenspiel aussieht zeigt die Infografik unten aus dem Blog von Christian Buggisch.

Ist im Newsroom die gesamte DATEV-Kommunikation beisammen oder gibt es noch Aussenstellen?

Es gibt weitere Kommunikationsaufgaben im Unternehmen, die organisatorisch unabhängig sind, zum Beispiel die Presse als Stabsstelle beim Vorstandsvorsitzenden. Die Kollegen nehmen aber ebenfalls an den Redaktionskonferenzen teil, insofern ist eine Abstimmung sichergestellt.

Wie soll sich die Zusammenarbeit mit dem Newsroom verändern?

Wir verfolgen verschiedene Ziele. Einerseits wollen wir Redundanzen vermeiden, denn bislang arbeiten oft mehrere Redakteure am selben Thema für unterschiedliche Medien. Dann streben wir auch eine engere Vernetzung der Teams untereinander an. Auf thematischer Ebene

wollen wir die Redakteure für weitere, neue Themen aktivieren, zum Beispiel die interne Kommunikation. Insgesamt geht es darum, eine zukunftsfähige Organisation der Kommunikationsabteilung aufzubauen, die auch bei steigender Kanalvielfalt, Medien- und Themenkomplexität eine hervorragende Kommunikation sicherstellt.

Kannst du mir etwas zu den Hoffnungen und allfälligen Bedenken sagen?

Bei der Planung des Newsrooms ging es vor allem darum bestehende, historisch gewachsene, Silos aufzulösen und für mehr Vernetzung zu sorgen. Bedenken gab es auch, zum Beispiel, dass Medien-Know-how in den Themendesks verloren geht und umgekehrt, oder dass durch häufige ausufernde Redaktionskonferenzen die Produktivität sinken könnte.

Mit welchen Tools arbeitet ihr im Newsroom?

Wir haben die vorhandenen Tools im Projekt bewusst aussen vor gelassen, also zum Beispiel nicht versucht, die CMS-Landschaft zu konsolidieren (das wäre ein eigenes Projekt). Die notwendige Planung im Newsroom wird über Sharepoint realisiert, das wir intern bereits intensiv nutzen.

Ab welcher Organisations- resp. Kommunikationsteam-Grösse macht ein Newsroom Sinn?

Gute Frage. Bei unserer Grösse ist das sicher sinnvoll. Ich denke, schon bei wenigen Mitarbeitern kann es sinnvoll sein, sich mit den grundlegenden Gedanken der Newsroom-Organisation auseinanderzusetzen, ohne das Ganze unbedingt organisatorisch (oder gar räumlich) realisieren zu müssen.

Wie werden Themenplanung und Agenda-Setting ganz konkret funktionieren?

Für die Themenplanung gibt es vielfältigen Input aus dem Haus: etwa die jährliche Vermarktungs- und Vertriebsplanung, regelmässige Kommunikationsanlässe wie Messen und Veranstaltungen, Corporate Messages aus der PR, eigene Recherche etc. Dieser Input wird von CvDs und Themendesks verarbeitet, in eine mittel- und kurzfristige Planung gegossen und dann realisiert.

Wie fliessen Monitoring,  Erfolgskontrolle und die Echt-Zeit-Kommunikation in den sozialen Medien ein?

Die Erkenntnisse aus den Monitorings fliessen in die Redaktionskonferenzen und damit letztlich in die Themenplanung ein.

Die sozialen Medien spielen sowohl in den Themen- als auch in den Mediendesks eine Rolle: In den Themendesks werden die Themen auch für Soziale Medien aufbereitet und im Zweifelsfall auch dort publiziert. Zum Beispiel in unseren Blogs oder auf Twitter. Bei den Mediendesks gibt es ein eigenes Mediendesk “Social Media”. Hier findet das statt, was wohl üblicherweise ein Social Media Manager macht: Social Media Strategie, Auswahl, Pflege, Weiterentwicklung der Plattformen, Erfolgskontrolle, Schulungen etc.

Woran muss jemand, der einen Newsroom evaluiert denken?

Es ist – oder war zumindest bei uns – ein grosses Change-Projekt. Daher sollte man nicht nur darauf achten, sich mit Theorie und Praxis des Newsrooms auseinanderzusetzen, sondern auch die Mitarbeiter von Anfang an einzubeziehen und “mitzunehmen”. So einen Newsroom einzuführen ist nicht nur fachliche Arbeit, sondern vor allem auch Führungsarbeit. Sonst hat man irgendwann einen Newsroom, aber keine Mitarbeiter, die hinter dem Modell stehen.

Wenn das Budget keine Rolle spielen würde, wie würde der Newsroom dann aussehen?

Ich vermute, du meinst: räumlich? Ein Open Space, ein grosser Kommunikationsraum, der Kommunikation fördert statt zu verhindern (wie geschlossene Türen von Einzelbüros), der gleichzeitig aber auch Rückzug und konzentriertes Arbeiten ermöglicht, in dem gemeinsam an Themen und Medien gearbeitet wird, mit einer zentralen Besprechungszone, um sich oft, schnell und kompakt austauschen zu können.

Was möchtest du meinen Lesern, die das Thema angehen möchten, mit auf den Weg geben?

Es lohnt auf jeden Fall, sich das – ursprünglich ja journalistische – Konzept anzuschauen und zu überprüfen, ob es für die eigene Unternehmenskommunikation Vorteile bringen kann. Und zwar ergebnisoffen, denn es nützt nichts, ein Konzept zu adaptieren, nur weil es gerade modern ist.

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Themendesks, Mediendesks und CvD im Newsroom – Modell nach Prof. Christoph Moss (http://www.mediamoss.com)

 

Noch mehr Interesse an diese Thema? Christian Buggisch hat in seinem eigenen Blog einen lesenswerten Beitrag verfasst: Der Social Media Manager im Newsroom-Kontext.

Dreieinhalb Jahre später: Was der Newsroom gebracht hat

Welche Veränderungen und vor allem auch welche Verbesserungen bringt ein Newsroom? Dazu habe ich Christian Buggisch nochmals befragt:

Lässt sich nachvollziehen, ob Beiträge, Themen und Botschaften mit Einführung des Newsrooms beim Publikum besser ankommen und was sich verändert hat?

Ich glaube, wir haben schon vor Einführung des Newsrooms hervorragenden Content produziert, der bei den Zielgruppen ankam, und tun das heute noch. Ziel der Newsroom-Einführung war nicht, die Qualität der Inhalte zu verbessern, sondern interne Silos (Print/Online, Interne/Externe Kommunikation) einzureißen, den Austausch untereinander zu verbessern, Redundanzen abzubauen und eine effiziente, widerspruchsfreie Kommunikation sicherzustellen. Dabei hat uns der Newsroom deutlich vorangebracht.

Wie verschafft sich ein Unternehmen bei einem Publikum, von dem man sagt, dass es unter dem Content-Shock leidet, Gehör und Aufmerksamkeit? Haben sich Definition und Ansprache von Stakeholdern verändert?

Durch Relevanz und eine erstklassige Aufbereitung der Inhalte, verstärkt durch einen zunehmenden Budget-Einsatz für Paid Media in Zeiten immer weiter sinkender organischer Reichweite. Denn die schönsten im Newsroom produzierten und publizierten Inhalte nützen nichts ohne Reichweite in der Zielgruppe.

Gibt es Anzeichen, dass Inhalte von Unternehmen vermehrt auch Aufgaben erfüllen, welche zuvor unabhängige, aber jetzt geschwächte, Medien geleistet haben?

Ja und nein. Ein Indiz dafür ist zum Beispiel, dass immer mehr Unternehmen Journalisten in ihren Kommunikationsabteilungen einstellen (wir auch). Zugleich möchte ich widersprechen: Ich denke nicht, dass Unternehmen jemals in Sachen unabhängiger Berichterstattung mit klassischen journalistischen Medien konkurrieren, denn Unternehmenskommunikation verfolgt immer Ziele und ist immer abhängig. Kurzum: Kommunikatoren in Unternehmen arbeiten journalistischer, haben aber einen ganz anderen Auftrag als Journalisten.

Die Fragen wurden schriftlich gestellt. Christian Buggisch hat im Dezember 2018 geantwortet.

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6 Kommentare zu “Ein Newsroom für die Unternehmens-Kommunikation? DATEV macht’s vor. (Update)

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