Immer wieder werde ich von Studenten für Interviews und Umfragen kontaktiert. Einer davon ist Bruno Petrino zurzeit Absolvent des Master in Business Engineering an der HWZ Hochschule für Wirtschaft in Zürich. Er schreibt seine Master-Thesis zum Thema „Einsatzmöglichkeiten von Social Media im Detailhandel und am Point of Sale.“ In der Beantwortung solcher Anfragen steckt doch einiges an Zeit und da ich der Meinung bin, dass einige Antworten auch für meine Leser interessant sind, veröffentliche ich dieses Interview hier nach Rücksprache mit Bruno Petrino.
Könnten Sie mir bitte einen kurzen Einblick in Ihre berufliche Tätigkeit geben?
Ich arbeite als selbstständige PR-Beraterin und unterstütze meine Kunden in der Gesamtkommunikation mit Schwergewicht auf PR im Social Web. Dabei geht es primär um Aufklärung mit Workshops, worum es im Social Web geht, das Coaching für die ersten Schritte, die gemeinsame Festlegung der Strategie und Beratung bei der Umsetzung. Ein weiteres Standbein ist die Erwachsenenbildung, ich unterrichte an verschiedenen Fachhochschulen und halte regelmässig Referate.
Wie würden Sie den Begriff Social Media in Ihren eigenen Worten beschreiben?
Soziale Medien erlauben jedermann, dank technisch niederschwelligem Zugang, Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement zu betreiben (nach Jan Schmidt). Zur rasanten Verbreitung und der zunehmend mobilen Nutzung und Echtzeitkommunikation haben insbesondere technische Errungenschaften wie Smartphones, allen voran das iPhone und Pads beigetragen. Weil diese Geräte sind sehr einfach zu nutzen sind, eröffnen sie auch der älteren Generation den Zugang zu verschiedensten Online-Angeboten und letztlich auch Social Media.
Was muss an der Kommunikation mit unseren Kunden durch den Einsatz von Social Media geändert werden?
Diese Frage kann man eigentlich nur auf einen konkreten Fall beziehen von dem man weiss, was bisher gemacht wurde. Ich probiere es einmal mit einer generellen Antwort.
Im Gegensatz zur Zeit der Internet-PR (Website als Visitenkarte im Web mit Kontaktformular) findet heute eine Öffnung statt. Kunden nutzen die sozialen Medien für ihre Anliegen, egal ob ein Unternehmen einen eigenen Auftritt betreibt oder nicht. Heute muss ein Unternehmen mehr denn je fast in Echtzeit zuhören und jedes Mal neu evaluieren ob und welche Intervention und Interaktion gefragt ist. Dabei muss es Offenheit und Transparenz an den Tag legen und zwar in Bezug auf die internen Prozesse, die sich ändern können, als auch in Bezug auf externe, möglicherweise auch überraschende oder ärgerliche Anliegen, die an die Organisation herangetragen werden.
Wie geht man mit Mehrsprachigkeit um?
Das hängt primär von den Anspruchsgruppen und den Ressourcen der Organisation ab. Je nach Grösse der Anspruchsgruppe kann aus Ressourcengründen eine weitere Sprache zurückgestellt werden.
Die verschiedenen Plattformen lassen die Mehrsprachigkeit nur bedingt zu. Bei Twitter sollten sprachgetrennte Profile aufgebaut werden. Bei Facebook lässt sich in der gleichen Seite sprachgesteuert kommunizieren. YouTube, Flickr, Xing, LinkedIn und Bookmarks lassen eine Sprachweiche nicht zu. Beim Blog sollte eine Sprachweiche eingebaut werden.
Die Schweizerische Post kommuniziert in vier Sprachen, ich würde dieses Beispiel mal anschauen. Zudem gibt es am 29. Mai zum Thema “Unternehmenskommunikation im mehrsprachigen Markt” beim iam in Winterthur einen (kostenlosen) Anlass.
Welches sind die grössten Herausforderungen bei der Verwendung von Social Media in der Praxis?
Es hiess schon immer, „PR begins at home“ und heute muss das wirklich gelebt werden. Die interne Kommunikation, die (möglicherweise angepassten) Prozesse und der Rückhalt durch das Management müssen gesichert sein, damit eine breit abgestützte und interdisziplinäre Zusammenarbeit überhaupt möglich wird. Die verantwortlichen Personen brauchen die Kompetenz zu handeln und dazu die nötigen Ressourcen.
Welche Prozesse und Leute müssten dafür angepasst und geschult werden?
Meist sind es Altlasten, die auftauchen; das Abteilungs- und „Gärtchen-Denken“ muss aufgelöst werden. Dann sollte pro Unternehmensbereich eine Social-Media und kommunikationsaffine Person gefördert werden. Bei Mitarbeitern in Führungspositionen wird künftig die Kommunikations- und Auftrittskompetenz eingefordert.
Worin liegt der der echte Mehrwert?
In der Feedbackschlaufe. Unternehmen haben heute die Möglichkeit herauszufinden, wie Kunden mit ihren Produkten umgehen. Wir müssen uns aber vor Augen halten, dass wir uns hier erst in einer Anfangsphase befinden. Heute sind nach meinem Dafürhalten Kunden schon überrascht und happy, wenn sie auf Twitter eine schnelle Antwort bekommen im Sinn von „Wow, das funktioniert ja wirklich“. Die Möglichkeit von Crowdsourcing und Crowdinnovation, wie das z.B. Starbucks macht, sind schon beachtlich. So etwas muss man auch nicht unbedingt selber aufbauen, Atizo ist eine eigene Brainstorming Community, bei der sich Unternehmen mit ihren Projekten anmelden können.
Unternehmen können Online einen Informationsfluss herstellen. Schwierige Themen können in mehreren Beiträgen z.B. auf dem Blog aufgebaut werden. Solche Beiträge haben zwei Generationen, die erste bei der Veröffentlichung, die zweite bei der Recherche. Ein Journalist, Blogger oder eine andere interessierte Person, die sich mit einem Thema beschäftigen, werden die vergangenen Beiträge eines Blogs lesen (oder scannen) und erkennen, dass sich eine Organisation bereits länger und nachhaltig mit einem Thema auseinandergesetzt hat. Das trägt zur Glaubwürdigkeit bei.
Zudem kann eine Organisation durch die Kommunikation auf verschiedenen Kanälen (Twitter Facebook, Flickr, YouTube, Google+, Kununu usw.) eine Vielzahl von Kontaktpunkten schaffen. Meist braucht es mehrere Kontakte und ein Gefühl von einem déjà-vu, damit eine Handlung ausgelöst wird.
Was muss bei der Data-Monitoring besonders berücksichtigt werden? Welche Tools verwenden Sie?
Ich verwende für mich kein professionelles Tool, sondern lese Blogs und ausgesuchte Twitter-Accounts via RSS-Reader (Google). Ich lese Twitter, je nachdem auch nach Listen oder #. Dann beobachte ich die Insights bei Facebook und nutze Twittercounter. Twentyfeet bringt mir Resultate über verschiedene Plattformen und Google Analytics dürfen für die Messung der eigenen Plattform nicht fehlen. Klout nutze ich dezidiert nicht und habe mich vom Dienst, der Aussagen über den Einfluss von Onlinern machen soll, wegen seinem undurchsichtigen Messverfahren schon vor einigen Monaten abgemeldet.
Können Sie mir einige gute und schlechte Praxis Beispiele nennen? Was sind die häufigsten Denkfehler?
Nein, das kann ich nicht, weil wir von aussen ja keinen Einblick haben, welche Ziele verfolgt werden und wie die Strategie aussieht. Ein guter Case wäre ein Unternehmen, das integriert, crossmedial und vernetzt unterwegs ist und hier alles richtig macht. Social Media ist ein Teil der Gesamtkommunikation und ich habe bei keiner Organisation den Gesamtüberblick. Mit meiner Interview-Reihe komme ich der Praxis etwas näher, indem ich auch einen Blick “hinter die Kulissen” erhalte. In meinen Bookmarks speichere ich Elemente aus der Praxis. Pauschal bewerten würde ich aber nicht.
Ich stelle aber häufig fest, dass die Online-Kommunikation zu isoliert auf der Ebene von Anwendungen wie Facebook, Twitter & Co. betrachtet wird. Oft kommt dann das Aha-Erlebnis wenn festgestellt wird, dass die sozialen Medien auch in die Website integriert werden müssen, was nicht selten einen Relaunch der ganzen, ohnehin in die Jahre gekommenen Seite, nach sich zieht. Zudem ist Online-Kommunikation meist tief greifender, als zu Beginn angenommen wird, weil sie bald einmal in die internen Prozesse eingreift. Fragen zu Dienstleistungen und Produkten können in der Regel am besten und glaubwürdigsten von den Produktverantwortlichen selber beantwortet werden. Damit die Antworten schnell kommen, müssen die internen Abläufe aufgebaut oder optimiert werden.
Gibt es aus Ihrer Sicht einen Unterschied mit dem Umgang mit Social Media zwischen dem Detailhandel und andere Branchen?
Der Detailhandel ist näher beim Kunden. Das Tempo ist hier höher wie z.B. im B-to-B-Bereich, wo das Ziel eher darin liegen kann, sich als Kompetenzzentrum zu positionieren. Beim Detailhandel treten vermutlich eher kleinteilige Themen und viele individuelle Anliegen auf, die Support-intensiv sind.
Sehen Sie neue Einsatzmöglichkeiten durch die Verwendung mobiler Endgeräte?
Mobile Endgeräte leben vom Moment: Mobile Shopping wie das Coop an der Bahnhofbrücke in Zürich macht, sind eine Lösung (Vor Ort scannen und nach Hause bringen lassen).
Geobasierte Dienste wie Foursquare haben das Potenzial, Kunden, die in der Nähe sind, mit speziellen Angeboten zu locken. Eine Vielzahl von Apps (z.B. SBB, Local, und Cross-Channel-Lösungen wie jene von Ex Libris) bringen einen echten Mehrwert für die Nutzung unterwegs. Organisationen vergessen, auch bei der Neukonzipierung ihrer Website, immer noch viel zu oft, dass diese letztlich auch über mobile Endgeräte angeschaut wird. Ein Responsive Design gehört für mich heute zur Pflicht jeder neu gemachten Website.
Dabei muss aber auch immer im Bewusstsein gehalten werden, dass die Bekanntgabe des eigenen Aufenthaltsortes bei vielen Anwendern auf grosse Skepsis stösst.
Wie könnte das Einkaufserlebnis in Einkaufscentren und an den Kassenzonen, durch Social Media, gesteigert werden?
Erlebnis im Sinn von Spass kann durch Augmented Reality gesteigert werden.
Erlebnis im Sinn von Nutzen und Wow-Effekt durch Dienste, die Hilfe bei der Orientierung bieten: Wo gibt es welche Geschäfte mit Route dorthin, Preisvergleich von Produkten, Selfscanning mit dem eigenen Smartphone und dadurch Aufbau einer persönlichen Einkaufsliste, Scan von Produkten und Anzeige des passenden Rezeptes oder der Verwendung dazu usw.
An den Kassenzonen reicht es mir schon, wieder mal Twitter lesen zu können ;-) (Natürlich freue ich mich über ein frei zugängliches WLAN)
Wie werden wir aus Ihrer Sicht in 5-10 Jahren mit Social Media umgehen?
Sie werden Teil unseres Lebens sein, bei manchen mehr, bei anderen weniger. So wie heute die einen eher Fernsehen und die anderen Radio oder die Zeitung bevorzugen. Social Media wird Teil eines Angebotsmixes sein und in 5-10 Jahren auch nicht mehr Social Media heissen, weil das social eine Selbtverständlichkeit in jeder Online-Anwendung sein wird. Wir werden dann wohl einfach von Online sprechen.
Hallo Frau Schindler,
in einem Punkt möchte ich einhaken: “YouTube, Flickr, Xing, LinkedIn und Bookmarks lassen eine Sprachweiche nicht zu”
Bei LinkedIn kann man durchaus mehrsprachige Profile anlegen (1). Dieses hat mehrere Vorteile: Zum einen wird jeder Besucher in seiner eingestellten Sprache begrüßt.
Desweiteren kann man unterschiedliche Profil Slogan nutzen, die widerum in das Ranking bei LinekdIn überproportional nutzt. Als letztes kann man Schlüsselwörter besser streuen (bei Ihnen: Englisches Profil. Human Ressources und HR, Deutsches Profil: Personal). So wird man über alle Wörter gefunden, ohne sein Profil zu überfrachten.
Also sollte man Möglichkeiten der Multlingualität dringend nutzen, wenn sie geboten werden.
lG
Stephan Koß
(1) http://linkedinsiders.wordpress.com/2010/11/06/multlinguales-profil-erstellen/
Vielen Dank für diesen wertvollen Hinweis und wenn ich das richtig sehe, dann klappt das auch mit Unternehmensprofilen, oder?
Oups, habe die Rückfrage heute erst gesehen. Ja das geht, Unternehmensprofile können in (ich glaube 43) mehreren Sprachen angelegt werden:
http://linkedinsiders.wordpress.com/2012/07/04/mehrsprachige-unternehmensprofile-bei-linkedin/
Produkte und Serviceleistungen müssen getargeted werden (Alos: Basis wird in Englisch ertsellt und dann nach Zielgruppe etc.)
http://linkedinsiders.wordpress.com/2012/02/19/mehrsprachigkeit-unternehmensprofil/
lG
Stephan Koß
Kein Problem. Danke für den Input!