Ende Mai, und damit früher als üblich, ist der European Communication Monitor 2019 (ECM 19) erschienen. Die dreizehnte Ausgabe beleuchtet fünf drängende Themen für Kommunikationsverantwortliche: Vertrauen, Transparenz, Interessenvertretung, Content-Strategien und Künstliche Intelligenz. Dafür sind aus 46 europäischen Ländern 2’883 verwertbare Fragebogen eingegangen, etwas weniger als ein Drittel davon aus Westeuropa (Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien, Liechtenstein, Luxemburg, Niederlande).
Hans Koelmann, Präsident der European Association of Communication Directors, bringt die Herausforderungen für den Berufsstand auf den Punkt: “Das breite Themenspektrum des ECM 19 spiegelt die Rolle der heutigen Kommunikatoren wider. Wir sind angehalten, alles zu überblicken – alle Interessengruppen, alle gesellschaftlichen Entwicklungen – und wir müssen zuhanden unserer Organisationen, CEOs und Kollegen in der Führung übersetzen.”
Wir können Change Agents, strategische Unternehmensberater, Leader bei der Entwicklung des Zwecks von Organisationen und Konnektoren sein.
Damit das klappe, brauche es das Vertrauen derer, mit denen wir täglich interagieren: Journalistinnen, Influencer, Führungskräfte und Öffentlichkeit. Darum war die Frage nach dem Vertrauen ein Kernthema der diesjährigen Befragung.
Die Vertrauensfrage …
Das Vertrauen in die Kommunikation und PR wurde aus drei Perspektiven untersucht:
- Makroebene: Vertrauen in den Beruf
- Mesoebene: Vertrauen in Kommunikationsabteilungen oder Agenturen
- Mikroebene: Vertrauen in die Kommunikationsverantwortlichen selber.
… in die Kommunikation
In vielen europäischen Ländern nimmt das Vertrauen in Massenmedien und Journalismus ab. Es stellt sich also die Frage, ob dies auch für PR-Profis gilt, welche im Namen von Unternehmen, NPOs, Regierungen, politischen Parteien usw. kommunizieren. Die Frage mit Blick auf die Makro-Ebene lautete: “Wie sehr vertrauen die folgenden Gruppen der Öffentlichkeitsarbeit oder dem Kommunikationsberuf in Ihrem Land?” Das kommt ganz darauf an, kann man sagen. Generell schenken Top Executives, aber auch Influencer und Bloggerinnen eher Vertrauen, Journalisten und die allgemeine Öffentlichkeit sind hingegen zurückhaltender. Junge Berufstätige erhalten ein stärkeres Vertrauen von Influencern, Bloggern, Journalistinnen und der breiten Öffentlichkeit als ihre älteren Kolleginnen. Und wenn man auf der Grafik sieht, wie wenig Journalisten den über 60jährigen vertrauen, dann wird klar, dass es Zeit ist für einen Generationenwechsel. Das Internet und vor allem die Social Media haben die Medienarbeit verändert, “alte Schule” ist nicht mehr gefragt.
Kommunikationsabteilungen in staatlichen Organisationen erfahren ein deutlich geringeres Mass an Vertrauen in den eigenen Reihen und durch Blogger und Influencer.
Am grössten ist das Vertrauen auf der Mikroebene, also bei den Kommunikationsverantwortlichen selbst. Von alle Gruppen bekommen sie auf einer Skala von 1-5 zwischen 3.98 und 4.61 Punkte.
… in Exponenten der Organisation und Interessenvertreter
Kommunikations- und PR-Profis sind nicht die einzigen Personen, die im Namen von Organisationen sprechen. Auch offizielle Vertreter wie CEOs und Verwaltungsrätinnen oder Marketing-, Vertriebs- und andere Mitarbeitende und Mitglieder der Organisation spielen eine Rolle. Der diesjährige Monitor wollte herausfinden, welchen im Namen der Organisation sprechenden oder für das Unternehmen auftretenden Gruppen die Öffentlichkeit vertraut. Die Frage dazu lautete: “Wenn Sie an Ihre Organisation denken, wie sehr vertraut die allgemeine Bevölkerung in Ihrem Land diesen Kommunikatoren?”
Hier klingt das im Moment viel diskutierte Thema der Rolle von Mitarbeitern als Botschafter durch. Aus dieser Liste lassen sich zwei Schlüsse ziehen: Höchste Glaubwürdigkeit erzielen Personengruppen mit einem klaren Profil, sei es aufgrund ihrer Expertise und/oder ihrer hohen Stellung in der Hierarchie. Und Gruppen, welchen eine eigene Agenda verfolgen oder die Absicht haben, etwas zu verkaufen, finden sich am Ende der Vertrauensskala wieder.
… ist gar nicht so einfach
Transparenz zu schaffen, also offenzulegen, was man weiss und die Zusammenhänge nachvollziehbar aufzuzeigen, ist schwierig und daher die grösste Herausforderung der vertrauensbildenden Kommunikation. Zumindest denken das 71% der Praktikerinnen und geben an, dass dies manchmal, oft oder immer herausfordernd ist. Sachkenntnis und ethisches Verhalten gelten als weniger problematisch.
Die Resultate zeigen, warum es in der Wirtschaft und in Organisationen schwierig ist, transparent zu kommunizieren. Kopfzerbrechen bereiten die offene und klare Kommunikation über die politische Haltung des Führungsteams (41% finden das schwierig) und über interne Prozesse und Workflows (35,1%). Auch die transparente Kommunikation über Mitarbeitende und Mitglieder sowie die Top-Level-Strategien wird als schwierig wahrgenommen (24,2%). Nach Ansicht der Befragten ist es für ein Unternehmen viel einfacher, über seinen Zweck, Mission und Vision, über seine Produkte und Dienstleistungen transparent zu sein. Bei der Vision und der Mission würde ich allerdings ein Fragezeichen setzen, weil diese oft nicht bekannt oder schwer fassbar sind.
Strategische Herausforderungen
Die Erosion von Vertrauen und die sich verändernde Medienlandschaft bleiben nicht ohne Folgen für die Prioritätensetzung. Gerade auf den vorderen Rängen haben sich die strategischen Themen für die kommenden drei Jahre verschoben:
- Vertrauen aufbauen und erhalten (37.9%)
- Umgang mit der Geschwindigkeit und dem Volumen des Informationsflusses (32.5%)
- Erschliessung neuer Wege zur Erstellung und Verbreitung von Inhalten (31.6%)
Damit rücken zwei Anliegen aus den früheren Jahren nach hinten. Es sind dies der Umgang mit den Herausforderungen der Digitalisierung und des Social Webs (29.8%) und die Verknüpfung der Kommunikation mit der Geschäftsstrategie (23.6%).
Allerdings gibt es frappante Unterschiede zwischen Ländern und Organisationstypen. Nonprofit-Organisationen sehen als Top-Themen: Vertrauen stärken, die Erstellung und Verbreitung von Content verbessern sowie die Notwendigkeit, mehr Zielgruppen und Kanäle mit begrenzten Ressourcen zu verwalten. Unternehmen hingegen legen den Fokus auf den Umgang mit der immer grösseren Informationsflut, auf digitale Trends und Social Responsibility. “Dealing with sustainable development and social responsibility” hat einen sechsjährigen Tauchgang von unter 20% der Nennungen hinter sich. Jetzt zieht das Thema wieder an, das dürfte mit der Phase der Ernüchterung und der Dominanz und dem Geschäftsgebaren der Big Four GAFA zusammenhängen. Regierungsorganisationen streben mehr Agilität an und Agenturen glauben an den Einsatz von Big Data in der Kommunikation. 28.3% der Befragten sind sich einig, dass im Verlauf von 2019 der Einsatz von Algorithmen und Big Data nochmals an Bedeutung gewinnen wird.
Bei den Prioritäten gibt es auch geografische Unterschiede: Die Schweizerinnen (42.9%) und Österreicher (43.4%) kümmern sich um den Spagat zwischen der Komplexität von Zielgruppen und Kanälen bei limitierten Ressourcen. Die Deutschen hingegen wollen zuerst einmal mit dem Tempo und Volumen des Informationsflusses umgehen (36.1%).
Anteilsmässig die Position gehalten hat die Stärkung der Rolle der Kommunikationsfunktion bei der Unterstützung der Entscheidungsfindung im Top-Management (26.5%).
Künstliche Intelligenz
Mit der Einführung von künstlicher Intelligenz (KI) tritt die strategische Kommunikation in eine neue Phase. KI weckt im Moment auch noch alles zwischen Angst, Skepsis und übersteigerten Erwartungen. Der European Communication Monitor 2019 ist die erste gross angelegte Umfrage, welche die persönliche Akzeptanz, das Wissen und die Wahrnehmung von KI bei Kommunikationspraktikerinnen untersucht hat.
Die Erwartungsschere geht auch hier weit auf. Zwar denken 77.3%, dass Künstliche Intelligenz den Berufsstand grundlegend verändert. Auf der anderen Seite gehen 37% davon aus, dass ihre tägliche Arbeit kaum betroffen sein wird. Diese Einschätzung lässt sich direkt mit den persönlichen Erfahrungen verbinden. So erwarten KI-Anwender eine deutlich höhere Gesamtauswirkung auf allen operativen Ebenen als ihre Kolleginnen, die keine intelligenten Assistenten und Geräte verwenden.
Es ist überraschend und beunruhigend, wie wenig Kommunikationsprofis in Europa heute Assistenten auf ihren Smartphones oder intelligente Geräte zu Hause und im Büro einsetzen. Gemäss ECM 2019 sind es 13.3%
Aus dem Bericht klingt zwar durch, dass sich Kommunikatoren durchaus noch etwas mutiger mit dem Thema auseinandersetzen dürften, indem sie die eine oder andere Anwendung auch ausprobieren. Dennoch kommt die Studie zum Schluss, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der persönlichen Nutzung von KI und der Kenntnis des Konzepts gibt.
Noch ist das Thema schwer fassbar und darum ist es auch nicht verwunderlich, dass Praktiker bei der Suche nach Lösungen für die Einführung von KI in der Kommunikation gefordert sind. Einerseits sehen sie das Risiko bei organisatorischen Schwierigkeiten und andererseits in den unterschiedlichen Kompetenzen ihrer Mitarbeitenden. Nonprofit-Organisationen bewerten die organisatorischen Herausforderungen bei der Umsetzung von KI höher. Das grösste Anliegen der Agenturen ist die Motivation der Teams, sich mit dem Thema aktiv auseinanderzusetzen und zu lernen.
Inhalte erstellen und verteilen
Relevanz ist das Ticket zur Aufmerksamkeit der Stakeholder. Und ob etwas relevant ist, liegt im Auge des Betrachters. Das ist meine Meinung.
Outside-in statt inside-out
Meinen Kunden rate ich darum, ihr Umfeld zu beobachten und von der inside-out zur outside-in-Perspektive, also dem Blickwinkel der Anspruchsgruppen, zu wechseln. Der European Communication Monitor 2019 hat genau dieses Thema auch abgefragt und kommt zu einem ernüchternden Ergebnis:
In den meisten Unternehmen ist eine asymmetrische, von innen nach aussen gerichtete Perspektive nach wie vor vorherrschend.
Klar, es ist ein Spagat sich selbst zu positionieren und gleichzeitig strategische Themen, welche im Umfeld im Gespräch sind, aufzugreifen. Aber es ist möglich. Dass das noch nicht gemacht wird, dürfte daran liegen, dass einerseits das Bewusstsein dafür fehlt, aber auch daran, dass Kommunikation sehr häufig noch durch das Tagesgeschäft getrieben wird. Agenda-Setting muss man nicht nur planen, sondern sich dafür auch den Raum erstreiten. Der Newsroom ist ein erprobter Weg dazu. Dass das Sache von Corporate Communications ist, zeigt der folgende Befund: Praktikerinnen, die in den Bereichen Online und Marketing/Branding arbeiten, orientieren sich bei der Erstellung von Inhalten weniger nach der Strategie der Organisation und nach Diskussionen in den Medien.
Shared oder paid?
Wie erreichen Inhalte das Publikum? Wir haben gesehen, das die Erschliessung neuer Wege, Inhalte zu kreieren und zu verbreiten, eine der drei meistgenannten Herausforderungen ist. Im European Communication Monitor 2019 tut sich bei den Antworten zur Verteilung von Content ein Widerspruch auf. Befragt wurden die Teilnehmenden entlang von PESO, also paid, earned, shared und owned Media. 77.5% der Befragten sind der Meinung, dass Shared Media in letzten drei Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Bei Paid Media sprechen nur 37.6% von einem Bedeutungszuwachs und gar 36.1% haben das Kreuz bei “lost importance” gesetzt. Diese Zahlen bestätigen die Prognosen aus dem ECM 2015.
Bei der Frage jedoch, wie oft eine Abteilung oder Agentur mit bezahlten Inhalten arbeite, wendet sich das Blatt. 53.1% schalten gesponserte Posts auf Plattformen wie Facebook und LinkedIn. 36.2% arbeiten mit Google Adwords und 29% mit gesponserten Inhalten auf Newsplattformen. Das legt den Schluss nahe, dass unter “Paid Content” klassische Werbemassnahmen verstanden werden, die zugunsten von Online eingebüsst haben. Wenig überraschend sind es Unternehmen und Agenturen, die mit bezahlten Inhalten arbeiten. Dass dieser Weg für Nonprofit-Organisationen immer wichtiger wird, zeigen die Antworten in diesem Beitrag zu den Erfahrungen, wie schweizer Non-Profit-Organisationen Social Media nutzen.
Owned Media, also Inhalte, die auf von Unternehmen selbst kontrollierten Plattformen veröffentlicht werden, sind meiner Meinung nach noch immer unterbewertet. Ich bin gespannt, wie sich die Sichtweise auf dieses Thema in den künftigen Befragungen verändern wird.
Rolle der Mitarbeiter
Die Rolle von Mitarbeitenden bei der Verbreitung von Inhalten, und damit eine breitere und oft glaubwürdigere Abstützung, wird in der Branche diskutiert. Der European Communication Monitor 2019 hat darum gefragt: “Welche Social Media Plattformen nutzen Sie, um Inhalte zu beruflichen Themen oder Ihrem Unternehmen/Organisation unter Ihrem eigenen Namen zu veröffentlichen?” – 16.7% tun dies mindestens einmal pro Tag auf zwei oder mehr sozialen Plattformen und werden darum im ECM 19 als Social Media Activists bezeichnet. Bei den übrigen 83.3% erschliesst sich nicht, ob sie sporadisch oder überhaupt im eigenen Namen posten. Dennoch ergibt sich ein klares Bild zu den Präferenzen. Es sind Kanäle, die sich im Mainstream bewegen, mal abgesehen davon, dass Xing, Pinterest, Social Bookmarking oder YouTube überhaupt keine Rolle spielen.
Bevorzugtes Netzwerk ist LinkedIn, gefolgt von Facebook und Twitter. Während sporadische User eher Facebook nutzen, bewegen sich die Social Media Activists lieber auf Twitter. Instagram nutzen doch 54% der Aktiven und immerhin 30.7% der sporadisch Aktiven im beruflichen und fachlichen Kontext.
European Communication Monitor auf 132 Seiten
Der European Communication Monitor wird jährlich von der EUPRERA, dem europaweiten Verband der Kommunikations und PR-Wissenschaftler sowie dem EACD als internationalem Verband der Kommunikationsdirektoren durchgeführt, oder?
Ja, das ist so, Supporter sind zudem Cision Insights and Fink & Fuchs. Geleitet wird die Umfrage von Prof. Dr. Ansgar Zerfass von der Uni Leipzig.