Ich habe Ihnen versprochen, in diesem Blog erst wieder einen Beitrag zu veröffentlichen, wenn ich ihn für Sie, liebe Leserin, lieber Leser für relevant erachte. Meine persönliche Knacknuss beim Entscheid ist die Frage: Wann sind Sie (wieder) bereit, fachliche Informationen ausserhalb von Corona, Homeoffice und Homeschooling aufzunehmen? Die Coronakrise mag uns zwar limitieren und zuweilen an unsere Grenzen bringen, sie eröffnet aber auch grosse Chancen. Ein besonderes Geschenk war für mich darum die Aufzeichnung von Fundraising in der Krise, der Online-Konferenz für Fundraiserinnen und Fundraiser in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Keine Sorge! Krisenstimmung ist in keinem der Beiträge auszumachen, wohl aber ein Wille zur Veränderung.
Ich hätte die Konferenz vor Ort wohl nicht besucht, denn das Thema Fundraising tangiert meine Arbeit nur am Rande. Und doch, wer beruflich mit Nonprofit-Organisationen zu tun hat, wie ich auch, sollte sich mit diesem Thema beschäftigen. Mir hat es gut getan, während einem Tag Gartenarbeit die Aufzeichnungen der neun Livestreams nachzuhören. Diese Konferenz war für mich ein absoluter Glücksfall und auch für die Macher war sie ein voller Erfolg. Dazu sagt Jörg Reschke von sozialmarketing.de: “Unsere kleine Online-Konferenz zum Fundraising war ein schönes Feierabend-Projekt, das wir nebenbei organisiert haben. Statt der ursprünglich angestrebten 300 bis 400 Teilnehmenden waren es 1’000. Uns war es wichtig, dass ein organisierter Fachaustausch über die aktuellen Herausforderungen und Strategien zur Bewältigung stattfindet. Gerade in der Krise sollte das schnell voneinander Lernen und sich gegenseitig Mut zusprechen im Vordergrund stehen.”
Well done! Und darum geht mein Dank an allererster Stelle an alle Referentinnen und Referenten, und ganz besonders an die Initiatoren Katja Presche, Jörg Reschke, Maik Meid und Jona Hölderle von sozialmarketing.de, die ich schon länger kenne und schätze. Jörg und Jona waren ja schon früher Gäste in diesem Blog.
Ein rundes Programm
“Fundraising in in der Krise” ist als Titel für die Konferenz ist eigentlich irreführend. Jörg Reschke stellt das in der Begrüssung gleich klar: Nicht Fundraising per se ist in der Krise, es bewegt sich aber in der krisengeschüttelten Zeit in einem schwierigen Umfeld, in dem besonnenes Agieren und Denken in Alternativen gefordert sind. Ich empfand es übrigens als sehr angenehm und auch professionell, dass bei allen Beiträgen keine Krisenstimmung aufkam. Die Referentinnen und Referenten haben verstanden, ihre Beiträge zwar in den Kontext des Coronavirus zu stellen, davon ausgehend aber auch sehr viele praktische Tipps zu geben, die während und nach der Krise wertvoll sind – übrigens nicht nur für Nonprofit-Organisationen.
Diese Themen wurden angeboten:
- Was sagen uns die Daten? Digitales Fundraising mit und ohne Corona von Eva Hieninger und Gregor Nilsson von Get_unik.
- Major Donors go Online von Andreas Schiemenz, Geschäftsführer von Schomerus
- Wertschätzende Kommunikation in angespannten Zeiten von Dr. Stephanie Neumann von der Diakonie Deutschland
- Livestreams für Dein Fundraising nutzen von Björn Lampe von betterplace.org
- Aktives Erbschaftsfundraising, Monika Willich von der UNO Flüchtlingshilfe und Dr. Cornelia Rump Fachanwältin für Erbrecht bei nbs partners
- Fördergelder in Corona-Zeiten von Jan Upadeck von der Evang.-lutherischen Landeskirche in Braunschweig
- Face-to-Face-Fundraising – wo geht es hin? von Jan Uekermann von Uekermann und Major Giving Institute
- Prototyping und agiles Management in NPOs von Claudia Winkler, Unternehmerin Goood mobile
- Fundraising 2025: Panel-Diskussion mit Ricarda Raths vom WWF Deutschland, Dr. Kai Fischer von Mission-Based Consulting, Johannes Bausch von Sextant und Matthias Daberstiel vom Fundraiser Magazin. Moderation: Jörg Reschke, Autor und Gründer von sozialmarketing.de und Experte für digitale Kommunikationsstrategien und Fundraising.
Ich habe mir drei Referate und die wichtigsten Aussagen aus dem Panel herausgepickt, die ich hier gerne kurz vorstelle. Alle Aufzeichnungen und auch die Folien zur Konferenz haben die Veranstalter zum nachschauen und nachlesen hier zugänglich gemacht.
Was sagen uns die Daten? Digitales Fundraising mit und ohne Corona
Aus technischen Gründen wurde Eva Hieninger von getunik etwas ins kalte Wasser geworfen und musste kurzerhand das ganze Referat alleine übernehmen. Sie hat das aber wunderbar gemeistert, grosses Kompliment an dieser Stelle.
In ausserordentlichen Zeiten hat man die Tendenz, sich allzu sehr auf das Bauchgefühl und die persönliche Einschätzung zu verlassen. Wie sollen sich Fundraiser jetzt verhalten: Alle Massnahmen einstellen oder jetzt erst recht aktiv werden? Um das zu entscheiden, hilft der Blick in die Daten:
Die Resultate aus einer Studie des Conversio Instituts zum Spendenverhalten in Corona-Zeiten (pdf) geben eine gute Orientierung für Deutschland. An der Online-Befragung von Ende März/Anfang April haben gut 1’000 Personen teilgenommen. Die wichtigsten Befunde:
- Von über 1’000 Befragten möchten mehr als die Hälfte ihr Spendenverhalten in der aktuellen Zeit nicht ändern.
- Gespendet wird an bereits unterstützte sowie lokale Organisationen.
- In der Regel wird einmalig und im Bereich bis 49 Euro gespendet.
- Sollten die Befragten ihr Spendenverhalten trotzdem ändern, dann weil sie kein Geld haben, oder ihr Geld zusammenhalten müssen.
Interessant an den Antworten finde ich zwei Dinge, und das kam auch in anderen Referaten klar zum Ausdruck:
- Organisationen, zu denen bereits vor der Coronakrise eine Beziehung aufgebaut wurde haben eher die Chance, für Spenden wieder berücksichtigt zu werden. Neben der Bindung spielt auch die geographische Nähe eine grosse Rolle:
- Lokale Organisationen dürfen eher mit Unterstützung rechnen. Auch aus der Schweiz gibt es offenbar die Einschätzung, “dass es Internationale Organisationen aktuell eher schwer haben.” Gemeint sind damit Organisationen, die mit internationalen Themen vertreten sind.
Wie verhalten sich die Fundraiser? Dazu kommen interessante Zahlen aus der Schweiz, die auf Angaben von Swissfundraising basieren. Tipp: auf der Website finden sich gleich mehrere interessante Erhebungen.
- Ein Drittel der Fundraiser rechnet mit weniger Einnahmen für 2020. Dieser Entwicklung wollen sie mit Digitalisierung entgegenhalten, dazu wurden im Referat leider keine weiteren Angaben gemacht.
- Lediglich 27% streichen oder verschieben Spendenaktionen, allerdings startet auch ein gutes Viertel Spendenaktionen, die Bezug auf Covid-19 nehmen.
- Offenbar funktioniert im Moment Telefonfundraising gut. Viele Organisationen verlagern darum ihre Face-to-Face-Massnahmen (F2F) und schulen ihre F2F-Promotoren auf Telefon um. Diese haben Kapazität, denn Strassensammlungen und Veranstaltungen sind ja aktuell nicht möglich. Eva Hieninger hat dazu weitere Sondierungen gemacht und der Trend scheint sich zu bewahrheiten, wobei natürlich Langzeitdaten und -vergleiche fehlen.
Digitale Kanäle und Telefon sind aktuell die Mittel der Wahl.
Zudem führt Eva Hieninger aus, dass kurzfristig mehr Geld zur Verfügung stehe, weil es im Moment kaum Gelegenheit gibt, Geld auszugeben “alle sitzen zu Hause, Restaurants sind geschlossen, Veranstaltungen finden nicht mehr statt und man kann im Moment nicht in Urlaub fahren.”
Sehr interessante Ergebnisse bringt die Analyse, welche die Agentur Get_unik Zusammenarbeit mit Raise Now gemacht hat, einem Anbieter für digitale Fundraising-Lösungen in der Schweiz. Vom 1. Februar bis 16. April wurden 109 Kunden mit mindestens 10 Transaktionen befragt und die Werte mit der gleichen Periode im Vorjahr verglichen.
Diese Zahlen muss in den Kontext der behördlichen Massnahmen in der Schweiz stellen:
- 28. Februar 2020: Verbot von Veranstaltungen > 1’000 Personen
- 13. März 2020: Verbot von allen Veranstaltungen > 100 Personen und Schliessung der Bildungseinrichtungen
- 16. März 2020: Lockdown (Schliessung von Restaurants und Geschäften und Treffpunkten)
- 20. März 2020: Verbot von Treffen > 5 Personen
Die Resultate sind teils verblüffend:
- Das Spendenvolumen hat in der erhobenen Periode um fast 45% zugenommen.
- Die Transaktionen haben sich um knapp 30% erhöht (+16’645 gegenüber Vorjahr).
- Ebenso erhöht hat sich die Durchschnittsspende von bisher CHF 90.22 auf CHF 100.88.
Die Charts in den Folien zeigen: Das Verbot der Veranstaltungen hatte noch kaum Auswirkungen auf das Spendenverhalten. Die Zunahmen kam erst nach Einsetzen des Lockdowns zustande. Das könnte zwei Gründe haben:
- Die Fundraiser haben erst mit zunehmender Einschränkung realisiert, dass sie jetzt aktiv werden müssen.
- Mit zunehmender Einschränkung der Bewegungsfreiheit fielen Möglichkeiten weg, Geld für Konsum und Unterhaltung auszugeben.
Super spannend ist der Blick auf die Zahlungsmittel: Die Transaktionen über Twint sind gegenüber der Vorperiode nahezu explodiert und verzeichnen eine Zunahme von gut 170%! Allerdings wird Twint eher für Kleinbeträge um die CHF 80.- genutzt. Für grössere Beiträge kommen Einzahlungsscheine (Durchschnittsbetrag ca. CHF 320.-) und PostFinance (Durchschnittsbetrag ca. CHF 260.-) zum Einsatz. (Diese Zahlen sind so in den Charts nicht angegeben, sondern gehen aus den Balken hervor.) Daraus leitet sich gemäss Vortrag ab:
Die Coronakrise führt zu einer Zunahme der Spendenbereitschaft über digitale Kanäle.
Weitere Resultate für Österreich liefert neben den weiteren Slides auch der Fundraising Verband Austria.
Ich empfehle, das ganze Referat anzuhören. Die gute halbe Stunde ist gut investierte Zeit und hier gibt es die Folien dazu (pdf).
Face-to-Face-Fundraising – wo geht es hin?
Jan Uekermann, selbständiger Fundraiser aus Leidenschaft und Mitbegründer des Major Giving Institute, bezeichnet Face-to-Face-Fundraising (F2F) als das derzeit beste Instrument überhaupt, um Dauerspender zu gewinnen. Der Lockdown hat dieses Instrument zum Vollstopp gebracht. Um herauszufinden, wohin jetzt die Reise geht, hat Jan Uekermann verschiedene Gespräche mit Experten geführt und die Erkenntnisse in seiner Präsentation geteilt. Im deutschsprachigen Raum sind es in erster Linie Dienstleister und Agenturen, die dafür sogen, dass Organisationen neue Dauerspender gewinnen. Darum hat sich Jan Uekermann bei der Wahl der Gesprächspartner auf dieses Segment konzentriert. (Und ja, er hätte sehr gerne auch mit Frauen gesprochen, wie er betont.)
Direkt betroffen sind die Dialoger, welche das Fundraising auf der Strasse betreiben und in der Regel keine feste Anstellung haben. Solange die Strassen leer sind und auch solange die Distanzregeln gelten, ist ihre Arbeit erheblich erschwert. Organisationen sind jetzt gefordert, diese in der Regel freien Mitarbeiter für nach der Krise zu binden: Mit starker interner Kommunikation, aber auch mit konkreter Unterstützung. Fest angestellte Dialoger werden in verschiedenen Organisation auch im Telefon-Fundraising eingesetzt, hier bringen Sie Ihre Fähigkeiten und Erfahrungen bestens ein. Weitere Einsatzgebiete sind auch Social Media, bei denen Dialoger mit Content, aber auch im Community Management unterstützen können. Zudem arbeiten die Organisationen jetzt mit den Agenturen an den Sommerkampagnen.
Was wird sich nach dem Rückkehr auf die Strasse verändern? Einer der befragten Experten, Reinhard Schlossnagel vom Softwareanbieter Formunauts, nennt drei Ebenen:
- Verhalten
- Ausrüstung
- Technologie
Infostände werden die gleichen Hygiene- und Distanzregeln einhalten müssen, wie alle anderen Anbieter auch. Es werden Sicherheitsmassnahmen nötig sein, zum Beispiel Schutzmasken. Ich stelle mir die Ansprache von Passanten durch Dialoger mit Mundschutz schon sehr schwierig vor. Es ist ja schon bei persönlich bekannten Personen gewöhnungsbedürftig, nur noch das halbe Gesicht ohne Mimik zu sehen. Zum Verhalten und zur Ausrüstung gilt es unzählige Fragen zu klären. Dazu hat in Österreich die Qualitätsinitiative Förderwerbung Informationen und Qualitätsstandards für kontaktlose Werbung von Fördererinnen und Förderern erarbeitet und stellt diese auch kostenlos zum Download bereit.
Am 3. Juni findet mit dem Global F2F Online Summit eine kostenlose, virtuelle Konferenz zum Thema statt.
Besonders interessant ist die Rolle der Technologie. Denn wie wird künftig Informationsmaterial abgegeben? Das in einer Zeit, in der Menschen nicht mal mehr Banknoten anfassen wollen? In Österreich erfolgen gemäss Referat schon hohe 80-90% des Face-to-Face-Fundraisings mit dem Tablet und damit komplett papierlos. Aktuell wird offenbar an einer Lösung gearbeitet mit der das Onboarding des Spenders nicht mehr auf dem Tablet des Dialogers erfolgt, sondern direkt auf dem Smartphone des Spenders über eine URL.
Alle geführten Gespräche könnten auf www.fundraising-podcast.de nachgehört werden.
Major Donors go Online
Eigentlich kommt Andreas Schiemenz, Geschäftsführer von Schomerus, ursprünglich aus dem Verkauf und dem Vertrieb. Seit 31 Jahren ist er aber hauptamtlich im Fundraising tätig und hat sich mit seinem Unternehmen auf Marketing- und Fundraising-Strategien spezialisiert. Er hat in seinem Referat mit Fokus auf Grossspender (Major Donors) mit verschiedenen Thesen gearbeitet. In der Folge lesen Sie auch hier die Schwerpunkte, die mir besonders aufgefallen sind.
Zusammenfassen lässt sich das wie folgt: Kenne deinen Spender, nicht jeder spendet aus dem gleichen Grund.
- Philanthropinnen spenden aus innerer Überzeugung, das sagt aber noch nichts zur Grösse der Spende aus. Nicht alle grossen Spenden (also solche, die deutlich über dem Durchschnitt aller Spenden liegen), stammen von Philanthropen.
- Philanthropen spenden Geld, weil sie Verantwortung übernehmen wollen, aber auch, weil sie ihrem Geld einen Sinn geben wollen.
- Geld, das einen Sinn hat, wird erwachsenes Geld (oder je nach Region) auch altes Geld genannt.
- Menschen mit jungem Geld wollen damit ihren Status unterstreichen und zeigen, in welche gesellschaftliche Liga sie gehören. Dieses Zeichen setzen sie zum Beispiel durch den Besuch von Charity-Veranstaltungen.
- 1% der Spender haben das Potenzial, Middle oder Major Donors (Grossspenderinnen) zu sein, in der Schweiz sind es 2%. Dieser Spendenschatz lässt sich über die eigenen Spenden- und Kontaktdaten lokalisieren. (Wonach man forschen soll, erfahren Sie ab Minute 12:15)
- Es muss davon aus gegangen werden, dass der Wettbewerb um die Middle und Major Donors deutlich zunehmen wird. Spenderinnen und Spender müssen darum gerade jetzt in der Krise optimal angesprochen werden, um sie binden.
- Spenderinnen wollen Teilhabe, doch Grossspender (und darunter besonders die Philanthropen) fühlen sich oft nicht als Teil der Organisation. Beziehungspflege ist in guten und schlechten Zeiten zentral, diese geht über die reine Information zu Projekten hinaus.
- Major Donors haben zwar viel zu tun, aber haben durch den Lockdown auch mehr Zeit zur Verfügung. Die Termindichte hat sich reduziert und die Erreichbarkeit hat sich verbessert. Es ist wichtig, auch in schlechten Zeiten mit ihnen im Gespräch zu sein und sie zu fragen, wie sie die aktuelle Situation meistern.
- Philanthropen wollen nicht von Organisation zu Organisation wechseln, sondern am liebsten Teil von einer oder zwei Organisationen sein.
- Die Spender müssen verstehen, wofür die Organisation steht, was ihr USP und welches die Markenstory ist. Sie müssen erfahren, wie wichtig es der Organisation ist, dass sie nicht nur spenden, sondern auch mit ihnen in der Interaktion zu sein.
- Grossspender haben das Potenzial, wegbrechende Spenden von Kleinspenderinnen zu kompensieren. Dafür muss dieses Segment mit Hochdruck intelligent aufgebaut werden.
Major Donors sind jetzt erreichbar und haben Zeit für ein Gespräch; der Vorlauf hat sich von 4-6 Wochen auf 1-2 Tage reduziert. Eine Videokonferenz lässt sich von heute auf morgen organisieren.
- 75% der vermögenden Menschen sind beruflich und online aktiv. Hier scheint sich ein Wandel zu vollziehen, dass sich immer mehr vermögende Menschen auch auf Businessplattformen wie LinkedIn und Xing ein Profil anlegen, weil sie merken, dass ihre offline-Netzwerke nicht mehr so gut funktionieren.
- Business-Netzwerke können für die Neuspender-Gewinnung interessant sein. Mit einem Premiumzugang oder Zusatzmodulen lassen sich aber auch sehr gut Hintergrundinformationen über Unternehmer und Managerinnen finden, insbesondere die Themen, welche sie interessieren.
- Wer nicht auf dem Smartphone seiner Kunden ist, spielt in Zukunft keine Rolle mehr. Und Corona hat uns in die digitale Zukunft geschleudert, darum ist die Zukunft jetzt schon da! Das gilt auch für die Grossspenderinnen: Sie sollen auf den Businessplattformen über die Organisation “stolpern”. (Facebook und Instagram spielen für Grossspender praktisch keine Rolle).
- Vermögende kommunizieren schon lange online (über Video), weil ihre Familien international vernetzt und ihre Kinder meist im Ausland in der Ausbildung sind.
Andreas Schiemenz schliess mit dem Appell: Organisationen müssen jetzt auftauchen und zeigen, wie wichtig ihnen die Beziehung ist und wie zentral es ist, Teil der Netzwerke sein. Dem könnte ich nicht deutlicher beipflichten. Allerdings orte ich gerade hier (nicht nur bei Nonprofit-Organisationen) auch das grösste Defizit:
Beziehungsaufbau beginnt zwar mit konsistenter und kontinuierlicher Information, gelingt aber nur mit Interaktion. Interaktion bedeutet nicht zu warten, bis Kommentare kommen, sondern eine aktive und glaubwürdige Mitwirkung der Organisation am gesellschaftlichen Dialog. Besser als im Moment, wo so vieles über digitale Kanäle läuft, kann man das nicht lernen. Packen Sie diese Chance. Jetzt.
Das Referat über knapp 40 Minuten ist gespickt mit guten Tipps und auch die Folien.
Fundraising 2025
Den Abschluss hat das Panel zum Thema Fundraising 2025 gemacht, unter der Moderation von Jörg Reschke, Autor und Gründer von sozialmarketing.de und Experte für digitale Kommunikationsstrategien und Fundraising. Mitdiskutiert haben:
- Ricarda Raths vom WWF Deutschland
- Dr. Kai Fischer von Mission-Based Consulting
- Johannes Bausch von Sextant
- Matthias Daberstiel vom Fundraiser Magazin
Auch hier eine Sammlung von spannenden Aussagen und Erkenntnissen:
- WWF Deutschland hat sofort damit begonnen mit dem Spendern zu kommunizieren um herauszufinden, wie es ihnen geht, um das Spendenverhalten für die Zukunft zu antizipieren. Zudem wird die Zukunft von Face-to-Face evaluiert und überlegt, wie Einnahmen aus F2F kompensiert werden können. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Frage, wie Themen und Tonalität in der Spenderkommunikation angepasst werden.
- Die Coronakrise hat den Einsatz von digitalen Tools für die Zusammenarbeit beschleunigt, das Ganze wurde aus der Not heraus sofort umgesetzt. Darum sieht Johannes Bausch einen unheimlich hohen Nachholbedarf in der Aufklärung und in der Datenschutzproblematik. Die meisten Organisationen waren bisher technisch für die digitale Zusammenarbeit nicht in der Lage und haben hier eine Wissenslücke.
- Wenn Organisationen feststellen, dass Homeoffice und Remote-Office gut funktionieren, könnten sie dazu übergehen, weniger Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Mit Blick auf steigende Mieten kann sich Matthias Daberstiel durchaus vorstellen, dass sich hier ein Feld bietet, in dem man kleiner in Bürofläche und grösser in digitalen Kollaborationsformen denkt und handelt. Er relativiert dazu, dass Homeoffice mit einer ausreichenden Betreuungskapazität für den Nachwuchs einhergehen muss.
- Jetzt in der Krise zeigt sich, wie gut man in den letzten Jahren Spenderbindung betrieben hat. Dazu sagt Kai Fischer: “Sobald das Geld knapper wird, überlegt der Spender, wem er es geben will. Und da wo die Bindung kleiner ist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass man aussteigt. Menschen, die eine hohe Bindung zur Organisation und zum Thema empfinden, sind auch eher bereit, in Krisensituation zu helfen. Dem Thema Bindung sollte noch mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden, insbesondere der Frage der Beziehung: Was ist Beziehung? Welche Qualitäten gibt es? Auf welchen Ebenen findet sie statt? Hier sind wir weit am Anfang, uns damit auseinandergesetzt zu haben. Das wird ein wichtiges Thema der nächsten Jahre werden.”
- Während der Krise hat WWF Deutschland keine Mitarbeitenden in Kurzarbeit geschickt, sondern die Face-to-Face-Mitarbeitenden ans Telefon gesetzt. Diese verdanken im Moment die Spender nur und stärken so – mitten in der Krise – die Bindung zu ihnen.
- Johannes Bausch lenkt den Blick auf die Zugriffsmöglichkeiten auf Unterlagen und die technische Infrastruktur. Der Datenpflege und Datenvollständigkeit kommt jetzt eine noch grössere Bedeutung zu. Wichtig für die Remote-Arbeit ist aber auch die Frage: Wie digital ist die bisherige Kommunikation abgelegt und darum auch aus dem Homeoffice im Zugriff? Aber auch ganz analoge Themen: Muss ich ins Büro fahren, weil ich einen Brief mit einer Broschüre verschicken muss?
- Die Königs-Disziplin ist Face-to-Face, die Coronakrise führt dazu, dass auf das Telefon ausgewichen wird. Das allerdings in einem Umfeld, in dem man sich lange mit Postadressen und allenfalls Mailadressen in einem Newslettertool zufrieden gegeben hat. Woher also jetzt die Telefonnummern nehmen?
- Die Kontaktmöglichkeiten sind zahlreicher geworden. Gerade bei den Messengern macht es Sinn, sich vertieft Gedanken zu machen, wie man sie nutzen kann. Unter dem Strich führt das dazu, dass die Anzahl Daten, die man braucht, immer grösser wird. “Wer nicht alle Datensätze hat, hat irgendwann ein Problem”, ist Kai Fischer überzeugt.
- Wie soll die seit Jahren rückläufige Spenderquote angegangen werden, will Jürg Reschke wissen. Kai Fischer spricht sich dafür aus, dass die Zielgruppen künftig sehr viel genauer angeschaut werden. Es brauche einen Shift weg von Logik und Methoden und hin zu Zielgruppen. Für die einen Organisationen kann es sinnvoll sein, sich mit Mikro-Segmenten zu beschäftigen, die ökonomisch hoch potent sind. Es müssen also nicht zwangsläufig nur Grossspenderinnen sein. Mit kleineren Gruppen kann auch passgenauer kommuniziert werden. Und er ergänzt: “Die klassische Bindungen der letzten 20 bis 30 Jahre hören auf: Die Generation, die das noch gelebt hat, verschwindet langsam.”
- “Von Kleinstspendern, wie zum Beispiel bei Betterplace, bekommt man keine Adresse, sondern bestenfalls einen Nickname, und das wird die Zukunft sein”, sagt Johannes Bausch und ergänzt: “Wir müssen uns davon verabschieden, dass wir die Datensilos und die Datenmenge in der Form noch haben werden.” Damit relativiert er seine Aussage zur Datenvollständigkeit. Das Thema ist also komplex.
- “Fundraising wird im Moment noch sehr stark aus dem Bauch gemacht”, sagt Matthias Daberstiel vom Fundraising Magazin und fordert deutlich mehr Marktforschung. Damit beruft er sich auf Organisationen, die gerade jetzt das Fundraising komplett aussetzen, weil sie das Gefühl haben, dass das jetzt nichts bringt.
- WWF Deutschland hat eine Zielgruppen-Managerin, nach Matthias Daberstiel offenbar die einzige Person mit dieser Bezeichnung im deutschen Fundraising.
- NPOs können nicht mehr darauf hoffen, dass Spenden eine soziale Pflicht ist, das funktioniere noch maximal fünf Jahre.
- WWF Deutschland hat begonnen mit mehr Marktforschung und strategischen Ansätzen bedürfnisgerechter und individueller zu kommunizieren. Das bedeutet, dass auch mehr Produkte angeboten werden. Neben Spenden sind das Unterschriften, eine gemeinsame Aktion im Wald und Aktivitäten, die WWF als Marke erlebbar machen. Mit diesen Massnahmen steht WWF Deutschland gemäss Ricarda Raths noch am Anfang, die Strukturen fehlen noch. Sie verweist aber auch auf die Hürden: Wie viel soll nach den Wünschen der Zielgruppen gestaltet werden, wie schafft es WWF Deutschland, trotzdem bei den Kernthemen zu bleiben, sie bleibt dabei:
Es ist die individuelle und bedürfnisorientierte Kommunikation, die uns in die Zukunft bringen wird. Ricarda Raths WWF Deutschland
Jörg Reschke gibt die Abschlussfrage in die Runde: “Welche Herausforderung sollte bis 2025 gelöst sein oder welches Verständnis sollte sich im Fundraising manifestiert haben?”
Matthias Daberstiel, Fundraiser Magazin: Ich sehe beim Thema Digitalisierung noch immer nicht riesige Schritte: Es wäre schön, wenn in unserer Szene ein bisschen mehr digital kommuniziert würde. Ich wünsche mir mehr Mut für das Thema Digitalisierung.
Johannes Bausch, Sextant: Wenn wir von Digitalisierung sprechen, müssen die Ressourcen und die Infrastruktur stimmen, da ist noch sehr grosser Nachholbedarf. Manche haben einen Ferrari in der Garage stehen, wissen aber nur, wie man einen Golf fährt.
Kai Fischer, Mission Based Consulting: Wofür stehen wir als Organisation? Da geht es um Positionierung, Mission usw. Und wer passt auf der anderen Seite dazu als Spender und Unterstützer? Diese Logik führt auch dazu, mehr über Digitalisierung nachzudenken, denn bestimmte Zielgruppen kommunizieren nur noch digital. Die werden nicht mehr erreicht, wenn man sich darauf nicht einlässt. Es braucht also eine differenziertere Auseinandersetzung mit Zielgruppen.
Ricarda Rath, WWF Deutschland: Ich hoffe, dass wir uns bis 2025 mehr mit der Frage auseinandergesetzt haben: Warum sind wir da? Warum ist diese NGO für diesen Teil der Gesellschaft wichtig? Und dass daraus eine Mission entsteht und Menschen zu uns kommen oder mit uns gehen, weil sie diese Mission verstanden haben. Wir werden unsere Botschaften besser formulieren und serviceorientierter werden. Ich glaube, dass wir viel mehr Angebote stellen und schneller kommunizieren können.
Ich sage allen an dieser Stelle ein grosses Danke. Hier das ganze Panel zum durchhören:
Eine Konferenz, hervorragend kondensiert und die Erkenntnisse in einem Blog dargereicht: Vielen Dank! Ich nehme Anregungen als Impuls mit in meinen Berufsalltag.
Vielen Dank für dieses Lob, über das nicht nur ich mich freue, sondern die Veranstalter sicher auch.