Es gibt Newsrooms, die aus einer Notwendigkeit entstehen und mit den zunehmenden Bedürfnissen und Veränderungen wachsen. Der Geberit-Newsroom ist einer davon. Roman Sidler hat mir erklärt, wie er sich entwickelt hat. Er ist seit 20 Jahren beim europäischen Marktführer für Sanitärprodukte in verschiedenen Funktionen tätig und heute Leiter Konzernkommunikation & Investor Relations. Damit verantwortet er in der Geberit Gruppe die internationale Kommunikation, Media- und Investor-Relations und rapportiert direkt an den CEO. Wie der Geberit-Newsroom sukzessive ausgebaut wurde, hat direkt mit der Entwicklung der Gruppe zu tun.
Es war ein CEO-Wechsel, der Anfang 2005 dazu führte, dass Corporate Communications mehr Gewicht erhielten; zuvor war die Funktion der Kommunikation von untergeordneter Bedeutung gewesen. Roman Sidler war bereits 2003 geholt worden, um als Leiter Konzernkommunikation nach dem Börsengang die Kommunikation aufzubauen. Drei Leute waren damals im Team, heute sind es vierzehn. Der Newsroom als Teil von Corporate Communications besteht im weiteren Sinne aus zehn Personen. Geleitet und koordiniert wird der Newsroom von einem Teammitglied und Roman Sidler ist selbst Mitglied des Newsrooms. Zur Frage, wie die Idee zum Newsroom entstanden sei, sagt er: “Der Newsroom war nicht von Anfang an geplant, er ist durch logische Entwicklungsschritte sukzessive entstanden. Wir arbeiten nun seit einigen Jahren entlang dem Newsroom-Ansatz, was heisst, dass die Einführung pragmatisch und nicht unbedingt nach Lehrbuch abgelaufen ist.”
Newsroom als Hub
Der Geberit-Newsroom macht einerseits Vorgaben, ist aber als interner Dienstleister auch Auftragsempfänger. Die Vertriebsgesellschaften erhalten aus der Gruppe inhaltliche Vorgaben für Marketing und Kommunikation. Die lokale Umsetzung gestalten sie an den Standorten und in den Ländern. Aufträge für den Newsroom kommen unter anderem aus dem Marketing und dem HR. Insourcing, wo sinnvoll, ist Roman Sidler ein grosses Anliegen, “schliesslich kennen wir unsere Kultur und treffen sie in der Kommunikation am besten.”
Wie läuft die Organisation respektive Abgrenzung mit dem Marketing? “Wir decken im Newsroom alle Themen ab, die für Geberit relevant sind, und damit auch jene aus dem Marketing. Das Marketing hat keine Mitarbeitenden, die ausschliesslich inhaltlich im Sinne des Newsrooms arbeiten. Für Kampagnen arbeitet das Marketing mit Agenturen, das Briefing basiert dabei stark auf den Backgroundern, die wir im Newsroom schreiben.” Backgrounder sind Steckbriefe zu neuen Produkten, die als Basis für Kampagnen, für Briefings und für weitere Kommunikationsmittel gebraucht werden.
Der Fokus ist klar: “Es geht darum zu verstehen, dass wir durch die Newsroom-Arbeit zwar keinen zusätzlichen Spülkasten verkaufen, aber dafür eine Basis schaffen. Durch die Themen-orientierte Arbeit und den damit verbundenen forcierten Aufbau von Fachwissen haben wir das Standing der Kommunikation und unsere Akzeptanz im Unternehmen über die letzten Jahre massiv verbessert.”
Fachwissen als Asset
“Content-Arbeit wurde bei uns im Hause viel zu lange zu wenig wertgeschätzt. Mittlerweile sind wir auf einem guten Weg, aber noch nicht da, wo wir sein möchten”, findet Roman Sidler. “Wir leben die Themenorientierung; das bedeutet, dass jedem Newsroom-Mitarbeitenden (sog. Editoren) und einem Stellvertreter Themen zugeteilt sind. Unser Anspruch ist, dass sich diese beiden Personen mit den Spezialisten kompetent austauschen und die richtigen Fragen stellen können. Heute sind unsere Themenverantwortlichen in der Lage, sich zum Beispiel mit dem Product Management inhaltlich auf Augenhöhe auszutauschen. Diese Kompetenz haben wir über die vergangenen Jahre aufgebaut und sie ist ein wesentlicher Grund, dass wir heute so ein gutes Standing haben.”
“Jedes Thema, das bei uns auftaucht, hat also einen verantwortlichen Editor. So hat sich zum Beispiel eine neue Mitarbeiterin vor ein paar Jahren mit grosser Begeisterung in die doch eher trockene und komplexe Thematik unserer Rohrleitungssysteme eingearbeitet. Neben Produktthemen, HR, Nachhaltigkeit, Finanzen und Strategie und der Geschichte des Unternehmens kommt auch der Outside-in-Ansatz zur Anwendung. Noch nahe am Angebot ist Cleanliness als wichtiges Thema: Umfragen ergaben, dass sich die Leute in einem Badezimmer nicht primär für das schönste Design interessieren, sondern dafür, dass es sauber ist und dass man es einfach reinigen kann. Aber auch Megatrends wie die Urbanisierung und ‘Ageing in Place’ sind wichtige Themen, mit denen Geberit an Fragen andockt, die die Gesellschaft umtreiben. In den Einblicken, einem Blog-artigen Gefäss auf der Website der Geberit Gruppe, stellt das Unternehmen auch Sozialprojekte rund um die Welt vor, in denen es engagiert ist. Schon seit 2010 läuft eine Partnerschaft mit Helvetas.”
Ein beeindruckender Themenmix: Pro Mitarbeiterin sind es mindestens zwei Themen, bei manchen kommen gar fünf zusammen, und zusätzlich die Stellvertretung für weitere Themen.
Themen und Kanäle verbunden
Von den zehn für den Newsroom tätigen Personen arbeiten sieben mehrheitlich inhaltlich und auf diese werden die über 20 Themenbereiche aufgeteilt. Roman Sidler sieht das pragmatisch: “Wir arbeiten zwar schon seit 6 Jahren in Newsroom-artigen Strukturen, haben dies aber anfangs nie explizit so benannt. Es war uns auch nicht wichtig, wie es heisst, uns ging es darum, Prozesse zu optimieren und effizienter zu machen.” Das eröffnet Freiheiten und darum gibt es bei Geberit auch keine strikte Trennung zwischen Themen- und Kanal-Ownern: “Alle haben auch noch einen zweiten Hut auf und verantworten Kanäle.”
In der Praxis sieht das so aus, dass eine Person thematisch recherchiert und vorgängig mit den Kanal-Verantwortlichen klärt, was in den Kanälen gebraucht wird. Wer zur Recherche rausgeht, deckt grundsätzlich alle Kanäle mit Text, Bild und Video ab. Der Geberit-Newsroom kennt nur zwei Funktionen: Die journalistisch arbeitenden Editors (die wie erwähnt auch eine inhaltliche Kanal-Verantwortung haben) und Publisher als Produzenten/Umsetzer (eine Art Blattmacher). Die einzelnen Kanäle werden also – wie vieles hier – sehr pragmatisch geführt: “Auf jedem Kanal sitzen ein Publisher und ein Editor.” Je nach Prozessschritt arbeiten sie sehr eng zusammen.
Zur Medienarbeit hat Roman Sidler eine klare Haltung: “Ich denke nicht, dass wir mit unserer Arbeit die Medien ersetzen, wir haben aber den Anspruch, diese mit unseren Blog-artigen Einblicken auf unserer Website mit Storytelling zu ergänzen. Der Bereich entspricht offenbar einem Bedürfnis, wir haben sehr gute Klickraten und guten Traffic. Aber wir wollen uns weiter verbessern und den Blog künftig noch online-gerechter und damit attraktiver machen. Die Grundlagen dazu wollen wir im Rahmen des anstehenden Website-Redesigns schaffen
Effizient mit COPE
2011 war Geberit das erste börsennotierte Unternehmen in Europa, das auf den Druck des vollständigen Geschäftsberichts verzichtete. Das heisst aber nicht, dass man Print damit komplett aufgegeben hat – im Gegenteil. Im Laufe des Gesprächs legt mir Roman Sidler beeindruckend viele Publikationen vor, die die Zielgruppen-gerechtere Kommunikation mit den sehr heterogenen Zielgruppen des Geschäftsberichts ermöglichen sollen. Mit dabei ist auch ein Buch, gebunden in Leinen, handlich klein und haptisch angenehm in der Hand. Hier setzt Geberit auf Exklusivität: Nur Aktionäre und Investorinnen bekommen das Buch in die Hand, und zwar im persönlichen Kontakt. Bestellen kann man es nicht. Hands-on – ganz im Sinne des Newsroom-Gedankens – ist auch hier die Lösung: “In diesem Buch sind nur Elemente drin, die wir auch für andere Kanäle aufbereitet haben. Natürlich angepasst an das kleine Format mit kürzeren Texten und passendem Layout, aber es ist magazinartig gestaltet mit wertigen und lebendigen Bildern, mit einem Blick hinter die Kulissen.” Das ist gut gelöst – wie auch die gesamte damalige Umstellung der Geschäftsberichtspublikation; von den damals 12’000 Aktionärinnen haben sich keine 10 darüber beschwert, dass der eigentliche Jahresbericht nicht mehr gedruckt wird.
Im Gespräch fällt dieser Ausdruck zwar nicht, aber der Geberit-Newsroom verfolgt den COPE-Ansatz konsequent: Create Once Publish Everywhere. Noch ein Beispiel gefällig? Roman Sidler fährt fort: “Früher waren alle super Stories in eigenen Gefässen gefangen. Erst nachdem der Beitrag fertig war, hat man an die Bedürfnisse der Kanäle gedacht. Zu spät! Heute denken wir weiter, recherchieren breiter, nutzen Synergien und bringen Geschichten in weitere Kanäle.” Das ist ein Lernprozess, dazu wurde das Team sukzessive daraus ausgerichtet, in Themen zu denken. Das ist nicht jedermanns Sache: “Wir haben auf diesem Weg auch Mitarbeitende verloren, weil sie mit ihren neuen Rollen nicht zufrieden waren. Damit ein Newsroom funktioniert muss man die richtigen Leute haben. Gleichzeitig können wir ihnen aber auch attraktivere Arbeitsplätze bieten.”
Pragmatik ist Programm
Es scheint in der DNA des Geberit-Newsrooms zu liegen, nicht mit grossen Konzepten und Präsentationen zu planen, sondern umzusetzen, was notwendig ist und Sinn macht. Schliesslich muss die Kommunikation beweglich bleiben. Das hat auch der Zukauf der finnischen Sanitec Gruppe 2015 gezeigt. Das brachte über Nacht nicht nur den Wechsel von einer Einmarken- zur Mehrmarken-Strategie und die Verdoppelung der Anzahl Mitarbeitenden, sondern auch die Erweiterung von reinem B2B-Denken um die Dimension B2C. Der Newsroom musste bei gleichem Headcount noch effizienter werden, da viele neue Themen zusätzlich abgedeckt werden mussten.
Physisch umgebaut wurde für den Newsroom kaum, trotzdem waren die Veränderungen einschneidend, weil bisherige Zweier- und Dreierbüros zu einem Grossraumbüro umfunktioniert wurden. “Am Anfang gab das Widerstände, heute ist das Team überzeugt, dass das der richtige Weg war und ist”, sagt Roman Sidler. Die Ausstattung des Geberit-Newsrooms ist nicht grandios, aber funktional: “Wir bevorzugen die pragmatische und bodenständige Vorgehensweise, und das auch bei der physischen Ausgestaltung des Newsrooms.” So dienen in der Mitte des Raums Lateralschränke als Stehtisch. An der Wand ein Bildschirm, auf dem die Themen-Planung oder der Newsstream eingeblendet werden können. Zusätzlich gibt es ein Sitzungszimmer als Break-out-Büro für Diskussionen, konzentrierte Arbeit oder für längere Telefonate. Zudem haben die inhaltlich Arbeitenden auch unkompliziert die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten.
Der Newsroom ist – mit Ausnahme des Intranets und der Finanzberichterstattung – nicht vom Tagesgeschäft getrieben. Das gibt etwas Luft für die Koordination: “Wir haben zweimal pro Woche ein ‘Newsroom-Kafi’ am Morgen, an dem wir die Runde machen und unstrukturiert erzählen, woran wir arbeiten oder welche Themen jemanden im Moment grad beschäftigen. Spannende Themen werden gleich ‘eingescomplert’, also in unser Themen- und Redaktionsplanungstool Scompler eingespiesen. Alle zwei Wochen findet dann eine längere Redaktionssitzung statt. Das reicht,” schmunzelt Roman Sidler, “denn die tägliche Abstimmung im Grossraumbüro ist intensiv.” Und genau so soll es schliesslich in einem Newsroom sein.