Homeless Media ist ein Schlagwort, das Medienschaffende aber auch Unternehmen beschäftigt. Es besagt, dass soziale Netzwerke und Publikationsplattformen zur Heimat von Inhalten von Unternehmen und Medienhäusern werden. Und in der Tat ist es so: Nie waren die Möglichkeiten ohne eigene Website zu publizieren grösser: Linkedin Pulse, medium oder Facebook Instant Articles sind nur einige Beispiele.
Wo gehört der Content hin: Auf die eigene Website? In die sozialen Medien? Dazu gibt es verschiedene Sichtweisen. Content-Papst Klaus Eck zum Beispiel hat in den letzten Monaten immer wieder dazu aufgerufen, den eigenen Webauftritt nicht zu überschätzen: “Die Website ist nicht alles, worum sich die ganze Welt dreht.” Für den Journalisten Richard Gutjahr ist der Fall klar: “Unsere Inhalte müssen dahin, wo die Menschen sind.” PR-Professor Thomas Pleil hält das allerdings für keine gute Idee und legt auch seine Argumente für eine eigene, starke Webpräsenz dar.
Ich kann mich mit dem Gedanken, primär auf soziale Netzwerke und Publishing Plattformen zu bauen, bis heute nicht anfreunden. Das war schon vor wenigen Jahren so, als darüber diskutiert wurde, ob eine Facebook-Seite eine Website ablösen könnte. Damals gab es Unternehmen, die das tatsächlich gemacht haben… Wenn Besucher mit gutem Content auf die eigene Website geholt werden, dann hat das ja auch handfeste, wirtschaftliche Gründe: Verkauf, Employer Branding, Fundraising oder – ganz basic – die Information über Angebot und die Menschen dahinter.
Gerade KMUs oder Nonprofit-Organisationen leiden meist an einem chronischen Kapazitäts-Mangel für die regelmässige Kommunikation. Sie haben keine Wahl und müssen Prioritäten setzen, wenn sie bei einer Google-Suche gefunden werden wollen. Dann stecken sie ihre Energie besser in einen eigenen Webauftritt. Dieser ist so zu gestalten, dass er als Hub eine zentrale Funktion in der Kommunikation übernehmen kann. Dass er auch auf dem Smartphone eine gute Falle macht, muss heute nicht mehr weiter betont werden, nicht wahr? Homeless Media sind eine Ergänzung für die Vermarktung, Vergrösserung Reichweite und eine Chance, neue Zielgruppen zum eigenen Thema zu erreichen.
Plug and Play als Versuchung
Geld ist keines da, aber ein Blog muss her. Was liegt da näher, wie mit Plug and Play auf einem bestehenden System zu starten? Das geht ganz einfach: Profil eröffnen, aus der Flut von kostenlosen Designs ein Passendes auswählen und loslegen bei Blogger, Tumblr oder WordPress. Sie bringen die Inhalte, die Betreiber besorgen den Rest: Hosting, Software-Updates und die Vermarktung der Plattform: Das alles wird für Sie erledigt. Klingt gut? Aber Halt! Auch dieser Rundum-Service hat auch seine Tücken.
Sieben Gründe sprechen dafür, den Webauftritt oder Blog auf einer eigenen Domain zu betreiben und ihm neben der eigenen Adresse auch mehr Kontrolle zu geben.
1. Das Design bestimmen Sie
Wie Ihr Webauftritt oder Ihr Blog aussieht, bestimmen Sie. Zugegeben, bloggen auf medium ist ein Erlebnis, das Content Management System (CMS) wurde von absoluten Volllprofis entwickelt, schreiben ist hier ein Traum. Das Aussehen hingegen bestimmen Sie nur bedingt. Wer eine Facebook-Seite betreibt weiss aus Erfahrung, wie schwierig es ist, die eigene visuelle Persönlichkeit einzubringen, zumal die wenigsten Fans neue Beiträge auf der Fanseite selber, sondern im Stream lesen.
Auf Ihrer Domain bestimmen Sie: Das reicht von der Architektur der Homepage, über die Darstellung der Seiten bis hin zum Corporate Design mit Hausfarbe, Logo und Typographie. Es gibt kaum etwas, was sich nicht nach Ihrem Wunsch gestalten lässt – die Grenzen setzen Ihr Budget, der gute Geschmack und die Usability.
2. Sie sind Herr des Contents
Sämtliche Inhalte bleiben bestehen, können in Kategorien gruppiert und nach Schlagwörtern durchsucht werden. “Fish where the fish are” gilt zwar bei medium, Linkedin Pulse & Co, die Inhalte gehen aber auch in einem Meer von Beiträgen unter und müssen gegen die Konkurrenz bestehen. Auf Ihrer Seite schaffen Sie die Orientierung über aktuellste Beiträge, Beiträge die besonders gern gelesen wurden, neuste Kommentare und Themen die zusammengehören.
Sie bleiben also zu 100% Eigentümerin von allen Inhalten wie Texten, Fotos, Infografiken, Videos, Podcasts usw. und treten auch keine Nutzungsrechte ab. Natürlich entbindet das nicht von der Pflicht die rechtlichen Rahmenbedingungen einzuhalten. Bilderklau wird immer stärker geahndet, in Deutschland ist das Abmahnen und unrechtmässig verwendeten Bildern ein eigenes Einkommensmodell von geschäftstüchtigen Anwälten geworden. Und ja, räumen Sie doch bitte Ihre Homepage gelegentlich auf. ;-)
3. Die Adresse ist eindeutig
Ein selber gehosteter Blog oder eine Website hat eine eindeutige Adresse, eine URL, was nichts anderes bedeutet wie Uniform Resource Locator: Hier steht bereits der Name Ihres Unternehmens oder Ihrer Marke drin. SEO lässt grüssen.
Jeder einzelne Beitrag hat einen Permalink, also einen dauerhaften Link mit dem er gefunden werden kann. Formen gibt es verschiedene, aus SEO-Gründen empfiehlt es sich jedoch anstelle von einer kyptischen Zahl wie www.mcschindler.com/?p=123 einen nachvollziehbaren Namen zu wählen: www.mcschindler.com/homeless-media-sieben-gruende-fuer-den-eigenen-webauftritt.
Auf jede Seite können so genannte Backlinks gesetzt werden. Google mag das. Wenn möglichst viele andere Seiten auf Ihren Blog verlinken interpretiert das Google als “diese Seite ist relavant”. Besonders stark ins Gewicht fallen selbstredend Seiten, welche selber viele Besucher mit einer hohen Verweildauer und eine tiefe Absprungrate (Bounce Rate) aufweisen.
Die Vernetzung zwischen Seiten mit gleichen Interessen hat meiner Meinung nach durchaus noch Luft nach oben … nehmen Sie das Thema in Ihre Online-Strategie auf.
4. Die Erfolgskontrolle ist gratis
In Ihre Seite binden Sie eine eigene Erfolgskontrolle ein. Teils werden Zugriffszahlen via das Blogsystem oder Content Management System CMS ausgeliefert. Eine Fülle von Auswertungsmöglichkeiten bietet Google Analytics und das auch weit in die Vergangenheit zurück. Bei vielen Gratis-Anbietern schlägt die Bezahlschranke genau dann zu, wenn Sie versuchen wollen, die Zugriffe genauer und über einen selbst gewählten Zeitraum auszuwerten. Nicht zu regen übrigens von sich ewig ändernden Statistiken die eine Vergleichbarkeit fast unmöglich machen.
5. Die Spielregeln machen Sie
Sie bewahren sich Ihre Unabhängigkeit und legen die Spielregeln selber fest. Ob Kommentare zugelassen sind, vor der Freischaltung durch Sie geprüft werden müssen oder nicht: Auch das ist Ihr Entscheid. Ob Sie Inhalte vom Netz nehmen entscheiden Sie selber. Schwieriger wird es allerdings auch hier, wenn Beiträge und Bilder bereits weiter geteilt wurden. Aber kurz und gut: Sie bestimmen die Spielregeln.
6. Mit Push in die Mailbox
Oft sind Besucher auf einer Website Zufallstreffer. Entweder finden Onliner über einen Beitrag zu Ihnen, den sie in den sozialen Medien entdeckt haben. Oder sie recherchieren zu einem Thema. Wir alle wissen, wie schnell wir Quellen entdecken und wieder vergessen. Gemäss Google Analytics sind drei von vier Lesern auf diesem Blog zum ersten Mal hier. Falls Sie dazu gehören, heisse ich Sie bei dieser Gelegenheit herzlich willkommen :-). Sie haben die Möglichkeit, Beiträge per RSS oder Mail zu abonnieren. Damit erhalten Sie neue Blogposts direkt in Ihre Mailbox oder in Ihren Reader.
In den sozialen Netzwerken bestimmen wahlweise der Zufall oder ein Algorithmus ob ein neuer Beitrag entdeckt wird.
7. Wann Schluss ist bestimmen Sie
Bevor ich im Frühjahr 2010 hier meinen Blog unter der eigenen Domain mcschindler.com startete, habe ich mit dem Bloggindienst Posterous erste Gehversuche gemacht. Das ging ganz schnell: Profil eröffnen und loslegen – den Rest besorgte Posterous. Das Gleiche hätte ich unter WordPress tun können, wo ich mir damals sicherheitshalber ein Profil geschützt habe.
Als ich 2010 meine Agentur gründete war klar: Ein eigener Web-Auftritt muss her, mit dabei ein Blog. So holte ich meine Inhalte von Posterous in meine neue, eigene Umgebung. Zwei Jahre später erhielt ich die Bestätigung, dass der Wechsel weg von Posterous goldrichtig war. Twitter kaufte auf, Posterous wurde immer buggier und hat 2013 schliesslich den Dienst eingestellt. Die Beiträge habe ich gerettet, die Diskussionen in den Kommentaren gingen verloren. Für mich war das ein Lehrstück aus der Praxis für das Risiko ist das man eingeht, wenn man auf einen Blogging-Anbieter statt auf ein eigenes Hosting setzt.
Alles hat seinen Preis
Wenn Sie auf Unabhängigkeit setzen, dann bedeutet das auch, dass Sie sich um ein paar Dinge selber kümmern müssen:
- Suchen und Aufsetzen einer eigenen Domain: Das ist heute gar nicht mehr so einfach, weil die meisten Domains schon vergeben sind.
- Buchen eines Hostings: Damit einher geht auch die Klärung der Frage, wo die Daten gemäss Firmen-Policy gelagert sein müssen.
- Programmierung: Wie soll die Seite aufgebaut sein, welche Inhalte kommen wohin? Gibt es Zusatzfunktionen wie die eine Möglichkeit, neue Beiträge zu abonnieren?
- Design: Wie soll der Auftritt aussehen? Dabei sollte sichergestellt sein, dass die Seite nicht nur schnell lädt und benutzerfreundlich ist (Usabiltity) sondern auch auf mobilen Geräten eine gute Falle macht.
- Wartung und Support: Das bedeutet Software Updates, Konfigurieren von Plugins und natürlich auch das Backup Ihres Contents.
Und ja, wo ich mit Klaus Eck und Richard Gutjahr völlig einig bin: Ein Blog oder eine Website dürfen nicht Selbstzweck sein, die Inhalte müssen distribuiert und den Publikum dort schmackhaft gemacht werden, wo es sich befindet. Dazu nochmals Klaus Eck: “Nur weniger Onliner abonnieren einen Business Blog mit RSS-Feed.” Aber das ist Stoff für einen weiteren Artikel – oder wenn Sie sich gerade Gedanken zu diesem Thema machen Gelegenheit für ein persönliches Gespräch.