Im Newsroom von Schweiz Tourismus sitzen Sommer, Winter und Städte an einem Tisch (Update)

Markus Berger, Leiter Unternehmenskommunikation Schweiz Tourismus

Wenn Sommer, Winter, Städte und Social Media zusammensitzen, über Geschichten sprechen und ein Geheimprojekt aushecken, dann sind wir nicht in Fantasyland, sondern im Newsroom von Schweiz Tourismus (ST). Markus Berger, Leiter Unternehmenskommunikation, hat mir Einblick in einen Newsroom gegeben, der anders funktioniert wie alle, die ich bisher gesehen habe. Was ihn anders macht? Hier gibt es weder Stehtisch noch Bigscreen, dafür viel Fokus auf Kontext, Themen und integrierte Kommunikation. Und er zeigt, dass der Aufbau eines Newsrooms ein Prozess ist.

Wenn Sie wissen wollen, wie der Newsroom die Kommunikation bei Schweiz Tourismus im ersten Jahr verändert hat, springen Sie direkt auf die drei Fragen, die ich Markus Berger gestellt habe. (Am Ende dieses Beitrags.)

Newsroom als Klammer

Der Newsroom ist zwar in der Theorie gut angenommen worden, hat aber in der Praxis mehr Zeit gebraucht als gedacht. Markus Berger

Die Marketingorganisation Schweiz Tourismus fördert seit 100 Jahren im Auftrag des Bundes die Nachfrage für das Ferien-, Reise- und Kongressland Schweiz im In- und Ausland. Ihren Sitz hat sie in Zürich, ist aber insgesamt in 27 Ländern präsent. Von 240 Mitarbeitenden sind um die 130 am Hauptsitz beschäftigt, 13 Personen, inklusive Social Media Team, kümmern sich hier um die Unternehmenskommunikation mit Schwergewicht auf der Medienarbeit. Hinzu kommen 26 Medienverantwortliche aus den internationalen Märkten.

Der im März 2017 gestartete Newsroom in Zürich ist ein Corporate Communications-Projekt unter der Leitung von Markus Berger. Will heissen: Hier sitzen neben dem CC-Team jene Mitarbeitende, welche im Markt Schweiz aktiv medial nach aussen kommunizieren, und zwar im “earned space”. Dieser umfasst neben den konventionellen Medien das Social Publishing mit online Medien, Social Media und eigenen Publikationen. Der Newsroom ist also die Verlängerung des Marketings (paid), stellt die integrierte Kommunikation sicher und funktioniert als Klammer für die gesamte Kommunikation. Ebenfalls nicht Teil des Newsrooms ist die Website (owned), welche kampagnengetrieben mit Inhalten bestückt wird.

Heute, nach etwas über einem Jahr, entwickelt sich der Newsroom noch immer weiter. So ist zum Beispiel geplant, dass bis 2020 das Social Publishing eine stärkere Bedeutung erhält. In der Vergangenheit wurde vor allem auf Medienanfragen reagiert und über Produkte kommuniziert. Neu hat Schweiz Tourismus begonnen, selber Themen zu setzen und proaktiv über verschiedene Kanäle zu kommunizieren. Issues Monitoring und Issues Management werden künftig eine tragende Rolle spielen. Das braucht ein Umdenken in den Köpfen, Markus Berger spricht von einer Transformation. “Der Newsroom ist zwar in der Theorie gut angenommen worden, hat aber in der Praxis mehr Zeit gebraucht als gedacht”, hält er fest.

Content ist das Kapital

Newsroom Schweiz TourismusNicht im Newsroom sitzen die Märkte und Bereiche. Sie sind in Zürich durch “Paten” vertreten. Diese haben auch Zugriff auf das gemeinsame Contentboard, welches – wenig spektakulär – über ein Excel organisiert ist. Dazu Markus Berger: “Wir haben verschiedene Tools geprüft, aber erkannt, dass keines der Vielfältigkeit unserer Organisation befriedigend gerecht werden kann. Daher haben wir ein gemeinsames Gefäss geschaffen und basieren auf den Fach-Inputs der entsprechenden Schweiz-Experten.” Dieses Team beschafft, verarbeitet und distribuiert kontinuierlich Informationen zum Reiseland Schweiz. Dazu sind alle, auch die Destinationen, aufgerufen beizutragen. Mit dem Content Management entwickelt Schweiz Tourismus eine Art “Swissipedia” als Kompetenzzentrum für Wissen rund um die touristische Schweiz. Ganz von alleine geht das allerdings nicht, gerade die Pflege des Contentboards bedarf einer regelmässigen Sensibilisierung.

Viele Unternehmen bauen sich einen Newsroom, weil sie die verschiedenen Aktivitäten im Unternehmen auf sinnvolle Weise zu Schwerpunktthemen bündeln und über verschiedene Kanäle zielgruppengerecht ausspielen wollen. Bei Schweiz Tourismus, als Dienstleister für die Märkte, läuft das etwas anders. Hier werden Inhalte entlang der Achse Zielgruppen-Segmentierung, Kontext und Thema so attraktiv aufbereitet, dass sie von den Schweizer Destinationen und den Märkten über einen Leistungsvertrag abgenommen werden. Schweiz Tourismus positioniert zwar die Schweiz, lebt aber davon, dass der Content auch abgerufen wird. Es erfolgt also kein Push in die Märkte, sondern es gilt das Holprinzip. Ist die Relevanz nicht gegeben, riskiert die Organisation, auf ihren Inhalten sitzen zu bleiben.

Zielgruppen + Kontext = Relevanz

Ich durfte Mitte März an der Newsroom-Sitzung, die jeden Freitag stattfindet, teilnehmen. Hier ist Raum für Brainstormings und thematische Diskussionen. In jeder Sitzung wird jeweils ein Thema vertieft. Was mir besonders auffiel ist, wie wichtig der Kontext aktueller Gegebenheiten ist. Ein Beispiel: “Nach einem schneereichen Winter warnen Meterologen offenbar vor ‘Jahrhundertschmelzwasser'”, bringt einer der Teilnehmenden ein. Die zehn bis zwölf Wasserfälle der Schweiz werden diesen Frühling wohl noch imposanter zu Tal stürzen als sonst. Was lässt sich damit für Schweiz Tourismus anfangen? Die Ideen sprudeln: Wasserscheiden, mögliches Hochwasser, Frühlingswanderungen an Seen sind alles Themen, die diskutiert werden. Es werden Aufgaben verteilt und gleich während der Sitzung im Contentboard vermerkt.

Das ist ja nun mal kreativ, klingt für mich aber auch etwas nach Zufall. Darum wollte ich von Markus Berger wissen, wer mit den Themen angesprochen werden soll und ob Zielgruppen im Newsroom gar kein Thema sind? “Nein”, bestätigt er lächelnd, denn alle Teilnehmenden haben sie so verinnerlicht, dass sie in der Sitzung in der Tat nicht mehr thematisiert werden müssen. Schweiz Tourismus arbeitet seit drei Jahren mit der Segmentierungsstrategie, die auch von den Destinationen übernommen wird.

Neigungen statt Demographie

Für jedes Jahr und für jeden Bereich werden eigene Segmente festgelegt. Demographische Kriterien reichen schon lange nicht mehr aus, da diese Gruppen doch sehr heterogen sein können. Darum ist das Destinationsmarketing dazu übergangen, Anspruchsgruppen nach ihren Neigungen und Motiven zu segmentieren. Diese Segmentierung basiert auf einer Marktforschung verbunden mit einer Kundenbefragung. Für mich war der Begriff der Neigungsgruppe neu, aber er ist bestechend. Denn daraus lassen sich auch sehr gut die Themen ableiten, die für die gewählte Gruppe relevant sind. Schweiz Tourismus will in den nächsten zwei Jahren folgende Neigungsgruppen ansprechen:

  • Sommer 2018: Outdoor Enthusiast (Biker & Cycler), Sommer 2019: Nature Lover und Outdoor Enthusiast (Hiker)
  • Winter 2018 und Winter 2019: Snow Sports Enthusiast
  • Städte 2018: City Breaker, 2019 ist noch nicht definiert.
Segmentierungsstrategie Newsroom
10 Gästesegmente von Schweiz Tourismus im Freizeitbereich

Insgesamt hat Schweiz Tourismus zehn Neigungsgruppen definiert, wie die Abbildung zeigt. Vier Gruppen werden über die Bereiche Sommer, Winter und Städte über die gleiche Kampagne angesprochen und sind darum in der Grafik mit der gleichen Farbe hinterlegt.

Content-Planung im Dreisprung

Fasziniert hat mich der Dreisprung aus Kontext – Thema – Kanal. Das Newsroom-Team arbeitet ganz intuitiv in diesen Schritten, sie scheinen in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Mit dem bewussten Blick auf den Kontext holt Schweiz Tourismus für das Agenda Setting also nochmals etwas weiter aus, wie andere Newsrooms.

Newsroom Schweiz Tourismus Content Planung Kontext Thema Kanal Dreisprung
Von Markus Berger wollte ich wissen, mit welchen Schwerpunktthemen gearbeitet wird: “Wir haben die Themen für 2018 reduziert, eingedampft, und arbeiten an der Themenplanung für 2018, die wir dann im Contentboard ebenfalls platzieren und auf Schnittstellen beobachten. Dies liegt in der Federführung von CC.” Als eines der anstehenden Themen nennt er die Produktentwicklung. Diese soll vom Medienteam verstärkt thematisiert werden. Aus dem Newsroom-Team kommen jetzt Inhalte und Ideen dazu, wie die Produktentwicklung erklärt und mit guten Beispielen mediengerecht illustriert werden kann. Je nachdem drängen sich dann unterschiedliche Kanäle auf. Als Beispiel wird die neu entwickelte Buchungsplattform für Top-Cycling-Tours definiert, geeignete Story-Angles werden gesucht, Kanäle abgewogen und Pitches aufgeteilt.

Vitamin B in den Kanälen

Die Themenverantwortlichen sind mit den Bereichen Winter, Sommer und Städte gesetzt. Doch wie sieht es aus mit den Kanalverantwortlichen? Für die Medienarbeit teilt sich das Newsroom-Team die Arbeit. Die einen haben eine grössere Affinität zu audiovisuellen Medien, andere besonders gute Verbindungen zur Fachpresse in Freizeit und Tourismus. Beziehungen sind das A und O, wer schon versucht hat, einen Medienverteiler zu pflegen, weiss aber auch, wie schwierig es ist, mit den personellen Wechseln Schritt zu halten. So wird bei jedem Thema wieder neu abgesprochen, wer den Kontakt mit welchen Journalistinnen und Medien aufnimmt.

Zwei Herausforderungen gilt es zu meistern: Nicht selten kommt es vor, dass gleich zwei Vertreter von Schweiz Tourismus mit gleichen oder ähnlichen Themen bei einer Redaktion anklopfen. Der Newsroom hilft, Doppelspurigkeiten zu vermeiden, aber auch klar zu erkennen, bei welchen Verlagen sich die Redaktionen absprechen und wo dies nicht der Fall ist.

Social Media als Scharnier

Der Verantwortliche für Social Media sitzt im Newsroom und übernimmt eine Querschnitt-Funktion zwischen den Bereichen und gleichzeitig das Advisory für die Märkte weltweit. Er arbeitet bereichsübergreifend für Sommer, Winter sowie das Städte/Unterkunftsmarketing & Gastronomie. “Er hat aber auch eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Marketing und Corporate Communications”, betont Markus Berger. “Eine sorgfältige Abstimmung ist sehr wichtig, schliesslich verwischen die Grenzen immer mehr. Besonders deutlich kommt das zum Ausdruck, wenn es um Influencer Relations geht. Instagramer, Reiseblogger und YouTuber sind nicht selten auch Fachjournalisten. Einerseits weil sie von Klassischen Medien eingeladen werden, Beiträge zu verfassen. Anderseits aber auch, weil sie sich als Fachjournalisten in eigenen Gefässen mit Destinationen und Freizeit-Themen auseinandersetzen.”

Newsroom Schweiz Tourismus Meilenstein Bildquelle mcschindler.com
Erste Meilensteine sind erreicht, doch der Newsroom bleibt ein Prozess.

Ein gutes Jahr nach dem Start im März 2017 wollte ich von Markus Berger wissen, wie sich der Newsroom und insbesondere die Zusammenarbeit seither entwickelt haben. “Im ersten Jahr war der Newsroom vor allem ein Raum, wo wir Sensibilisierung und Ausbildung für die Marketingleute (bezüglich Medienarbeit) leisten konnten. Grösster Erfolg ist die viel grössere Sensibilität der Teilnehmer für Themen, für Möglichkeiten, für rasche Reaktionen und geplante längerfristige Pitches. Jetzt gilt es, dieses Bewusstsein stärker im Arbeitsalltag zu verankern und auch materiell zu Ergebnissen zu führen.”.

Es gibt also noch viel zu tun. Ich danke Markus Berger für den Einblick und die Zeit, die er sich genommen hat.

Was hat der Newsroom wirklich verändert?
Drei Fragen an Markus Berger

Welche Veränderungen und vor allem auch welche Verbesserungen bringt ein Newsroom? Dazu habe ich Markus Berger nochmals Ende 2018 befragt:

Lässt sich nachvollziehen, ob Beiträge, Themen und Botschaften mit Einführung des Newsrooms beim Publikum besser ankommen und was sich verändert hat?

Wie immer in der Kommunikation ist es sehr schwierig zu messen und zu beurteilen, welche Botschaften wie und weshalb bei unserem Publikum ankommen. Wenn wir aber das Publikum – insbesondere des Newsrooms – als “die Medien(schaffenden)” betrachten, dann können wir definitiv eine positive Bilanz ziehen. Wir haben in den letzten zwei Jahren pro Jahr je eine Zunahme der erfolgreich platzierten Themen und Beiträge um rund 10 % beobachten könnten.

Wie verschafft sich ein Unternehmen bei einem Publikum, von dem man sagt, dass es unter dem Content-Shock leidet, Gehör und Aufmerksamkeit? Haben sich Definition und Ansprache von Stakeholdern verändert?

Auch hier gilt es eine Unterscheidung zwischen dem primären Publikum (Medien) und dem finalen Publikum (potentielle Gäste) zu machen.
Die Medien stehen weniger unter dem Content-Shock. Sie leiden viel mehr unter mangelnden Ressourcen, fehlender Zeit. Individuelle Rückmeldungen haben uns gezeigt, dass die Medienschaffenden daher die Bündelung unserer medialen Kommunikation in einem Newsroom begrüssen. Von aussen ist es für sie ein optimierter SPOC. Und für ist es einfacher, unsere Botschaften gezielt über die erfolgversprechendsten Kanäle/Kanalverantwortlichen direkt bei den am besten geeigneten Medien zu platzieren.
Die (potentiellen) Gäste können wir angesichts des publizistischen Lärms nur noch erreichen, wenn wir unsere Botschaften sorgfältig und passgenau auf verschiedenen Kanälen parallel spielen. Dafür ist unser Newsroom die ideale Plattform.

Gibt es Anzeichen, dass Inhalte von Unternehmen vermehrt auch Aufgaben erfüllen, welche zuvor unabhängige, aber jetzt geschwächte, Medien geleistet haben?

Das Miteinander und sich ineinander Verweben der PESO-Kanäle (Paid, Earned, Shared, Owned) nimmt laufend zu, und damit auch die publizistische Verantwortung von Unternehmen. Sie werden nie die traditionellen Medien ersetzen können, aber gemeinsam mit diesen die Gesamtkommunikation gezielt orchestrieren.

Die Fragen wurden schriftlich gestellt. Markus Berger hat im Dezember 2018 geantwortet.

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