In einer fünfteiligen Serie beleuchten wir, was das Social Web zu dem macht, was es heute ist. Heute betrachten wir im Bauplan für das Social Web das fünfte und letzte Element:
- Die Hierarchien sind flach, Reputation entsteht durch Vernetzung.
Charakteristisch für das Social Web sind die Beziehungen zwischen Menschen, die meist auf gemeinsamen Interessen basieren. Hierarchien sind, soweit überhaupt auszumachen, flach. Wer einen sozialen Status erreichen will, tut dies nicht aufgrund eines Titels, sondern durch eine gute Vernetzung einerseits und seinen aktiven Beitrag zur Gemeinschaft. Wie funktioniert das? Im Social Web treffen wir immer mehr Bekannte aus unserem Alltag, über 500 Mio. Menschen weltweit sind inzwischen allein auf Facebook unterwegs, in der jeder dritte Schweizer ist dabei. Und wir entdecken noch viel mehr Menschen, die uns bisher nicht bekannt waren, mit denen uns aber gleiche Interessen verbinden.
Jeder ist über sieben Ecken bekannt
Kommt Ihnen diese Situation bekannt vor? In einem Gespräch stellen Sie fest, dass Sie “über sieben Ecken” mit der gleichen Person wie Ihr Gesprächspartner bekannt sind und staunen, “wie klein die Welt doch ist”. Und schon sind wir mitten drin, im “Kleine Welt-Phänomen” von Stanley Milgram der festgestellt hat, dass jeder Mensch auf der Welt mit jedem anderen über eine überraschend kurze Kette verbunden ist. Natürlich sind wir mit diesen Menschen nicht so stark verbunden wie mit unseren Freunden oder unserer Familie. “Strong ties“, also starke Verbindungen, basieren auf einem gemeinsamen Erfahrungsschatz, emotionaler Bindung und gegenseitigem Vertrauen. Zu den Bekannten der Bekannten führt uns hingegen eine schwache Bindung. Der Soziologe Mark Granovetter stellte 1973 fest, dass gerade diese „weak ties“ für die Bildung von beruflich orientierten Netzwerken enorm wichtig sind, denn diese sind auf Informationsaustausch und ökonomische Chancen ausgerichtet.
Weak ties eröffnen neue Horizonte
Weak ties überbrücken soziale Distanzen, zudem eröffnen sie Menschen Zugang zu Informationen, die sie in ihren eigenen Kreisen nicht finden. Fremde, unvoreingenommene Menschen mit anderen Perspektiven bringen neue Informationen und Sichtweisen ins Spiel, die unter Umständen wichtige Puzzle-Steine zur Lösung eines Problems sind. Und genau das macht diese Netzwerke so mächtig. Im Social Web bauen wir solche lockeren Beziehungen mit zunächst schwachen Bindungen auf. Wir suchen also nicht in erster Linie „Freunde fürs Leben“. Wenn wir mit Menschen Kontakte knüpfen, dann tun wir das im Stil von: „Du kennst dich in einem Gebiet aus, das auch mich interessiert, lass uns eine Verbindung knüpfen und uns weiter unterhalten. Wer weiss, vielleicht wird mal was draus“.
Es sind auch diese schwachen Bindungen, die das gesellschaftliche Universum in ein Global Village verwandeln. Mit dem Social Web wird diese Welt noch kleiner. Im Alltag braucht es ein längeres Gespräch und den Zufall, dass dieses in die richtige Richtung und auf die entsprechende Person gelenkt wird. Communities wie Xing, Facebook, LinkedIn usw. sind genau darauf ausgelegt, die Verbindungen unserer Kontakte schnell sichtbar zu machen. Dies sollten wir uns übrigens auch im Umkehrschluss bewusst sein. Wir legen im Social Web unsere Verbindungen für unsere Umwelt offen. Zudem schlagen alle Netzwerke weitere Onliner vor, die für uns aufgrund der von uns veröffentlichten Informationen von Interesse sein könnten.
Teil haben und mit teilen
Die Kontaktnahme im Social Web ist denkbar einfach. Kontakte sind aber wertlos, so lange sie nicht gepflegt werden. Auch hier können wir auf unsere Alltagserfahrungen zurückgreifen. Wenn wir auf einer Veranstaltung, nach der ersten Begrüssung kein Wort mehr von uns geben, wird sich unser Gegenüber wohl oder übel einen anderen Gesprächspartner suchen. Interessant bleiben wir auch online, indem wir am Gespräch teilhaben und uns mitteilen. In beiden Wörter steckt das Wort teilen. Teilen können wir vieles: Wissen, Interessen, Humor, Gefühle von Ärger bis Freude – wie viel wir dabei von unserer Persönlichkeit preisgeben, bleibt uns selber überlassen.
Die neue Dimension der Freundschaft
Die Vernetzung im Social Web ist für manche Menschen gewöhnungsbedürftig. Auch wenn Facebook uns Freunde zum Profil hinzufügen lässt, müssen dies noch lange keine Freunde im eigentlichen Sinne sein. Wir haben beobachtet, dass in Facebook oder in stärker geschäftlich ausgerichteten Netzwerken wie XING oder LinkedIn einerseits bestehende Kontakte, auch Freundschaften, weitergepflegt, aber durchaus auch neue Kontakte im Sinne von weak ties geknüpft werden. Über die Einstellung im eigenen Profil legen wir fest, was wir unseren „echten“ Freunden und was wir unseren Kontakten zeigen. Noch etwas bizarrer verhält es sich in Twitter. In der Offline-Welt würden wir uns wohl kaum einfach so jemandem an die Fersen heften und seine Gespräche abhören. In Twitter geht das auf Knopfdruck mit „Follow“ – und wenn wir das Interesse verloren haben, mit „Unfollow“.
Bitte lächeln: Sie werden portraitiert
Aus diesen Gesprächen, nicht nur in Twitter, sondern auch in anderen Netzwerken, lässt sich ungeahnt viel über das Leben eines Menschen erfahren: Ob er im Beruf Erfolg hat, kürzlich umgezogen ist, am Abend einen Saunabesuch mag oder ob er gerade Ärger hat.
Abweichungen zwischen den Netzwerken werden (unbewusst) registriert. Wenn Sie also persönliche Dinge von sich Preis geben, müssen Sie sich im Klaren sein, dass jemand Ihnen zuhört, vermutlich wie die Mehrheit schweigt, aber sich dennoch mit der Zeit ein Bild von Ihnen macht. Achten Sie bei der Kommunikation also auf den Schutz der Privatsphäre (von sich selber und von anderen) und auf Konsistenz.
Mit diesem Beitrag beschliessen wir diese fünfteilige Serie. Mehr zu diesem Thema und handfeste Praxistipps finden Sie im Handbuch für Kommunikationsprofis PR im Social Web, das ich mit meinem Co-Autor Tapio Liller schreibe. Die Erscheinung ist für das erste Quartal 2011 im O’Reilly-Verlag geplant.