Was fährt in eine Behörde, wenn sie innert kürzester Zeit gegen 400 Tweets verschickt? Sie testet via Twitter, wie sie der Bevölkerung ein Bild von der Arbeit der Polizei im Alltag vermitteln kann. Dass diese Aktion eine voller Erfolg war, die sehr viel Goodwill geschaffen hat, darf schon mal vorweg genommen werden. Ich durfte Michael Wirz, den stellvertretenden Leiter der Infostelle der Zürcher Stadtpolizei bereits früher in diesem Blog zum geplanten Einsatz von Social Media für die Stadtpolizei interviewen, in diesem Beitrag teilt er mit uns seine Learnings.
Am 1. November ging der Twitter Account @StadtpolizeiZH live. Nur einen Monat später startete die Stadtpolizei ein mutiges 24-Stunden-Experiment: Unter dem Hashtag #stapo24 berichtete sie ab Freitagmorgen, 2. Dezember während 24 Stunden mit einem sechsköpfigen Team aus der Zentrale über ihre Einsätze. Gemeldet wurde alles ausser News, die aus ethischen oder ermittlungstaktischen Gründen nicht veröffentlicht werden konnten. Mit der Begrüssung des 2‘000. Twitter Followers outete sich auch Manuel P. Nappo, der Mann mit dem Doppelpunkt, den die Stadtpolizei für diese Aktion als Profi mit ins Boot geholt hatte.
Tiefere Information als mit Medienmitteilungen
Um 6:30 Uhr ging‘s los: der erste Einsatz ging zu zwei brennenden Containern im Kreis 4 und von dort zu einem nicht ansprechbaren Mann der vor einem Haus lag. Dieser wurde ein paar Tweets später von der Sanität ins Spital gebracht. Auf die Frage von @PriscaBundi, warum die Polizei die ganze Twitter Aktion mache, lautete die Antwort: „Wir möchten den Bürgern einen Einblick in unsere vielfältige Arbeit geben, tiefer als es Medienmitteilungen tun.“ Und die Vielfalt der Tätigkeit wurde mit dieser Aktion sehr transparent. Bei mir haben sich Gefühle gemischt von “was, um so einen Quatsch muss sich die Polizei auch kümmern?” bis zu “Hut ab und gut, dass wir jemanden haben, der hier zum Rechten sieht.” Neben neuen Fakten zur Polizeiarbeit habe ich insbesondere viel Atmosphärisches mitgenommen. Hier arbeiten Menschen Tag und Nacht, absolvieren ein grosses Pensum von Routine- bis hin zu irrigen Einsätzen und müssen laufend zwischen Gesetz und menschlichem Ermessen entscheiden.
An Fragen mangelte es nicht
Dass das Interesse am Blick hinter die Kulissen der Arbeit der Stadtpolizei gross ist, zeigten die vielen Fragen, von denen ich hier einige herausgegriffen habe:
- pstadler @StadtpolizeiZH drückt ihr oft ein Auge zu? Drogenkonsumierende Freunde, arme Mutter stiehlt Essen, Arzt im Parkverbot, McDonald’s Rabatt?
Die Antwort zeigte: Kulanz liegt trotz Grundauftrag absolut drin. Hier entscheidet der gesunde Menschenverstand. - @MarcelWidmer wollte wissen, ob sie die Stapo nicht hin und wieder wie im Irrenhaus vorkomme – er bekam eine höchst diplomatische Antwort.
- @michelrossier nutzte Twitter für seinen Kollegen:„Will für einen Freund wissen, wie man Detektiv wird.“ Nach einer kurzen Erklärung folgte der Link zur Ausbildungsseite.
- Nicht aufs Glatteis führen liessen sich die Verantwortlichen von der Anfrage von @RomUnion „Ab wieliefen Plomillle daf chnit mer Velo fahren?“ und antworteten nüchtern: „Auch als Velofahrer ist man ein Verkehrsteilnehmer – und muss somit nüchtern unterwegs sein.“
Diese Fragen zeigen die Breite des Informationsbedarfs. Und sie sind auch die Antwort für alle die sich fragen, worüber sie denn im Social Web sprechen sollen: Hört erst einmal zu, die Inhalte ergeben sich dann (fast) von alleine.
Berichterstattung über #stapo24 online und klassisch
Zum Dienstschluss in den frühen Morgenstunden des 3. Dezembers meldete die Stadtpolizei um 06:26 Uhr: „Unsere Berichterstattung neigt sich nach 250 Einsätzen und rund 400 Tweets dem Ende zu. #stapo24“. 3‘234 Follower verzeichnete der Twitter-Account der @StadtpolizeiZH am 4. Dezember und figurierte auf 40 Listen, vor dem Start der Aktion waren es so um die 300 Follower. Google spuckte zur gleichen Zeit 1‘190 Resultate für die Suche von #stapo24 inurl:Twitter aus, 1‘253 waren es bei Tweetreach, insgesamt gab es bei Google 2‘310 Treffer. Die Aktion hat also definitiv Wellen geworfen und zwar über Twitter hinaus. Zahlreiche Blogger haben die Aktion zum Thema gemacht und auch die klassischen Medien haben berichtet. Noch am Samstag hat der Tages-Anzeiger dem Twitter-Marathon einen Artikel gewidmet und die Schweizerische Depeschenagentur nahm das Thema in ihr Bulletin auf. Selbst der österreichische Standard ist auf den ungewöhnlichen Liebling der Twitter Community aufmerksam geworden. Im Standard wird Michael Wirz Social Media-Engagment der Stadtpolizei Zürich wie folgt zitiert:
„Der Lebensbereich vieler Bürger hat sich durch das Internet geändert. Es ist Aufgabe der Polizei, sich gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen. Die Frage war nicht ‘ob’, sondern ‘wie’ wir Social Media nutzen.“
Schön gesagt. Finde ich.
Wertvolle Learnings der Polizei auf den Weg
Drei Tage nach Abschluss der Aktion habe ich mit dem Verantwortlichen Michael Wirz gesprochen, daraus haben sich einige sehr interessante Learnings ergeben:
- #stapo24 war eine PR-Aktion mit klarem Ziel und dem Fokus auf Vertrauen, Transparenz, Information. Wir wollen Vertrauen in die polizeiliche Arbeit aufbauen, denn ohne das Vertrauen der Bevölkerung ist unsere Arbeit enorm schwierig. Zudem ging es uns darum Transparenz zu schaffen und zu zeigen, wie der Polizeiberuf wirklich aussieht. Und last but not least wollten wir mit Information auf unsere Social Media Aktivitäten aufmerksam machen.
- Die Aktion war sorgfältig geplant. Zwei Wochen vor Termin haben die Mitglieder der Twitterteams an einem Nachmittag von 15 bis 17 Uhr einen internen Testlauf in Echtzeit absolviert. Ihre Meldungen haben sie in Word-Dokumente getippt. Geholfen hat dabei, dass das Team aus top motivierten, enthusiastischen und geübten “Schreiberlingen” zusammengesetzt war. Diese Vorarbeit half denn auch bei der Überzeugung der Entscheider, die sich so die Aktion etwas genauer vorstellen konnten.
- Der Testlauf hat gezeigt, dass nicht alle zur gleichen Zeit dasselbe tun können. So wurden die Chargen verteilt: Jemand hat geantwortet, andere haben Funk und das interne Journal abgehört, eine Person hat koordiniert. Jede einzelne Meldung musste taktisch auf ihre Tauglichkeit für die Veröffentlichung via Twitter abgewogen werden, denn potentiell können solche Tweets ja auch von Tatverdächtigen gelesen werden.
- Dass mit Manuel P. Nappo ein externer Experte im Team war bezeichnet Michael Wirz als wichtig: “Er brachte die Sicht von aussen ein, konnte uns darauf hinweisen, wenn etwas zu wenig verständlich war und punktuell half er uns auch bei den Formulierungen. Zudem hat er uns bei den Vorbereitungen unterstützt. Wir haben ein Informationsschema entwickelt für dringliche, heikle oder no go-Themen (z.B. ein Suizid).
- Michael Wirz hat inzwischen einige Monate lang Erfahrungen im Social Web gesammelt und Beziehungen geknüpft. So konnte er das Klima in der Community bereits einschätzen und kannte den Kommunikationsstil. Dass er von dieser Seite auch Unterstützung bekam, hat ihn natürlich gefreut, so über den prominenten Besuch von @bloggingtom, welcher dem Twitterteam zum Start frische Gipfeli vorbei brachte.
- Das Team hat sich die Freiheit genommen, trotz Corporate Account seine menschliche Seite zu zeigen. So war es denn auch klar, dass sie zum Abschluss des Marathons twitterten: “Das Twitter-Team braucht jetzt vor allem eines, Schlaf! …”
Linktipp:
Trickr hat eine wertvolle Liste der besten Twitter Tools zusammengetragen. Diese hat mir auch bei der Recherche für den vorliegenden Artikel sehr geholfen.
Update vom 20. März 2012
Inzwischen hat die Stadtpolizei Zürich in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Social Media Management an der HWZ eine Infografik zum Projekt gemacht, die ich hier gerne zur Abrundung einstelle (zum Vergrössern anklicken).