In einer Zeit, in der Algorithmen immer mehr steuern, was wir zu sehen bekommen, spielt der “Faktor Mensch” plötzlich wieder eine grössere Rolle. Unternehmen wollen im Social Web Sichtbarkeit bei ihren Zielgruppen und Reichweite. Die Lösung? Angestellte tragen Themen aus dem Unternehmen in ihre Netzwerke und teilen Beiträge des Arbeitgebers auch auf ihren eigenen Profilen. Wenn sich viele Menschen mit einem Thema beschäftigen, übersetzt das der Algorithmus in Relevanz und belohnt dies mit einem besseren Ranking. Da liegt es doch nahe, Mitarbeitende als Botschafter oder gar als Corporate Influencer aufzubauen. Doch klappt das einfach so? Was müssen Kommunikations-Profis bedenken, wenn sie Mitarbeitende aktivieren wollen und wie weit dürfen Unternehmen gehen?
Die einen Unternehmen, wie zum Beispiel Otto, haben schon ganze Programme entwickelt, mit denen interessierte Mitarbeitende geschult und gecoacht werden. Andere motivieren ihre Angestellten mit Gamification dazu, bereitgestellte Links im Netz zu teilen. Es gibt aber auch weiterreichende Überlegungen, nämlich Mitarbeitende über Zielvorgaben, Regelungen im Pflichtenheft oder gar Vereinbarungen im Arbeitsvertrag anzuhalten, in sozialen Medien aktiv zu werden. Letzteres halte ich für problematisch.
Freiwillige vor!
Die meisten Diskussionen zum Aufbau von Botschafterinnen kratzen meiner Meinung nach viel zu sehr an der Oberfläche. Sie verharren bei der Frage:
Wie bringen wir unsere Mitarbeitenden dazu, dass sie unsere Inhalte weiter teilen und sich auf Social Media positionieren?
Schnell werden dann Überlegungen zu relevantem Content, passenden Tools und allenfalls etwas Schulung gemacht. Zu wenig genau beleuchtet werden die Voraussetzungen die nötig sind, dass Mitarbeitende überhaupt bereit sind, in die Rolle der Botschafterin oder des Botschafters zu steigen. Die Rede ist zwar oft von Freiwilligkeit und hin und wieder wird auch gewürdigt, dass die intrinsische Motivation wichtig ist.
Ein Mittel dazu sind Plattformen, die mit Gamification den Wettbewerb unter den Arbeitskollegen etwas anheizen. Wer viel teilt und Interaktion auf Social Media erzeugt, steigt auf dem Treppchen immer höher. Vorne wird mit Auszeichnungen belohnt, im Hintergrund die Leistung jedes einzelnen Teilnehmers im Programm gemessen. Solche Plattformen sind zum Beispiel Hearsay, Smarp oder Sociabble. Alle drei kenne ich nur vom Hörensagen. Und ich sage nichts gegen den Ansatz der Gamification, nur darf er nicht isoliert betrachtet werden. Denn das alleine reicht nicht.
Freiheiten sind wichtig, doch habe ich auch schon die Beobachtung gemacht, dass es mitunter nach einer kurzen thematischen Anleitung der Kreativität der Mitarbeitenden überlassen wird, worüber sie sprechen. Schliesslich soll es authentisch sein und das ist komplett nachvollziehbar. Wenn Leitlinien zu dos und dont’s vorliegen und eine Ansprechperson für Fragen zur Verfügung steht, dann ist das vielleicht ein Anfang, schliesslich wird man aus Erfahrungen klug. Aber Achtung: Mitarbeitende können und müssen nicht für eine fehlende Content-Strategie gerade stehen. Wer ein solches Programm anstösst, muss sich vom Kampagnendenken verabschieden. Es braucht Dreierlei: Orientierung, Freiheiten und Zeit, sonst landet das Ganze in der Sackgasse.
Welche Eigenschaften bringen Leute mit, die sich besonders als Markenbotschafter oder Themenführerinnen in Social Media eignen? Sie müssen den Willen mitbringen, zu kommunizieren. Sie müssen für sich ein Thema gefunden haben, in dem sie gut unterwegs sind und das zu ihnen passt. Dazu braucht es eine gewisse Leidenschaft oder zumindest Neugierde, dieses Thema weiterzuentwickeln. Natürlich hilft es, wenn sie sattelfest sind beim Formulieren, sodass nicht jeder Text vorgegeben werden muss. Zudem sollten sie ein gewisses Sendungsbewusstsein haben. Sie müssen im Prinzip verstanden haben, dass Wissen teilen dazu führt, dass sich das eigene Wissen verdoppelt. Das ist auch ein bisschen eine Frage der Philosophie.
Keine Freiwilligen da?
Bevor Sie ein Programm zur Befähigung der Mitarbeitenden planen, weil das im Moment gefühlt alle tun, machen Sie doch erst einmal eine Analyse:
- Ist Ihr Intranet tot, weil sich niemand traut, etwas zu teilen, vor lauter Angst, sich zu blamieren?
- Ist Fehlerkultur Neuland und löst das Wort Lernkultur Kopfschütteln aus?
- Sind loyale Mitarbeitende mit einer emotionalen Bindung zum Unternehmen und der Bereitschaft, auch mal eine extra Meile zu gehen, Mangelware?
- Hat ein grosser Teil der Belegschaft bereits innerlich gekündigt?
Wenn Sie alle diese Fragen mit ja beantworten, dann stellen Sie das Botschafter-Projekt bitte zurück. Ich glaube, Sie haben noch anderes zu tun. Die Resultate zum Engagement Index von Gallup zeigen wie die Realität im deutschen Arbeitsmarkt heute aussieht:
Geht man nach Gallup, können Sie im Durchschnitt überhaupt nur mit maximal 15% der Mitarbeitenden rechnen, gemäss derselben Quelle sind es in der Schweiz 13% und in Österreich 12%. Auch wenn alle anderen wortgewandt und kontaktfreudig sind – als Botschafterinnen für das Unternehmen eigenen sie sich ziemlich sicher nicht.
Comeback der internen PR
Interne Kommunikation hat mit dem Aufkommen der sozialen Medien wieder an Bedeutung zugelegt. Schliesslich kann ja potenziell jeder in seinem Netzwerk über das Unternehmen sprechen. Was früher der Stammtisch oder Sportclub war, ist heute scheinbar grenzenlos möglich. Was gesprochen wird, bleibt für die Arbeitgeberin in der Regel durch die Kommunikation über Messenger oder in privaten Gruppen unsichtbar (Dark Social). Gut informierte und zufriedene Mitarbeitende sind die Grundlage, dass nach aussen ein konsistentes Bild entsteht.
Um die interne Zufriedenheit festzustellen und zu prüfen, ob die interne Kommunikation greift, gibt es verschiedene Kontrollinstrumente:
- Fluktuationsrate (Höhe in Prozent und Veränderung)
- Absenzstatistiken und Absentismus
- Feedbacks aus der Personalkommission
- Direkte Rückmeldungen an Geschäftsleitung, Human Relations und Kommunikation
- Produktivität und Qualität der Arbeit
- Nutzung des Vorschlagwesens
- Reaktionen von Kunden auf das Auftreten von Mitarbeitenden
- Stimmung an Sitzungen
- Bereitschaft Wissen zu teilen
- Resultate aus Mitarbeiterbefragungen
- Engagement der Mitarbeitenden in ihrer Freizeit und Teilnahme an Anlässen des Unternehmens (Betriebsfeier, Firmenskitag)
- Teilnahme an betriebsinternen Abstimmungen und Wahlen.
Ja, ich weiss, Sie wollen doch eigentlich nur Mitarbeitende zu Botschaftern machen. Doch wenn das Betriebsklima faul ist, kommen Sie auch mit dem besten Botschafter-Programm nicht weiter. Sie haben definitiv andere Prioritäten, wie ihr Team dazu zu bringen, Links in Netzwerken zu teilen.
Kein Add-on zum Social Media Konzept
Ich wette, dass da draussen unzählige Berufskolleginnen in Workshops diskutieren und über Konzeptpapieren brüten, um die Aktivierung von Mitarbeitenden in den sozialen Medien zu planen. Kürzlich habe ich vom Wunsch eines Vorgesetzten gehört, das Thema Mitarbeiter “doch gleich im Rahmen des ohnehin fälligen Social Media-Konzeptes mitzuplanen”. Bitte tun Sie das nicht, denn Das ist klar zu kurz gesprungen!
Bevor Inhalte und technische Lösungen für das Teilen von Beiträgen überhaupt ein Thema werden, braucht es Grundlagen, die in der Kultur des Unternehmens verwurzelt sind. Das hat zu tun mit Führungsgrundsätzen. Und mit Strukturen. Ein Programm zum Aufbau von Mitarbeitenden als Botschafter kann nicht aus einer Social-Media und damit Kanal-getriebenen Denke umgesetzt werden. Sie treten ja, wie das Beispiel von Otto sehr schön zeigt, nicht nur in Facebook, Twitter, LinkedIn & Co auf. Sie schreiben für den unternehmenseigenen Blog, vernetzen sich an Fachveranstaltungen, treten als Referentinnen an Symposien auf oder engagieren sich in der Bildung als Dozenten oder Gesprächspartnerinnen für Studenten. Dafür braucht es Förderung, Raum und Zeit.
Wie weit dürfen Unternehmen gehen?
Wie weit sollen, können und dürfen Unternehmen künftig gehen, um ihre Mitarbeitenden als Botschafter zu aktivieren? Dazu hat mich kürzlich ein Student im Rahmen seiner Bachelor-Thesis interviewt. Das Thema “Mitarbeitende als Markenbotschafter in Social Media” bearbeitet er für seinen Arbeitgeber. Ich gebe zu, seine Fragen haben mich aufgerüttelt und mir gezeigt, wie weit das Thema schon gedacht wird. Ich bin sicher, Sie werden auch in Ihrem Team oder gerne auch auf diesem Blog für Diskussionsstoff sorgen:
Soll man loyale und engagierte Mitarbeitende, die aber keine Inhalte im Netz teilen wollen, mit monetären Anreizen oder indem sie Zeit zur Verfügung gestellt bekommen, motivieren?
Das macht meiner Meinung nach keinen Sinn, weil man versucht, mit solchen Massnahmen eine intrinsische Motivation zu züchten… Ich sehe eher den Weg, die Mitarbeitenden über die Kommunikation im Umfeld ins Boot zu holen und sie für Mechanismen zu sensibilisieren, aber ohne den dauernden Appell, dass sie selber auch posten sollen. Freiwilligkeit ist wichtig. Es gibt Menschen, die im Internet keinen Fussabdruck hinterlassen wollen, auch beruflich nicht, und das muss man respektieren. Wir befinden uns aber auch in einem Wandel. Menschen, die noch vor zwei bis drei Jahren kategorisch ausschlossen, auf Twitter oder LinkedIn aktiv zu sein, arbeiten jetzt damit. So gesehen sollte ein Unternehmen tun, was es ohnehin soll: Intern kommunizieren, was es extern tut. Verständlich machen, was Kommunikation bedeutet und diese vorleben.
Wie wichtig sind Führungskräfte als Vorbilder, die vorleben und selber in sozialen Netzwerken aktiv sind?
Das ist sehr wichtig, denn sie prägen die Kultur der Kommunikation, vorausgesetzt, sie pflegen eigene Accounts und lassen sie nicht von der Kommunikation befüllen. Auf diese Weise wirken sie glaubwürdig, weil sie eigene Erfahrungen machen und teilen können. Ich durfte kürzlich das Coaching-Projekt #TwitterSuccess mit drei CEOs begleiten. Alle drei sind zwar freiwillig ins Programm gestartet, waren da und dort aber auch skeptisch. Sie haben eigene Erfahrungen gemacht und sich über Aha-Erlebnisse ausgetauscht. Die Mechanismen im Social Web kann man nicht erklären, dafür sind sie zu vielschichtig. Wer eigene Erfahrungen teilen kann, wirkt nicht nur glaubwürdig, sondern kann auch motivieren.
Gerade beim oberen Kader ist die Repräsentation in der Regel Teil des Pflichtenhefts, Social Media ist dabei jedoch noch selten ein Thema. Sollte man die Pflege der eigenen Online-Präsenzen mit relevanten Inhalten künftig schon bei der Rekrutierung thematisieren oder gar in den Stellenbeschrieb aufnehmen?
Grundsätzlich sind Social Media-Profile persönlich und privat und nicht mit einen Arbeitsvertrag dazu zu kaufen. Mitglieder des Kaders können aber als Vordenker (Thought Leader) für das Unternehmen imagebildend wirken. Sie können als Meinungsbildner und Multiplikatoren dazu beitragen, dass die Haltung des Unternehmens auch in ihren eigenen Netzwerken bekannt wird. Dies wirkt übrigens auch nach innen. Wichtig finde ich die Klärung der Rollen: Sprechen sie über Themen, die das Unternehmen betreffen und in denen sie möglicherweise auch gleich Expertinnen sind? Oder sprechen sie im Namen des Unternehmens? Je nachdem gehören diese Aufgaben auch in den Stellenbeschrieb.
Sollen persönliche Social Media-Aktivitäten im Rahmen von Management by Objectives über Zielvereinbarungen geregelt werden?
Davon würde ich unbedingt abraten. Mitarbeitende als Botschafter nur mit Blick auf die Verbreitung einer Anzahl X Posts auf Facebook oder LinkedIn zu betrachten, greift zu kurz. Da ist der Schiffbruch vorprogrammiert. Wenn sie Botschafterinnen werden, dann beschränkt sich das nicht auf die sozialen Medien. Sie brauchen weitere Möglichkeiten um sich zu vernetzen und Raum für persönliche Begegnungen. Ich finde, dass es absolut legitim ist, dass sich die Unternehmensleitung Gedanken macht, was sie sich von Mitarbeitenden als Botschaftern verspricht. Sie muss sich dann aber auch im gleichen Zug fragen, was sie bereit ist zu investieren.
Unternehmen können aber mit Schulung und Coaching zeigen, wie sich Mitarbeitende zum Beispiel auf LinkedIn richtig profilieren können. Buchhalter, Aussendienstlerinnen oder Product Manager sollen in erster Linie ihren primären Job gut machen. Wenn sie sich darüber hinaus auf Social Media engagieren, umso besser.
Viel wichtiger wie die Repräsentation nach aussen scheint mir übrigens der Aspekt der Zusammenarbeit. Darum finde ich die Working-Out-Loud-Initiativen (WOL) bei Bosch oder Daimler eine sehr spannende Entwicklung. Hier werden Mitarbeitende geschult und motiviert, ihr Wissen zunächst intern zu teilen und das Knowledge Management zu verbessern. Das ist auch eine sehr gute Vorbereitung auf die externe Kommunikation. Es macht meiner Meinung nach sehr viel mehr Sinn, dies in die Zielvereinbarung aufzunehmen. Wenn Mitarbeitende gute Erfahrungen im Unternehmen machen, weil sie an spannende Projekte kommen, weil sie Wissen teilen und dadurch auch Wertschätzung erfahren, sind sie auch eher geneigt, dasselbe nach aussen zu tun.
Social Media ist im Übrigen kein Selbstzweck. Wenn man Leute dazu ermuntert, mehr auf Social Media aktiv zu sein, sind sie meist ratlos, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Die meisten erachten das, was sie tun, als zu wenig wichtig, um es weiter zu erzählen. Nur wenn sich der Sinn erschliesst und ein echter Nutzen nachweisbar ist, entsteht jene Dynamik, die notwendig ist, um auch längerfristig auf Social Media aktiv zu sein.
Früher waren alle Mitarbeitende Botschafterinnen, vom Fahrer des Firmen-Lieferwagens bis zur Frau am Empfang. Wenn Mitarbeitende bei Gesprächen im Tram oder Bus über ihren Arbeitgeber herziehen oder sich bei Kunden zuerst für Fehlleistungen im Backoffice entschuldigen, nutzt auch eine Verankerung von 15 Facebook-Beiträgen pro Jahr im Pflichtenheft nichts.
Ihre Meinung ist gefragt!
Wie weit können, sollen und dürfen Unternehmen gehen, um ihre Mitarbeitenden als Botschafter aufzubauen? Was funktioniert? Was ist ein absolutes No Go? Wie packen Sie das Thema an? Ich freue mich auf Ihren Kommentar … und alle anderen Leserinnen und Leser auch.