Nestlé startete im September 2015 mit #FragNestlé ein Dialog-Angebot. Dieses stiess auf grosses Interesse, löste aber auch heftige Reaktionen aus. Noch am Tag der Lancierung schaffte es der Hashtag in die Trending Topics bei Twitter. In der Folge musste sich der Schweizer Konzern unzähligen Fragen stellen. Diese waren hauptsächlich kritisch, spöttisch oder provozierend und drehten sich um Wasserrechte, Palmöl, Kinderarbeit und Nespresso.
Auch die Kommunikations-Szene war schnell auf dem Plan, diskutierte eifrig über die Kampagne und urteilte schnell: Die Einschätzungen reichten von ‘PR-Desaster’ über ‘(kalkulierten) Shitstorm’ bis hin zur ‘cleveren Strategie’. Und natürlich schwappte des Thema auch in die Zeitungen und Onlinemedien, welche die Aktion meist kritisch würdigten. So erreichte die Kampagne auch ein Publikum, welches den sozialen Medien fern bleibt.
Zum Jahrestag ist die Diskussion wieder aufgeflammt. Für Nestlé eine Überraschung, für mich die Gelegehheit jene Fragen, die ich schon vor einem Jahr stellen wollte, los zu werden. Hartmut Gahmann, Head of Corporate Communications bei Nestlé Deutschland, hat sie mir beantwortet.
Vor einem Jahr hat Nestlé mit #FragNestlé eine Kampagne angestossen, können Sie sagen, worum es dabei ging?
Es handelt sich bei #FragNestlé um keine Kampagne im klassischen Sinn, sondern vielmehr um ein Dialogangebot. Das Prinzip ist simpel: Fragen Sie uns. Wir antworten. Die Absicht dahinter, wir wollen:
- aufklären und Stellung beziehen.
- wissen, was die Menschen bewegt und welche Themen am meisten interessieren.
- deutlich machen, dass Dialog die Grundlage für gegenseitiges Verstehen und eine Problemlösung ist.
Vor gut einem Jahr haben wir mit #FragNestlé eine Twitter-Kampagne lanciert, sahen das aber von Anfang an als Door Opener für eine andauerndes Gesprächsangebot mit unseren Anspruchsgruppen.
Was war der Auslöser?
Anlass für Frag Nestlé war die ARD-Sendung Markencheck im September letzten Jahres. Damals war klar: Wir werden nicht nur Fragen zum Geschmack unserer Pizzen oder zum Kaloriengehalt unserer Eiskrem bekommen – das auch. Wir werden selbstverständlich auch viele Fragen zu unseren „Issues“ bekommen: Arbeitsbedingungen in der Lieferkette, Verträge mit Kommunen zur Wasserentnahme, Bewerbung von Milchpulver. Wir hätten uns wegducken und hoffen können, dass sich die Emotionen nach ein, zwei Wochen wieder legen. Oder wir hätten das tun können, was wir getan haben: Uns mit offenem Visier den Fragen stellen.
Der eigentliche Auslöser liegt einige Jahre zurück. Nach dem kit kat Fall haben wir unsere Kommunikation grundsätzlich überdacht und begonnen, sie konsequenter auf die Informations- und Dialogbedürfnisse unserer Anspruchsgruppen auszurichten. Ich war damals bereits bei Nestlé und habe diesen Prozess mit initiiert. Er beschränkt sich auch gar nicht auf die Kommunikation, sondern war nur im Zusammenspiel mit der gleichzeitigen Verbesserung von Produkten und Prozessen glaubwürdig und erfolgreich. Es handelt sich um das sogenannte Qualitätsprogramm (Q4) in das NGOs und Verbrauchergruppen intensiv involviert sind.
Welche Ziele haben Sie verfolgt und wie zufrieden sind Sie mit der Erreichung dieser Ziele?
Unsere Ziele waren:
- Die Diskussion auf möglichst einen Kommunikationskanal zu konzentrieren,
- durch Empathie und wahrheitsgetreue Information zu überzeugen, oder
- zumindest versuchen, den Menschen eine andere Sicht auf die Dinge zu geben.
Das wichtigste: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben Nestlé ein Gesicht und stehen mit ihrem Namen für die Wahrhaftigkeit der Informationen. Dies flankieren Vertreter aus Nichtregierungsorganisationen in unserem NGO-Beirat, die uns sehr kritisch unter die Lupe nehmen.
Und auch die Verbraucher selbst haben bei uns eine Stimme im Nestlé Verbraucherbeirat. Sie bekommen einen tiefen Einblick ins Unternehmen, schauen sich Produktionsbedingungen in unseren Werken an und debattieren mit uns beispielsweise darüber, wie wir die Inhaltsstoffe von Produkten noch sinnvoller auf der Verpackung angeben sollten.
Natürlich haben wir nicht jeden Fragesteller überzeugt, aber es ist gelungen, neben viel reflexartiger Kritik die Menschen neugierig zu machen auf eine andere, transparente Nestlé – sicher die beste Basis für weitere Gespräche.
Insgesamt war der Fall aber auch ein Beispiel für das, was im Netz in die falsche Richtung geht: Soziale Medien mit asozialer Attitüde. Langfristig werden die Krawallmacher dafür selbst mit Missachtung, Reputationsverlust und Vertrauensentzug konfrontiert werden, weil diese Art der „Diskussion“ keinen Nutzen für den Betrachter hat. Die Wirkungsmacht, die seine Betreiber über die Zeit erworben haben, wird abnehmen zugunsten kleiner Communities mit eigenen Regeln.
Einfach die Online-Kanäle für Fragen zu öffnen ist ja auch mutig: Gab es dazu interne Widerstände? Falls ja, wie sind Sie damit umgegangen?
Es gab für die Einrichtung von #FragNestlé intern überhaupt keine Widerstände. Das war für mich auch nicht überraschend, denn diese Entscheidung war die konsequente Fortsetzung eines schon vor fünf Jahren eingeschlagenen Weges. Damals haben wir uns entschieden, ein Programm aufzusetzen, das die Qualität unserer Produkte auf den Feldern Geschmack, Gesundheit, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung nachweislich und substanziell verbessert. Wir hatten hier die Gelegenheit, unsere Ergebnisse auch einmal einer breiten Community zu zeigen.
Können Sie etwas zur (internen) Vorbereitung und Kommunikation auf diese Kampagne sagen?
Ohne sachlich fundierten Input lassen sich allemal keine Fragen beantworten und ohne adäquate mediale Aufbereitung erzielt man heute keine Wirkung. Herausfordernd war allerdings der Spagat zwischen einer zuweilen juristisch exakten Unternehmenssprache und dem Jargon der Netzcommunity. Dies muss am Ende authentisch sein, sonst wirkt es anbiedernd.
Mit welcher Art Feedback haben Sie gerechnet und von wem?
Das Feedback ist in etwa so ausgefallen, wie wir das erwartet haben. Das war vor allem möglich, weil wir uns lange vorher mit unserem Publikum auseinandergesetzt haben. Kommunikation braucht Empathie und zwar dauerhaft. Das bedeutet aktives Zuhören und ein Verständnis, was die Zielgruppe inhaltlich und emotional bewegt. Dafür haben uns die sozialen Medien einen sehr guten Rückkanal eröffnet. Gleichzeitig signalisieren wir mit unserer Haltung und Wortwahl, dass wir auf die Anliegen unserer Anspruchsgruppen eingehen. Natürlich können wir nicht auf alle Wünsche eingehen, aber oft hilft der Dialog, verschiedene Perspektiven aufzuzeigen und Verständnis für unser Handeln zu erhalten. Ende des Jahres richten wir das Corporate Publishing Center CPC ein, dann werden wir uns besonders im Hinblick auf die (An)Sprache weiter professionalisieren.
War es geplant, die eingehenden Fragen für die weitere Kommunikation zu verwerten? Falls ja, wie ist das bis heute geschehen?
Ja, selbstverständlich, wobei das natürlich nur bei konstruktiven Fragen möglich ist. Wir haben festgestellt, dass es Themen gibt, die wir bisher noch nicht oder ungenügend beleuchtet haben. Ein Beispiel ist das Recycling von Nespresso-Kapseln bei dem wir einen sehr grossen Informationsbedarf festgestellt haben und dem auch gerne nachgekommen sind. Rückmeldungen haben Einfluss auf unser Agenda Setting, wir priorisieren auch aufgrund der Interessenlage. Feedbacks fliessen aber nicht nur in die Kommunikation ein, sondern auch in die Verbesserung von Prozessen und Produkten und wir diskutieren auch in unserem NGO-Beirat weitere Massnahmen.
Zum Jahrestag ist #FragNestlé in den sozialen Medien wieder aufgeflackert, hat Sie das überrascht?
Ja, das hat uns schon überrascht. Es war in der Tat spannend zu sehen, wie die Aktion wieder auflebte – darin sieht man die Kraft der Netzwerke, die Kraft des Empfehlungsmarketings! Hier haben andere den Ball wieder ins Spiel gebracht. Wir haben das Versprechen gegeben, uns immer und jederzeit auf den Zahn fühlen zu können. Ein Jahr lang kamen nur vereinzelte Fragen, aber jetzt war eben wieder mal ein etwas größerer Fragenkatalog fällig.
In der Beraterszene wurde die Kampagne ja kontrovers diskutiert und erhielt teils vernichtende Kritik, wie war das Feedback generell?
Die Beurteilung hat sich im Tagesablauf mit dem Sonnenstand verändert. Die ersten spontanen Reaktionen waren in der Tat „Wie konnte man nur so dumm sein“. Leider haben sich hier die Kritiker mit der Community gemein gemacht, die einerseits Transparenz und Dialogbereitschaft fordert, wenn sie aber stattfindet, hämisch zuschlägt. Wesentlich reflektierter waren spätere Kommentare, darunter der von Max Scharnigg aus der Süddeutschen Zeitung, der von einem kalkulierten und inszenierten Shitstorm spricht, in dem Nestlé sich „recht achtsam geschlagen habe“.
Welche Strategie verfolgt Nestlé in der Online-Kommunikation?
Wahrscheinlich kann man lange darüber diskutieren, ob sich eine online Strategie von der offline Strategie unterscheidet. Kommunikationstechnisch ja – Einstellung und Haltung sollten aber kohärent sein. Um allerdings den spezifischen Anforderungen – Speed, Visualisierung und Echtzeitdialog – noch besser zu gerecht zu werden, richten wir zum Jahreswechsel einen Content-Hub ein.
In Vevey unterhalten Sie das DAT Digital Acceleration Team. Was bedeutet für Sie Social Listening?
Das Konzept des DAT ist so erfolgreich, dass Nestlé es auch in vielen anderen Ländern einrichtet – unser „Frankfurter“ DAT startet Ende des Jahres. Der Vorteil: Wir sind mittendrin im sozialen Dialog, statt nur nebenan. Damit verbessern wir das Verständnis und stärken die eigene Positionierung.
Wie hat sich Ihre Kommunikation in den letzten fünf Jahren verändert?
Was wir von NGOs und konstruktiv kritischen Verbänden hören ist: Ihr hört zu und bemüht euch, uns zu verstehen. Ihr habt noch nicht auf alle Fragen eine finale Antwort, gebt dieses aber zu und arbeitet ernsthaft an den Problemen.
Voraussetzung dafür ist, dass sich das ganze „Mindset“ seitdem verändert, wie unser CEO Paul Bulcke auf der dmexco erneut betont hat. Wenn Mitarbeiter heute eine Information, ein Dokument, einen Link finden im Netz, sei er kritisch oder konstruktiv, werden sie diesen Fund in unseren internen Kanälen „sharen“, ihn kommentieren, daraus Schlüsse ziehen. Einfach so, weil alle davon profitieren. Vor fünf Jahren gab es das so noch nicht, das hat sich sehr verändert.
Was sind die nächsten Pläne in der Kommunikation von Nestlé, um mit der Digitalisierung Schritt zu halten?
Wir wollen die digitale Transformation nicht den Spezialisten überlassen. Daher wollen wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter mit dem „Digital Mindset“ vertraut machen: durch „Digital Acceleration Days“, durch Hospitanzen im DAT in Vevey, durch unsere „Digital Challenge“. Dabei treten abteilungsübergreifende Teams gegeneinander an, um Digitalprojekte in 100 Tagen auf die Beine zu stellen – so agil wie ein Startup. Das Gewinnerteam erhält dann ein Zusatzbudget – es lohnt sich also für die Teams. Oder wir arbeiten aktuell an einem internationalen Projekt: „From Mobile First to Mobile Best“.
Unser Leitendes Management hat ein „Reverse Mentoring“ gestartet und profitiert davon erheblich: Millenials coachen dabei den CEO und andere Vorstände in digitalen Fragen: Wie funktioniert Snapchat und wofür können wir es nutzen? Welche Ideen bieten sich für mobile Marketing an?
Wir haben eine eigene Abteilung für digitale Transformation ins Leben gerufen die dafür sorgt, dass das im Unternehmen implementiert wird – strukturell und mental.
Was nehmen Sie für sich mit?
Soziale Medien sind zwar ein zuweilen emotionaler, aber im Grunde genommen sehr guter Feedback-Kanal. Man braucht das Korrektiv und den ständigen Abgleich mit den Rezipienten. Dies ist vergleichbar mit einem Vortrag, bei dem man die Gesichter des Publikums lesen muß, um zu verstehen wie man verstanden wird. Kommunikation ist ja leider weniger, was gemeint ist oder gesagt wurde, sondern das, was ankommt.
Ich danke Hartmut Gahmann für dieses Gespräch und den Einblick.