Obermutten ist jetzt auch auf Facebook. Ja, und in China ist ein Sack Reis umgefallen, könnte man jetzt denken. Hier liegt der Fall total anders; seit seinem Start am vergangenen Montag wird das 80 Seelen-Dorf auf Facebook von Fans regelrecht überrannt, und dabei spielen auch die Medien eine Rolle. Bereits 2´200 Menschen, sogar bis Südkorea, haben sich auf der Seite des Walser Bergdorfes im schweizerischen Graubünden versammelt (Stand Samstagabend). Und die Journalisten geben sich die Tür in die Hand um über dieses Phänomen zu berichten. Hier wird mit minimalem Budget, dafür umso mehr Herzblut und guten Ideen, Vieles sehr gut gemacht.
Das Versprechen: Wir nehmen Sie persönlich
In einem Video auf dem eigenen YouTube-Channel Obermutten begrüsst der Gemeindepräsident Martin Wyss in hemdsärmliger und sympathischer Manier: „Liebe Einwohnerinnen, liebe Feriengäste, liebe Fans, unsere Gemeinde hat seit heute eine Facebook-Seite, somit sind wir auf der ganzen Welt vernetzt, wir nehmen Sie persönlich, das ist unser Motto, darum werden wir von jedem unserer Fans eine Foto an unseren Anschlagkasten hängen.“ (dieses Video allein hat über 800 Aufrufe).
Seither geht Gerhard (Gerry) Flatscher, dem Wirt im Gasthaus Post, möglicherweise das Papier, sicher aber nicht die Arbeit aus. Die Anschlagstafel war in „no time“ zugepflastert, und in verdankenswerter Weise hat ein Muttener Bauer seine Scheune als Wand zur Verfügung gestellt. Bei unserem Besuch am Samstagmittag waren bereits zwei Wände voll mit Facebook-Profilen jeglichen Geschlechts und Alters.
Fanseite mit Medienarbeit lanciert
Wie er sich den Erfolg erkläre, wollten wir von Gerry Flatscher wissen und ohne eine Sekunde zu zögern antwortet er: „Aus den Medien, das ist ganz klar. Obermutten hat die Lancierung der Seite mit Medienarbeit angekündigt. Ohne Medienarbeit geht es nicht“, sagt der Wirt, der jetzt auch Pressesprecher und Community Manager ist, überzeugt. Und dass die Medien angebissen haben zeigt das grosse Echo, das weit über den Kanton hinaus reicht: Schweizer Radio DRS, die Südostschweiz, gar le Matin in der Westschweiz, Europapress (in spanischer Sprache) und Finance ifeng im asiatischen Raum haben berichtet.
Medienarbeit ist zweifellos wichtig, aber auch verschiedene Blogs wie der englischsprachige Gadling Reiseblog, der Viamalablog oder der Allfacebook-Blog haben das Thema aufgegriffen. Für die virale Verbreitung dürften nach meiner Einschätzung neben Facebook und Blogs auch Twitter und Google Plus sorgen, wie der Blick in die Realtime-Suche zeigt.
Es gibt viel zu tun – packen wir’s an
Jetzt geht es darum, die vielen Fans „bei der Stange zu halten“ und das weiss auch Gerry Flatscher. Wir haben einige interessante Angebote, die wir machen werden, sobald im Unterland der Nebel kommt, zeigen wir unseren Fans, wo die Sonne scheint.
Eine Initiative, die ohne Budget und minimalen Ressourcen angegangen wurde, beginnt sich nun zu entwickeln. Und die Verantwortlichen sind jetzt gefordert:
- Die Fanseite wird regelmässig gelesen, damit die vielen Feedbacks der Fans schnell beantwortet werden können.
- Jeden Tag um 16 Uhr druckt Gerry Flatscher die Portraits der neuen Fans aus uns hängt sie an die Wand.
- Täglich kommen mehrere Anfragen von Medien, einige interessierte Besucher sind wegen der Fanseite bereits angereist und stellen ihre Fragen.Im YouTube-Channel werden immer wieder neue Filme zur Entwicklung der Fanbasis veröffentlicht. So bedankt sich Obermutten mit einem Orgelspiel aus der Walser Holzkirche aus dem Jahr 1718 bei den Fans.
- Damit Obermutten wirklich „mit der ganzen Welt vernetzt ist“, müssen sich die Verantwortlichen nun überlegen mit wem es sich online vernetzen will. Auf Facebook könnten dies von Postauto Schweiz über Graubünden Ferien bis hin zu anderen Orten wie beispielsweise Chur ganz verschiedene Seiten sein.
- Dann könnte sich Obermutten auch überlegen, die herrliche Bergwelt auf Bildern aufzufangen und, sorgfältig mit Schlagworten versehen, auf flickr einzustellen, einige sind bereits schon da.
- Auf die Website von Mutten, gehört über kurz oder lang eine Verlinkung mit Facebook und YouTube, über eine weitere Social Media Integration sollte nachgedacht werden.
- Für das eigene Branding gilt es auch zu überprüfen, ob für Obermutten weitere Profile reserviert werden sollen. Was noch zu haben ist, steht hier.
- Und last but not least ist es jetzt, falls nicht bereits geschehen, höchste Zeit, ein Online-Monitoring aufzubauen. Denn es geht nicht nur darum, mit Stolz auf das grosse Echo zu schauen, sondern herauszufinden, wer am Thema interessiert ist. Blogger, die jetzt über das Thema geschrieben haben, sind möglicherweise auch an der Information über weitere Aktivitäten interessiert.
Was klein begann, beginnt zu wachsen. Das Beispiel von Obermutten zeigt, wie viel sich im Social Web bewegen lässt. Manchmal geht das überraschendschnell, was aber immer bleibt, ist die Aufbauarbeit. Dafür wünsche ich dem Ort und den Verantwortlichen alles Gute!
Update vom 20. Oktober
Heute habe ich via Facebook erfahren, dass hinter dieser Aktion Graubünden Ferien zusammen mit der Agentur Jung von Matt mit einer Mannschaft von insgesamt 12 Personen gestanden hat (vermutlich haben sich die Verantwortlichen bestens über diesen Beitrag mit den Ratschlägen amüsiert). Nach meinem Gespräch mit Gerhard Flatscher hat mich zum Zeitpunkt dieses Blogposts das professionelle Vorgehen darum nicht stutzig gemacht, weil er nach meinen Recherchen früher beim Medienhaus Südostschweiz tätig war. Zudem kam die Medienmitteilung, das war damals bereits ersichtlich, via Graubünden Ferien. Die Kommunikation bei Facebook hat auf mich am Anfang sehr authentisch gewirkt nur so in den letzten Tagen wunderte ich mich über die Ausdauer und den Ideenreichtum der Posts. Aber ich gebe es gerne zu, Verdacht habe ich nicht geschöpft.
Ich finde es grundsätzlich in Ordnung, wenn sich ein Unternehmen für die PR im Social Web die Unterstützung einer Agentur holt, dafür sind wir ja da. Für mich stellt sich aber auch die Frage Nachhaltigkeit: Kann der Kunde nach einer Startphase “das Heft selber in die Hand nehmen?”. Gerade bei der Kommunikation im Social Web kann diese Kommunikation auf Dauer (manche sagen sogar “gar nie”) von einer Agentur kommen. Zu gross ist der Zeitdruck, die Notwendigkeit kurzer Entscheidungswege und die Fähigkeit, die Stakeholder zu erfassen und mit dem eigenen Anliegen abzugleichen. Dieses Beispiel zeigt, dass wir es mit “Gesprächen” und nicht mit “Texten” zu tun haben und diese muss Obermutten selber führen. “Lerne es selbst zu tun” heisst das Motto. Ich würde einem Kunden nie zu einem Engagement im Social Web raten, wenn ich abschätzen kann, dass er dafür auf Dauer weder die nötige eigene Motivation für die Aufbauarbeit noch die Ressourcen dazu hat.
Und dann stellt sich noch die Frage nach der Transparenz, auf die ich selber auch noch keine gescheite Antwort habe. Ich verstehe, dass die Agentur irgendwann auch ihren Case abfeiern und zur Akquisition neuer Kunden nutzen will. Nur, so frage ich mich, ist dafür jetzt der richtige Zeitpunkt von Agenturseite her bei Twitter, Facebook und mit einer Medienmitteilung “die Katze aus dem Sack zu lassen? Wo bleibt die Transparenz auf der Fanseite? Dieser Bogen ist (noch nicht) richtig geschlossen.
Die Aktion finde ich übrigens weiterhin sehr gelungen und spreche den Verantwortlichen mein Kompliment für die Idee und Durchführung aus. Nur hoffe ich, dass KMU’s im Social Web auch ohne grosses Portemonnaie erfolgreich sein können, kein Märchen ist.
Update vom 24. April 2012
Ich gratuliere Obermutten zur Platzierung auf der Shortlist des Goldbach Awards 2012 in der Kategorie Social Media.
Update vom 4. Oktober 2012
Ein Jahr nach dem Start zeigt Obermutten, dass es um das kleine Bündner Dorf noch lange nicht ruhig geworden ist. Die einen pumpen Geld ins soziale Netzwerk, und blasen bei Facebook eine Fanbasis auf, die nach dem Absetzen der Inserate wieder in sich zusammenbricht, weil sie es nicht schaffen, ein Engagement
aufzubauen. Obermutten hat den Dialog weiter gepflegt und seine Fans auf Facebook und in ihrem Dorf kontinuierlich aufgebaut und gepflegt. Kritiker sagen, dass das eine Leistung der Agentur Jung von Matt/Limmat sei. Ich bin der Meinung, dass da und dort ein kreativer Schub sicher hilft, die Hauptarbeit, Freude und Durchhaltevermögen bei den Verantwortlichen im Dorf liegt. Die Fans haben es gedankt: Mit unzähligen Besuchen und vielen Geschenken. Doch wohin damit? Obermutten hat neben der Stabkirche und dem Restaurant nun neu auch ein Museum! Etwas grossmundig habe sie es Obermutten International Museum of Friendship – kurz OIMF genannt. Der Name bringt zum Schmunzeln, und das vermutlich gewollt. Die Idee ist auf jeden Fall gut. Nur der Stall, den müsste man noch etwas besser isolieren ;-)
Das hat auch ein wenig was vom mittelalterlichen Pranger :D
“Das Beispiel von Obermutten zeigt, wie viel sich im Social Web bewegen lässt.” Ähm – und was wäre das in diesem Fall genau???
Im Moment geniesst Obermutten eine Aufmerksamkeit, von dem manches Dorf (oder auch Unternehmen) nur träumen kann. Aktuell bewegt es Menschen: Journalisten, die recherchieren und schreiben, Fans, die sich mit Obermutten austauschen, Menschen, die das Prachtswochenende für einen spontanen Besuch nutzen. Ich denke, das ist so von 0 auf 100 eine ganze Menge. Jetzt kommt die Herausforderung, bei und mit der Kernzielgruppe im Gespräch zu bleiben.
Obermutten hat es richtig gemacht und nimmt’s persönlich. Und darum geht es uns doch allen, oder? Wir wollen gebauchpinselt werden und unser Ego befriedigen lassen. Hach, wie schön. :-)
Ja, hier geht es um Menschen. Was mir bei Obermutten gefällt ist die Intuition, mit der sie die Kommunikation angehen, darum wirkt das auch authentisch. Wir PR-Schaffenden können von einem (guten) Wirt lernen: Der hat nämlich immer seinen Gast im Blick.
Obermutten hat etwas ganz Richtiges getan in Richtung Social Media: Sie hat das hervorragende Theme unseres Kunden Michael Oeser, alias DER PRINZ, genommen. :-)
Ich schliesse mich Frau Schindler an, dass dies ein sehr schönes Beispiel ist, wie man Kommunikation eines Kantons oder bei uns in Deutschland eine Gemeinnde / Landkreis angehen kann über das Internet.
Solchen Beispielen gehört sicher die Zukunft und wird unsere Gesellschaft weiter verändern.
Welche Seite von Obermutten hat das Theme von Michael Oeser? Ich hab’s ja in diesem Blog und lasse ihn herzlich grüssen. Es gefällt mir immer noch ausgezeichnet und ich bekomme auch viele Komplimente dafür.
Die Verantwortlichen von Obermutten haben meinen grössten Respekt, nicht nur für die immense Arbeit, die sie gerade stemmen, sondern insbesondere für den Dialog, den Sie auf Facebook pflegen.
Bis jetzt hat Obermutten nur teueres Geld für eine Kampagne ausgegeben.
Ich kann das “nur” in diesem Kommentar nicht so richtig einordnen. Wenn ich mir anschaue, was bei Facebook läuft, sehe ich grosses Engagement und – was nicht selbstverständlich ist bei einem sehr kleinen Team – Ausdauer. Mit Geld ist das nicht zu kaufen. Aber vielleicht mögen Sie sich ja noch etwas mehr erklären.
https://www.facebook.com/obermutten
Facebook Berühmtheit ist gut und schön. Der Ideenreichtum von JvM genial und der ungebrochene Wille von Obermutten / Graubünden, weiter zu machen toll. Jetzt müssen nur noch Gäste kommen. Sonst war Social Media nur ein Selbstzweck.
Das sehe ich genau so. Viele der Geschenke wurden ja vorbeigebracht, das waren dann also auch Gäste. Allerdings weiss ich nicht für wie lange. Aber solche Erst-Kontakte, egal wie lang, sind schon wertvoll. Und wenn es Obermutten schafft, bei Ferienpländne Top of Mind zu sein, haben sie einen genialen Job gemacht. Banal ist das ja weiss Gott nicht.