
Kürzlich hat Michael Wirz sein MAS in Business Communications an der HWZ mit der Master-Thesis zu einem brisanten Thema abgeschlossen: „Polizei 2.0 – Social Media als Dialoginstrument für Blaulichtorganisationen am Beispiel der Stadtpolizei Zürich“. Die wichtigsten Resultate (pdf nicht mehr verfügbar) hat der stellvertretender Leiter Infostelle der Stadtpolizei Zürich am diesjährigen Kongress zur urbanen Sicherheit in Zürich präsentiert. Damit hat er ein breites Medienecho ausgelöst, das Thema brennt also unter den Nägeln, wir haben ihn dazu befragt:
Michael Wirz, Sie haben angekündigt, dass die Zürcher Stadtpolizei noch dieses Jahr damit beginnt, die systematische Nutzung der “Social Media” Twitter und Facebook aufzubauen. Die Jugendlichen, die kürzlich in Zürich randaliert haben, haben sich nur über SMS und bewusst nicht über Facebook organisiert. Setzen Sie auf’s falsche Pferd?
Nein, diese Schneeball-SMS haben nicht viel mit Social Media zu tun. Es ist vielmehr ein Weg, eine Nachricht oder einen Aufruf schnell an viele Personen zu verbreiten und hat wenig mit Dialog zu tun. Wir setzten auf Social Media als Kommunikationskanäle, um mit offenem Visier mit der Bevölkerung zu kommunizieren. Dabei soll Monitoring eine Grundlage des Dialogs und nicht ein Mittel der Überwachung sein.
Die Social Media Strategie ist Teil des Kommunikationskonzepts und soll die Information der Bevölkerung und den Dialog mit dieser fördern. Sie dient in erster Linie dazu, die Bedürfnisse der verschiedenen Anspruchsgruppen frühzeitig zu erkennen. Die Auswertung und Analyse von Informationen aus den verschiedensten Quellen, auch des Internets, gehört bei uns aber bereits heute zu einem fortlaufenden Einsatzplanungsprozess. In diesem Zusammenhang interessieren uns die angesprochenen SMS natürlich, auf Grund der unkontrollierten Verbreitung erreichen uns solche Aufrufe in der Regel sehr schnell.
„Wir nutzen systematisch Twitter und Facebook“ tönt nach einem sehr Tool-orientierten Ansatz. Welche konzeptionellen Überlegungen haben Sie angestellt?
Ich habe den Begriff Social Media bewusst sehr breit gefasst und unsere Strategie so ausgerichtet, dass sie für alle Plattformen, auch neu aufkommende, funktioniert. Es ist jedoch wichtig, dass je nach Zweck das richtige Tool gewählt wird. Dass wir mit Facebook und Twitter auf Organisationsebene starten, hat mit unseren Kommunikationszielen aber auch mit den Interessen der Community zu tun. Meine Umfrage hat gezeigt, dass Twitter der meistgewünschte Kanal für die Kommunikation mit der Polizei ist. Facebook hat aber natürlich eine viel grössere Reichweite und wird von der Community für viele Bereiche ebenfalls als geeigneter Kanal eingestuft. Aus diesem Grund starten wir mit diesen beiden Tools.
Nun ist die Begegnung mit der Polizei im Alltag oft mit negativen Gefühlen verbunden. Wie steuern Sie dem Online entgegen? Wie müssen wir uns das Engagement der Polizei in Facebook & Co. vorstellen?
Klar bekommt niemand gerne eine Parkbusse. Dennoch bin ich überzeigt, dass die meisten direkten Begegnungen mit der Polizei auf menschlicher und sachlicher Ebene gut verlaufen, das zeigen auch entsprechende Rückmeldungen. Als Vertreter der Staatsmacht haben wir Polizistinnen und Polizisten aber eine Sonderstellung in der Gesellschaft. Das Verhältnis ist oft emotionsgeladen und die Polizeiarbeit mit vielen Vorurteilen belastet. Eigentlich hat doch Jede und Jeder eine Meinung zur Polizei. Diese Meinung wird jedoch wahrscheinlich
häufig vor allem durch fiktionale Filme oder Medienberichte und weniger durch den direkten Kontakt gebildet. Vielleicht können wir, wenn wir auch im Sozialen Netz präsent und unkompliziert ansprechbar sind, Vorurteile abbauen und noch näher bei der Bevölkerung sein. Diese Steigerung der Transparenz soll letztlich dem Aufbau von Vertrauen dienen. Denn auf das Vertrauen der Bevölkerung sind wir bei unserer täglichen Arbeit auf der Strasse angewiesen.
Sie sprechen in Ihrer Arbeit vom Social-Media-Marktplatz. Können Sie uns erläutern, was Sie darunter verstehen? Welche Güter handelt die Polizei?
Ich habe versucht eine Übersicht über die verschiedenen Plattformen zu bieten. Man kann die Tools dabei nach verschiedenen Eigenschaften ordnen. Für mich waren die Aspekte „Grad der Partizipationsmöglichkeit“ und „Funktion“ besonders wichtig. Der Markplatz soll einerseits zeigen inwieweit sich die Userinnen und User am Inhalt beteiligen können und andrerseits welche Funktion bei den einzelnen Plattformen im Vordergrund steht. Also ob es vor allem um soziale Aspekte oder mehr um die einzelnen Inhalte geht.
Wir wollen auf diesem Marktplatz mit verschiedenen Gütern Handeln. Dazu gehören sicher Informationen, aber auch Meinungen und Emotionen. Vor allem letztere finden in der Kommunikation mit der Bevölkerung via Medien wohl weniger Platz.
Wir nehmen Behörden als eher träge agierende Organisationen war. Das beisst sich mit der Dynamik, welche die Realtime-Kommunikation mit sich bringt. Wie bereiten Sie die Verantwortlichen auf die Herausforderungen vor?
Bei der Polizei sind wir uns gewohnt schnell zu reagieren. Dennoch ist die Real-Time-Kommunikation natürlich eine Herausforderung für uns, zumal wir mindestens im Moment keine zusätzlichen Stellen für den Social-Media-Bereich einsetzen können.
Die Verantwortlichen müssen sorgfältig auf die neue Funktion vorbereitet werden. Das Wichtigste ist wohl eine fundierte Ausbildung und ein klares Konzept für die jeweiligen
Auftritte. Eine entsprechende verbindliche Dienstanweisung regelt die private und dienstliche Nutzung der Plattformen. Diese Policy soll die Mitarbeitenden jedoch nicht einschüchtern sondern eher motivieren indem sie zwar Rahmenbedingungen festlegt ansonsten den Mitarbeitenden jedoch, vor allem was die Inhalte angeht, viele Freiheiten lässt.
Schlagworte im Zusammenhang mit der PR im Social Web sind „Markenführung“ und „Online-Reputation“ – wie wichtig sind diese Themen für eine staatliche Organisation?
Die Markenführung spielt meines Erachtens vor allem auf dem Arbeitgebermarkt eine wichtige Rolle. Denn hier stehen wir in direkter Konkurrenz mit anderen Polizeikorps aber auch mit Arbeitgebern aus dem privaten Sektor. Unsere Mittel für Personalwerbung sind ausserdem sehr beschränkt, daher erhoffen wir uns Vorteile gerade im Employer-Branding-Bereich. Besonders wichtig ist die Markenführung sicherlich auch im Bereich der internen Kommunikation. Inwieweit die Marke „Stadtpolizei Zürich“ in der Bevölkerung zum Beispiel von der „Kantonspolizei Zürich“ unterschieden werden kann, und inwieweit dies einen Einfluss auf das Image und das Vertrauen in der Bevölkerung hat, ist meines Wissens nicht erforscht. Die Online-Reputation wird aber auf jeden Fall immer wichtiger. Denn bereits heute bewegen sich über 74‘000 Einwohner der Stadt Zürich täglich im sozialen Netz, Tendenz steigend – das sind mehr Menschen als der Stadtkreis 11 (Oerlikon, Seebach, Affoltern) Einwohner hat. Die sozialen Netzwerke sind also zu einem Teil-Öffentlichen Lebensbereich vieler Bürgerinnen und Bürger geworden.
Wie integrieren Sie die PR im Social Web in die Gesamtkommunikation? Und welchen Stellenwert hat künftig die Medienarbeit?
Die Social-Media-Strategie bildet eine Ergänzung zum Kommunikationskonzept der Stadtpolizei und ist in diesem eingebettet. Die klassische Medienarbeit bleibt natürlich ein wichtiger Teil unserer externen Kommunikation und wir werden auch weiterhin über Ereignisse und Themen von grosser Tragweite oder breitem öffentlichen Interesse immer
(auch) via Medien berichten. Das sind wir den Medienschaffenden und der breiten Bevölkerung schuldig und dazu sind wir auch verpflichtet. Gleichzeitig behalten wir uns vor Themen oder Informationen, an denen kein breites öffentliches oder mediales Interesse besteht, auch mal nur auf den neuen Kanälen zu verbreiten, denn via soziale Medien haben wir die Möglichkeit, direkt mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten, ohne die Gatekeeperfunktion der Journalisten dazwischen.
Wo sehen Sie die Grenzen von Social Media für Ihre Arbeit? Welche Hürden müssen Sie überwinden?
Auch wenn die Online-Community gross ist und immer noch wächst, können wir via Social Media natürlich nur einen Teil der Bevölkerung erreichen. Die konventionellen Kanäle können also nicht substituiert sondern nur ergänzt werden. Wir sind eines der ersten Polizeikorps der Deutschschweiz, das Social Media strategisch einsetzen wird. Das heisst, dass wir in diesem Bereich vor allem Erfahrungen sammeln müssen und als Pionier auch bereit sein müssen, Fehler zu begehen und unser Angebot wenn nötig den Bedürfnissen der Dialogpartner oder der Organisation anzupassen. Ausserdem bewegen wir uns in einem engmaschigen Netz von gesetzlichen und normativen Rahmenbedingungen zum Beispiel im Bereich Daten- und Persönlichkeitsschutz, Urheberrecht etc. Innerhalb dieses Rahmens wollen wir unsere Rolle im Social Web nach und nach feiner definieren.
Gibt es bereits „Best Practices“ an denen Sie sich orientieren können und wenn ja welche?
Ja, vor allem im Ausland gibt es diverse gute Beispiele. Ich glaube, dass der Austausch in diesem Bereich mit anderen Korps sehr wichtig ist um gegenseitig von den Erfahrungen zu profitieren. Auf europäischer Ebene tun wir das zum Beispiel im Rahmen von Konferenzen des European Police College Cepol oder der Deutschen Hochschule der Polizei.
Ich habe vor allem erfolgreiche Engagements Grossbritannien und Holland sowie in den USA und Kanada etwas genauer betrachtet.
Hier einige Beispiele:
- Der offizielle Blog „Behind the Blue Line“ der Hundeführerin Sandra Glendinning der Vacouver Police (Blog eingestellt)
- Der Twitter-Account der Vancouver Police mit über 18‘000 Followern:
- Ein gutes Beispiel für den Einsatz von Social Media im Bereich Community-Policing ist der Twitter-Account von Ed Rogerson der unter @hotelalpha9 (Profil eingestellt) für die der Polizei von North-Yorkshire twittert.
- Der Facebookauftritt der New South Wales Police mit gegen 60‘000 Likern
Wir danken Michael Wirz für dieses Gespräch und auch dafür, dass er hier die wichtigsten Resultate als pdf zum Download frei gibt (PDF nicht mehr verfügbar). Wir freuen uns über Fragen, Beobachtungen und Anregungen.
Update vom 1. November 2011
Inzwischen ist die Stadtpolizei Zürich online gegangen. Ganz klassisch mit einer Medienmitteilung hat sie ihr neues Engagement in der sozialen Medien angekündigt. “Social Media sind für einen grossen Teil der Bevölkerung zu einem wichtigen Instrument der täglichen Kommunikation geworden. Die Stadtpolizei Zürich trägt als eines der ersten Schweizer Polizeikorps diesem Umstand Rechnung und ist ab dem 1. November 2011 auf den Plattformen Facebook und Twitter für die Online-Community erreichbar und offen für den Dialog.”
Auf Facebook hat die Stadtpolizei bereits 217 Fans, wobei es ja die Interaktion ist, die zählt. Aktuell unterhalten sich 58 Personen, was einem hervorragenden Wert von 26,7% entspricht, dass heisst, jeder vierte Fan äussert sich in irgendeiner Weise direkt bei Facebook oder bezieht sich anderswo auf die Seite.
Seit heute ist auch der Twitteraccount (eingestellt) im Dienst. Bereits haben sich 115 Follower zusammengefunden, 5 haben den Account gar auf eine Liste gesetzt. Zurückgefolgt wird noch nicht, hier ist Fingerspitzengefühl angesagt, denn die Stadtpolizei will nicht den Eindruck erwecken, jemanden zu überwachen. “Sollte sich herausstellen, dass es sinnvoller ist zu folgen, kann man auch auf den Entscheid zurückkommen”, meint dazu der Projektverantwortliche Michael Wirz. Dass es den Verantwortlichen mit dem Dialog aber ernst ist zeigt, dass fünf von sieben Tweets mit @ an andere Twitterer gerichtet sind.
Das Social Media Pflänzchen ist noch klein, es hat aber das Zeug zu einer kräftigen Pflanze zu wachsen. Ich wünsche den Verantwortlichen für die Aufbauarbeit alles Gute.
In diesem Zusammenhang weise ich gern auf meinen Blogbeitrag hin, der sich unter anderem mit Twitter und der West Midland Police befasst: http://blog.hens.ch/birminghamriot
Vielen Dank, Jean-Marc für diese Ergänzung. Die Quellenfrage ist und bleibt eine Herausforderung. Über die Zeit wächst das Vertrauen in eine Quelle (im anderen Fall wird sie nicht mehr konsultiert). Auf die Schnelle ist das schwieriger. Das bedeutet, dass wie in der ganz klassischen PR auch, frühzeitig eine gute Reputation und vor allem solide Kommunikationskanäle und Wege aufgebaut werden müssen. Dafür muss insbesondere im Social Web die Zeit reif sein und dies scheint bei der Stadtpolizei Zürich nun der Fall zu sein.
Grundsätzlich begrüße ich es natürlich, wenn sich Behörden in Social Media Gewässer wagen. Aber gerade für die Polizei halte ich das für ziemlich riskant. Wenn auf einer Demonstration einem einzigen Polizisten die Hand ausrutscht, bzw. im Netz ein Video auftaucht, auf dem es danach aussieht, gibt es schon immer einen richtigen Social Media Shitstorm. Wenn die Polizei sich dann über offizielle Vertretungen auf Facebook und Twitter nach angreifbarer macht, wird das nur schlimmer werden. Dann dann werden nach dem aufgebrachten Mob auch noch die Social Media Berater auf die Polizei einprügeln, dass sie mit dem negativen und konstruktiven Echo auf Facebook nicht gut umgegangen ist.
Ich denke nicht, dass sich die Polizei durch eigene Präsenzen im Social Web à priori angreifbarer macht – wenn sie angegriffen wird, geschieht das auch so. Wichtig ist, dass sie zuhört (was sie im Fall der Stadtpolizei Zürich heute schon tut) und sich ein Bild macht, wie über sie gesprochen wird. Dann nutzt Sie die Gelegenheit für den Austausch sowie mit Hilfe der regelmässigen Information und den Gesprächen den Aufbau von Vertrauen und den Abbau von Vorurteilen. Was allfällige Kritiken von “Social Media Beratern” auf ihre Aktivitäten sind, so stellt sich diese Risiko jedem Unternehmen und jeder Organisation genauso.