An einem Tweetup sprach ich mit @danielebneter über ein weiteres Kapitel für unser Buch PR im Social Web; das Thema: PR für Nonprofit-Organisationen (NPO). „Darüber musst du mit @hofrat sprechen, der für World Vision Schweiz arbeitet“, empfahl er mir. Darauf hin habe ich mir die vielfältigen Social-Media-Aktivitäten angeschaut und war beeindruckt: integriert, crossmedial, vernetzt – alles da! Ein Tweet gab den anderen, dann ein kurzer Austausch über Skype und schon stand das Treffen mit Clemens Maria Schuster, aka @hofrat, Social Media Communications und Advocacy bei World Vision Schweiz.
Wer ist World Vision?
Interessant, dass Du nach dem „wer“ fragst, denn in unserem Social-Media-Konzept steht explizit „Be personal and tell a story“. World Vision Schweiz hat ein Gesicht, momentan ist dies meines, was den Bereich Social Media angeht. Natürlich ist auch die Frage „was ist World Vision“ wichtig: Wir sind ein christlich-humanitäres Hilfswerk, das seit über 60 Jahren weltweit in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist sowie Schwerpunkt-Projekte und Not- und Katastrophenhilfe macht.
World Vision International hilft weltweit in insgesamt 100 Ländern. Innerhalb der World Vision Partnerschaft Im Hauptsitz in London werden gemeinsam die Projektländer definiert, der internationale Brand koordiniert und die christliche Wertebasis vorgegeben.
World Vision Schweiz arbeitet autonom eigenständig und unterstützt mit Schweizer Spendengeldern über etwa 100 Schweizer Projekte in rund 30 Entwicklungsländern Ländern. Wir sind den Ärmsten der Armen verpflichtet und setzen uns ein für eine bessere Welt für Kinder. Das funktioniert nur dann, wenn man die Lebensumstände von Kindern richtig aufbaut und langfristig zum Guten ändert. Es nützt nichts, einem Kind einen Teller mit Essen zu geben, vielmehr muss man etwa den Eltern beibringen, nachhaltig Getreide anzubauen, damit sie dem Kind richtige und ausgewogene Ernährung bieten können.
Wie unterscheidet sich die PR-Arbeit einer NPO von einer profit-orientierten Organisation?
Eine Nonprofit- bzw. eine NGO funktioniert erfolgreich, wenn eine Vertrauensbasis existiert. Vertrauen erwirbt man sich durch Offenheit, Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe. Menschen, die sich bei uns engagieren, sei es als Pate oder engagierte Einzelpersonen, haben eine Erwartung: Diese Erwartung muss durch eine ehrliche und transparente Kommunikation immer wieder bestätigt werden. Es geht darum, langfristig Vertrauen aufzubauen, das nachhaltig bestätigt werden muss.
Du rückst Vertrauen, Offenheit und Transparenz in den Vordergrund. Heisst das im Umkehrschluss, dass profitorientierte Unternehmen dies nicht mitbringen?
Nein, diese drei Punkte sind bei einer NGO bedingungslos an erster Stelle. Bei einem profitorientierten Unternehmen ist möglicherweise der Umsatz das Hauptkriterium. Im Bereich der Konsumgüter etwa geht es um die Frage, wie Umsatz durch Markenbindung und Markenimage gesteigert werden kann. Dafür ist es vielleicht nicht unbedingt notwendig, die hundertprozentige Wahrheit über diese Marke zu erzählen, sondern vielmehr darum, Emotionen aufzubauen.
Emotionale Kommunikation war bei World Vision für sehr lange Zeit ein Thema, als es darum ging, „need and hope“, also die Not und die moralische Verpflichtung zur Hilfe aufzuzeigen. Mit Geschichten und Bildern von benachteiligten und notleidenden Kindern drückte man aus: „Diese Kinder sind brauchen Hilfe, bitte spende jetzt!“ Hier setzt World Vision Schweiz nun bewusst andere Akzente, meiner Meinung nach funktioniert diese Form von Kommunikation nicht mehr langfristig. Für ein langfristiges Engagement eines Spenders braucht es mehr. Es braucht insbesondere das Vertrauen, dass die ihm anvertrauten Spenden professionell dort einsetzt, wo sie eine Veränderung und Verbesserung der Lebenssituation bewirken. Wir zeigen die Auswirkungen und den Erfolg der Projektarbeit, die eine Spende bewirkt.
Welches sind die strategischen Ziele?
Wir haben drei Ziele, speziell für die Kommunikation im Social Web, festgelegt: 1. Glaubwürdigkeit, 2. Identifikation und 3. Engagement. World Vision ist eine professionelle Organisation, die nachhaltig und mit positivem „Groove“ arbeitet – so soll die „Marke“ verstanden werden. Diejenigen, die sich in sozialen Netzen bewegen, sollen sich mit World Vision identifizieren können. Das setzt voraus, dass ihnen bekannt ist, welche Arbeit geleistet wird und was effektiv mit dem Spendengeld passiert. Erst dann ist ein Engagement, etwa in Form einer Spende oder Patenschaft, oder eine weitergehende Mobilisierung und Aktivierung möglich.
Wie gestaltet World Vision Schweiz die Präsenz im Social Web?
Wir sind gegenüber allen neuen Medien, Plattformen und Kanälen aufgeschlossen und bei den etablieren bereits voll engagiert. Bei Facebook betreiben wir eine deutsche und eine französische Fanpage, für einzelne Kampagnen haben wir auf Facebook eigenes Page entwickelt und nutzen sämtliche Möglichkeiten wie Facebook-Apps oder Spiele und versuchen erste Schritte im Fundraising. Zudem sind wir aktiv auf Twitter, YouTube, Vimeo, Issuu, Slideshare und FlickR. Ab Januar ist ein umfassender Corporate Blog geplant und auch an einem Podcast sind wir dran. Im Social Web wollen wir die Leute dort abholen, wo sie sind: Das heisst etwa, dass wir auch auf Google+ innerhalb der nächsten Wochen eine Seite bauen werden.
Ich lege grossen Wert darauf, dass den jeweiligen Plattformen gerecht werden, dies bezieht sich nicht nur auf den Content, sondern etwa auch auf die Zeiten, zu denen wir kommunizieren. Gleichzeitig achten wir darauf, über alle Medien hinweg integriert, crossmedial und vernetzt – eben Corporate – zu kommunizieren.
Welches ist die wichtigste Plattform?
Unsere Webseite ist der zentrale Hub. So stellen wir sicher, dass unser Content letztlich bei uns bleibt und wir die Hoheit darüber haben. Das soll natürlich keineswegs bedeuten, dass wir uns nicht über jedes Liken, Teilen und Empfehlen von Inhalten freuen. Mit dem Relaunch unserer Webseite begegnen wir diesem Anspruch mit einem eigenen Newsroom, der sämtliche Publikationen zusammenfasst. Selbstverständlich haben wir auch die mobile Site neu gestaltet, dieses Mal mit einem zeitgemässen responsiven Webdesign. Das bedeutet, dass unsere mobile Seite auf praktisch allen Geräten wie Smartphones, Pads oder sogar Desktop-Devices das Maximum an Information sauber darstellt. Ein grosser Anteil der Zugriffe auf unsere Seite geschieht über mobile Geräte, „mobil“ gilt als der neue Standard.
Hat sich mit Social Media der Spenderkreis verändert?
Ja, eindeutig. Durch die Präsenz in den sozialen Medien sind neue, unerwartete engagierte Menschen dazugekommen. Für mich ist jemand, der unsere Inhalte teilt, Retweets sendet und Kommentare zu Videos gibt gleich wertvoll wie jemand, der eine Spende macht oder eine Patenschaft übernimmt. Optimal ist natürlich, wenn alles zusammen kommt. Nichts desto trotz, durch die Aktivität in den Plattformen im Social Web und die kanalgerechte Aufbereitung gibt es einen völlig neuen Spenderkreis.
Erzähl uns bitte etwas über MyJourney.
MyJourney hiess die Kampagne vom vergangenen Herbst. Dazu haben wir Leute aus der Schweiz eingeladen, mit uns in unsere Projekte zu reisen. Es gab vier Reisen nach Bangladesch, Tansania, Nicaragua und Georgien, die von einem Sponsor finanziert wurden. Die Teilnehmer lernten unsere Projekte kennen, besuchten Familien und konnten so live und direkt miterleben, wie wir vor Ort arbeiten und wie die Spendengelder eingesetzt werden.
MyJourney zielt darauf ab, Leute wie dich und mich einzuladen; sie sollen während ihrer Reise fotografieren, filmen, bloggen, twittern, und so werden sie im besten Falle zu Botschaftern unserer Arbeit. Dafür nutzen diese Explorer, wie wir sie nennen, ihre eigenen (sozialen) Netzwerke. Meine Aufgabe als Social Media Manager war es unter anderem, ihnen Internet zur Verfügung zu stellen – was mitten in Bangladesh oder Tansania nicht immer ganz leicht ist…
Unsere Explorer sollen so authentisch wie möglich, in dem Stil, wie sie es sonst tun, ihrer Community kommunizieren, was sie sehen und welche Erfahrungen sie machen. Genau darauf kommt es an: Es geht nicht um perfekte Texte, HD-Videos oder gephotoshoppte Fotos, sondern darum, dass unsere Explorer so direkt wie möglich bei unserer Arbeit dabei sind und darüber möglichst in Realtime berichten. Realtime bedeutet immer auch ein weiterer Grad an Authentizität, an Echtheit. Denn Realtime nachzustellen schafft nur Chuck Norris (schmunzelt). Die Reichweite dieser Live-Erlebnisse wurde durch dokumentarische, jeweils tagesaktuell produzierte Fernsehspots unterstützt – eine grossartige Aufgabe mit tollen Ergebnissen.
Worauf bist Du besonders stolz?
Ich bin stolz darauf, dass ich mit Social Media einen wesentlichen Teil der MyJourney-Kampagne leisten darf. Auf vier Kontinenten habe ich in völlig anderen Umgebungen erlebt, wie ein sehr motiviertes Team vor Ort enorm wichtige Einsätze leistet und das Spendengeld nachhaltig wirkungsvoll eingesetzt wird. Dies gibt mir noch mehr Geschichten („…tell a story!“) zum Erzählen und Auftrieb für meine Kommunikationsarbeit.
Besonders freuen mich auch auf die ersten Erfolge, die sich einstellen, wenngleich sie möglicherweise anders sind, als man sie bislang definiert hatte. Spannend ist, wie sich das Image von World Vision merklich verändert: Wir sind eine Organisation, die für Transparenz, Authentizität und Effizienz steht. Und natürlich freue ich mich über die positive Entwicklung unserer Social-Media-Aktivitäten mit einer aktiven Community auf Twitter und Facebook.
Welche Tipps gibst Du anderen NPOs mit auf den Weg?
Zuallererst: Man muss „Social“ ernst nehmen: Social ist nichts, was man mit dem Einrichten von Tools oder einzelnen Kanälen erledigt hat, es bedeutet 100% Committment. Das bedeutet auch, dass man dafür jemanden braucht, der selbst Teil des Social Web ist und sich voll und ganz engagieren kann.
Weiter ist wichtig, social nicht als eine Teil von Marketing oder Kommunikation unterzuordnen, sondern social gehört als existentieller Teil zu einer Organisation. Es ist zentral, mit seinen treuen Fans, engagierten Freunden und bereitwilligen Spendern auf Augenhöhe zu sprechen, auch wenn es heutzutage nicht mehr nötig sein sollte, die so herausstreichen zu müssen. Insofern sind Transparenz und Authentizität nicht nur Schlagworte, sondern kompromisslose Vorbedingungen.
Man braucht auch Mut, man muss sich an Abgründe vorwagen, denn kritische Fragen und langwierige Diskussionen gehören mit dazu und oft entbehrt Kritik jeglicher sachlicher Basis. Auch NPOs und NGOs müssen sich mittlerweile darüber bewusst sein, dass sie nicht mehr die letzte Hoheit über ihre Themen behalten, weil sich heute jeder vernehmbar äussern kann. Im Gegenzug gewinnen sie wertvolle Interaktionsmöglichkeiten und Input. Schliesslich braucht es auch eine gute Vorbereitung und konsistente und nachhaltige Umsetzung. Shitstorms sind heute (unschöner) Teil von Kampagnen und Gegenkampagnen – und damit professionell zu bewältigen.
Schliesslich ist es schlicht keine Frage mehr, ob das Social Web Teil des professionellen Auftretens in Kommunikation, Marketing, kurz: von Public Relations von NPOs und NGOs ist: Die heisse Phase des Experimentierens ist vorüber und unaufgeregte Professionalität im 2.0-Bereich kehrt ein.
Ich bedanke mich bei Clemens Maria Schuster für dieses Gespräch.