Rezension Influencer Relations: Marketing und PR mit digitalen Meinungsführern

Rezension Influencer Relations Annika Schach Timo LommatzschDie Diskussion über Influencer wird oft abenteuerlich geführt und viele wenden sich inzwischen entnervt von diesem Hype-Thema ab. Annika Schach und Timo Lommatzsch haben mit Influencer Relations ein Buch veröffentlicht, das Ordnung schafft. Zusammen mit 32 Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Praxis haben Sie ein Werk zustande gebracht, welches dieses heiss diskutierte Thema auf gute Weise erdet. Mit einer klaren Einordnung lässt sich besser und vor allem strategisch arbeiten.

Ich gebe es zu, ich bin etwas aus der Übung gekommen, wissenschaftliche Schreibe mit entsprechender Zitierweise zu verdauen und musste mich darum etwas durch den ersten Teil durchbeissen. Das hat sich aber gelohnt. Denn das Thema ist zu wichtig, als dass man es in der Oberflächlichkeit, in der es zu oft diskutiert wird, belassen kann.

Aus der Wissenschaft für die Praxis

Die Herausgeber haben dieses Buch nicht nur für Kommunikatorinnen und Kommunikatoren aus Unternehmen, Organisationen und Agenturen geschrieben: Es ist genauso gedacht und gewünscht, dass sich auch Influencer selber hier das Rüstzeug für ihre Arbeit holen. Weil das Buch in weiten Teilen wissenschaftlich geschrieben ist, erhalten auch Studierende, Dozenten und Wissenschaftlerinnen ein hilfreiches Werk, zumal nach jedem Kapitel sämtliche Quellen mit weiterführenden Informationen gelistet sind.

Die Herausgeber erheben nicht den Anspruch, dass ihr Buch alle Fragen abschliessend behandelt, es geht jedoch sehr weit. Leserinnen und Leser finden Antworten auf folgende Fragen:

  • Wie lassen sich professionelle und nachvollziehbare Prozesse in der Zusammenarbeit mit Influencern etablieren?
  • Welches sind die wesentlichen Kennzahlen und Erfolgskriterien, die man aus Unternehmensperspektive beachten sollte?
  • Inwiefern werden rechtliche Vorgaben für die Kennzeichnung von Kooperationen korrekt umgesetzt, um Transparenz zu schaffen und Schleichwerbung zu vermeiden?
  • Welche Ziele kann und sollte Influencer-Kommunikation erreichen?
  • Wer ist der richtige Influencer für mein Unternehmen, für mein Thema?
  • Wie arbeiten Influencer, was ist ihnen wichtig und wie entscheiden sie sich für Kooperationen?
  • Welches Rollenverständnis liegt vor, wie kann man aus Unternehmenssicht darauf eingehen?

Das über Seiten starke Fachbuch ist in vier Themenblöcke eingeteilt und jedes Kapitel steigt mit einer kurzen Zusammenfassung ein.

Grundlagen und Einordnung

Das Thema Influencer ist nicht neu, Annika Schach wagt den Blick zurück und ist in die wissenschaftlichen Archive gestiegen. Bereits 1944 fragte man nach Lazarsfeld et al.: «Have you tried to convince anyone of your political ideas recently?” und “Has anyone asked your advice on a political question recently?” Personen, die beide Fragen bejaht haben, wurden als Meinungsführer bezeichnet, die anderen wurden – schon damals – «Follower» genannt. Die sozialen Medien sorgen zwar durch Technologie und Vernetzungsmöglichkeiten für eine neue Dynamik, an der Art und Weise, wie Menschen interagieren und sich beeinflussen, hat sich offenbar aber doch recht wenig geändert. Auch wenn neue Experten uns das anders glauben machen wollen.

Gestern wie heute bewegen sich Meinungsmacherinnen in einem Netzwerk und in einer Gemeinschaft von Experten. Nur sind diese Gemeinschaften heute viel leichter herzustellen und in gewisser Weise auch transparenter. Interessant ist darum der Teil des Buches, in dem das Thema Influencer aus der Perspektive der Netzwerkanalyse aufgearbeitet wird.

Timo Lommatzsch hat sich an die Klärung der Begriffe gemacht, die gerne durcheinandergebracht werden. Mir gefällt seine Einordnung, nach der beim Influencer Marketing die Kommunikation primär auf den Absatzmarkt gerichtet ist. Influencer Relations hingegen zielen eher auf den Meinungsmarkt. Folgerichtig unterscheiden sich denn auch die Ziele, die Rolle von Glaubwürdigkeit und Transparenz und die Evaluation.

Mit einem Augenzwinkern verweist Annika Schach darauf, dass es durchaus opportun ist, den Begriff des Influencers zu hinterfragen. Übersetzt man ihn wörtlich, umfasst er ja lediglich den Einfluss, den ein Mensch auf andere ausüben kann, wogegen beim Meinungsführer doch immerhin auch die inhaltliche Komponente der Meinung integriert ist.

Multiplikatoren ist der Überbegriff, unter dem Annika Schach nach Meinungsführern und Meinungsführerinnen (Opinion Leader) und Medien unterscheidet. Aber wo gehören denn jetzt Testimonials, Markenbotschafter, Influencer mit Bloggern und Content Kreatorinnen, und im internen Bereich, Unternehmens-/Marken-/und Produktbotschafter hin? Diese Frage beantwortet die Wissenschaftlerin mit einer Typologisierung, welche die verschiedenen Kategorien zueinander in ein Verhältnis setzt und erklärt.

Influencer Prof. Annika Schach Typologisierung

Studien und Empirie

Mit verschiedenen Studien und Befragungen legt das Buch auch Grundlagen. Prof. Thomas Pleil und Dr. Pia Sue Helferich von der Hochschule Darmstadt haben sich mit Michael Grupe von Fink & Fuchs der Influencer-Kommunikation für B2B und mittelständische Unternehmen angenommen. Ihr Befund: Während in der B2C-Kommunikation werbeartige Präsentationen eher die Norm sind, geht es in der B2B-Kommunikation primär um den Aufbau von Beziehungen. Hier spielen auch eher Kunden und Mitarbeitende eine tragende Rolle.

Das Buch Influencer Relations bringt auch Antworten zur Werbewirkung von Influencern auf Instagram. Gleichzeitig wird auch kritisch angemerkt, dass es mit der Kennzeichnungspflicht noch hapert. Ein weiteres spannendes Thema sind Produktplatzierungen auf YouTube. Dieses wird einerseits aus der rechtlichen Perspektive beleuchtet, anderseits gibt das Kapitel Einblick, wie die junge Zielgruppe diese Form der nativen Werbung wahrnimmt. Interessant ist auch die Erkenntnis weiter hinten im Buch: «… vor allem junge Follower nehmen Influencer Marketing nicht als Werbung wahr, weil sie als Digital Natives kaum zwischen realer und virtueller Welt unterscheiden können».

Haben Sie schon einmal daran gedacht, Influencer in einen eigenen Unternehmenskanal einzubinden? Eine sehr vielversprechende Strategie. Das Buch bringt Resultate – und damit auch Beispiele – von Unternehmen, die mit Unterstützung von Influencern die Reichweite ihrer eigenen YouTube-Kanäle gesteigert und direkte, unvermittelte Beziehungen zu ihren Zielgruppen aufgebaut haben.

Blogger bzw. Influencer werden für Unternehmen neben Journalistinnen zu einer immer wichtigeren Zwischenzielgruppe. Für die Zusammenarbeit ist es gut zu verstehen, was Bloggerinnen mit professionellen Journalisten verbindet und was sie trennt. Auch wenn Blogger persönlicher, unterhaltender und literarischer schreiben, so gibt es doch einige übereinstimmende Ziele, die beide Gruppen verfolgen.

Strategie und Umsetzung

Gemäss dem Bundesverband für Digitale Wirtschaft BVDW hat jeder sechste Internet-Nutzer im Alter von 14 bis 29 Jahren schon einmal ein Produkt gekauft, das von einem Influencer beworben wurde. Besonders gross ist der Einfluss in den Branchen Beauty, Fashion und Food. Lan Anh Nguyen hat die Influencer in einer Pyramide mit fünf Kategorien klassifiziert. Am Fusse steht die hohe Glaubwürdigkeit von «Friends, Fans & Followers», bei der Spitze die Reichweite der «Celebrities». Nadja Enke und Nils S. Borchers haben eine hilfreiche Segmentierung nach Reichweite, Thema, Plattform und Ursprung der Bekanntheit gemacht, mit welcher die Influencer nach Typen und Rollen eingeordnet werden können.

In Strategie und Umsetzung gehören alle konzeptionellen Überlegungen vor dem Start. Kriterien zur Wahl des geeigneten Partners gehören ebenfalls dazu. Für die Identifikation von passgenauen und hochwertigen Influencern erhält die Leserin zahlreiche Fragen auf den Weg, nach denen sie die Qualität eines möglichen Partners auf den Prüfstein stellen kann, schön zusammengefasst in eine Checkliste und Zusammenfassung in acht überschaubare Schritte. Vertieft wird das Thema der Zielsetzungen und nach dem DPRG-Modell nach Outcome und Output-Ebene klassifiziert.

Wir haben gesehen, dass Unternehmen Influencer auch auf eigenen Plattformen zur Wirkung kommen lassen können. Und auch Enke/Borchers appellieren daran, das Heft in der Hand zu behalten: «Für den langfristigen Erfolg von SMIK (Social-Media-Influencer-Kommunikation) ist es notwendig, eigene Beziehungen zum Publikum der Influencer aufzubauen.»

Im Unternehmen muss nicht immer die Geschäftsleitung die Hauptrolle spielen, Das Kapitel zu Corporate Influencer widmet sich dem Thema der Mitarbeitenden. Wie lassen sich glaubwürdige Fürsprecher aus den eigenen Reihen identifizieren, befähigen, strategisch lenken und bestmöglich unterstützen? Das Thema ist gleichermassen spannend wie heikel. Die interne Klärung des Rollenverständnisses von Corporate Influencern ist zentral. Lesen Sie dazu auch den Beitrag mit der Diskussion am Content Strategy Barcamp #cosca18 zum Thema Mitarbeitende als Influencer oder Botschafter oder sollen sie einfach ihre Arbeit tun?

«Der Preis ist heiss – und intransparent», diese Überschrift gibt wieder, dass es noch sehr viel Klärungsbedarf gibt, denn eine standardisierte Vergütung für eine Zusammenarbeit gibt es nicht. Das Buch Influencer Relations liefert aber doch einige Berechnungsbeispiele und damit eine wertvolle Hilfe für die Praxis.

Praxis und Perspektiven

Dieser Teil wartet mit zahlreichen Beispielen auf, Praktiker werden darum möglicherweise die eher wissenschaftlich gehaltenen Teile überfliegen und das Buch mit grösserem Interesse von hinten nach vorne lesen. Mit dazu gehört natürlich das Otto Jobbotschafterprogramm, welches Nick Marten und Eugenia Kirchmeer von Otto gleich selbst erklären. Mitarbeitende können zwischen sechs Profilen für die Mitwirkung wählen.

Als erstes Krankenhaus in Europa hat das Klinikum Dortmund im Frühjahr 2017 auf Facebook und Instagram eine «Sprechstunde 2.0» eingerichtet und am 18. April 2017 startete der erste Live-Chat mit Ärzten und anderen Expertinnen. Die dramatischen Veränderungen des Medienmarktes im Ruhrgebiet hatten die Verantwortlichen dazu bewogen, publizistisch auf eigene Füsse zu stehen. Heute kommuniziert das Krankenhaus ­­– neben Facebook und Instagram ­– auf Twitter, YouTube, Snapchat und sogar auf Jodel, einem Social-Media-Kanal, der im Umfeld von Universitäten genutzt wird.

Ebenso wichtig wie interessant ist der Perspektivenwechsel, in dem drei Mikro-Influencer innen zu Wort kommen, die die Erfahrungen, die sie mit Unternehmen gemacht haben, teilen. Sie schliessen ihre Reflexion mit fünf Regeln für den Umgang mit Influencern ab.

Ich empfehle dieses Buch allen, die sich vertieft und sachlich auseinandersetzen und das Thema für ihre eigene Praxis – oder studentische – Arbeit einordnen wollen. Weitere Informationen zu den Themen und über die Autorinnen und Autoren finden Sie auf der Website zum Buch.

Am Buch mitgewirkt haben:

  • Annett Bergk
  • Carina Bogus
  • Daniela Schlütz
  • Darleen Owsianski
  • Djure Meinen
  • Elena Link
  • Eugenia Kirchmeer
  • Janni Orfanidis
  • Julia-Maria Blesin
  • Katharina Emde-Lachmund
  • Katharina Faber
  • Lan Anh Nguyen
  • Laura Pier und
  • Lisa Krömer
  • Lisette Scheunert
  • Marc Raschke
  • Martin Gerecke
  • Michael Grupe
  • Mona Hellenkemper
  • Nadja Enke
  • Nick Marten
  • Nils S. Borchers
  • Olaf Hoffjann
  • Oliver Haidukiewicz
  • Paula Slomian
  • Pia Sue Helferich
  • Regina Kirchmeier
  • Thomas Guntermann
  • Thomas Lemken
  • Thomas Pleil
  • Tomma Rabach

Influencer Relations
Marketing und PR mit digitalen Meinungsführern
Herausgeber: Prof. Dr. Annika Schach und Timo Lommatzsch
Kartonierter Einband, 328 Seiten
Verlag: Springer Gabler
Sprache: Deutsch
ISBN: 978-3-658-21188-2
Preis: EUR 34.99, CHF 48.90 (Preisangabe ohne Gewähr)

Ihre Meinung zum Thema

Die erforderlichen Felder sind mit * markiert. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Neuste Beiträge in Ihre Mailbox

Verpassen Sie nichts mehr zu PR im Social Web, Online-PR und digitaler Kommunikation. Abonnieren Sie die Beiträge jetzt als Newsletter.

Zur Newsletter-Anmeldung