Das Thema ist komplex. Und es wird hochemotional diskutiert. Die Rede ist von Glyphosat. WWF Deutschland hat dieses kontroverse Thema in seinem YouTube-Format Planet Panda aufgegriffen. Melanie und Anne greifen in der Mitte des Beitrags zum grünen Telefon und holen einen Sprecher von Bayer an den Apparat. Der Beitrag ist temporeich mit kurzen Schnitten, versetzt mit Memes, Musik- und Ton-Effekten. Fakten mischen sich mit Unterhaltung. Infotainment für 18 bis 24jährige.
Bayer hat das nicht auf sich sitzen lassen und mit einem Video im gleichen Stil, einer Persiflage, reagiert. Und Christian Maertin, Leiter Corporate Communications, fragt im Bayer Magazin unter dem Titel Meinungsbildung als Kreativwettbewerb: Was darf ein Unternehmen in der digitalen Transformation? Gute Frage!
Wie hoch ist die Augenhöhe?
Für Kommunikationsprofis ist dieser Fall unglaublich interessant. Haben wir uns doch damals mit dem Aufkommen des Mitmach-Web ausgemalt, wie Unternehmen ihren Stakeholdern künftig auf Augenhöhe begegnen können. Inhaltlich und formal auf derselben Ebene mit Tweets, Blogbeiträgen oder Videos. Jetzt hat das Bayer gemacht, provokant geantwortet und wir reiben uns die Augen. Ist das nun mutig? Frech? Blauäugig? In diesem Beitrag geht es mir nicht darum, das Thema Glyphosat zu diskutieren. Und schon gar nicht darum, wer mit seinen Argumenten recht hat und wer nicht. Wie es scheint, schreibt sich ohnehin jede Partei die Deutungshoheit zu. Vielmehr geht es mir darum zu orten, was heute in einer Kommunikation möglich und vertretbar ist, die näher denn je an die Stakeholder rangeht.
Doch bevor wir weitermachen, schauen Sie sich zuerst die beiden Videos an.
Die Glyphosat-Vergiftung! Aber was ist Glyphosat?
am 5. Dezember 2017 veröffentlich auf dem YouTube-Kanal von WWF Deutschland
Und so antwortet Bayer mit Lena und Sophie innert gut zwei Wochen dem WWF im Bayer-Magazin.
Zum Starten klicken Sie bitte auf das Bild. Warum der Film nicht auf YouTube läuft, lesen Sie weiter unten.
Die Diskussion im YouTube-Channel von WWF Deutschland und in den Kommentaren des Magazins von Bayer liessen nicht lange auf sich warten. Und auch auf Linkedin, wo ich das Thema zum ersten Mal geteilt habe, waren Meinungen schnell gemacht. Selbstverständlich dürfen Sie auch in diesem Blog mitdiskutieren. Doch erst einmal weiter im Text.
Profiliert, was ist das?
Was wir hier beispielhaft sehen ist, dass sich mit Social Media die Art und Weise, wie wir diskutieren, verändert hat. Wir haben verstanden, dass der Kampf um Aufmerksamkeit hart ist. Wer gehört werden will, muss profiliert auftreten. Nur, was bedeutet das ganz konkret? Gehört es dazu, provokativ, polarisierend oder gar populistisch aufzutreten? Komplexität abzulösen durch Vereinfachungen, Verkürzungen und Schwarz-Weiss-Bilder? Im Social Web werden sachliche Argumente links und rechts überholt von Emotionen und Aufschaukelungen. Schlagzeilen erschlagen, was zwischen den Zeilen steht. Diese Art von Kommunikation erzeugt Resonanz, keine Frage.
Aber diese Ausgangslage ist alles andere als einfach, weder für die weltumspannende NGO WWF noch für den Weltkonzern Bayer, die über die Jahre beide viel in ihr Image investiert haben. Beide haben viel zu gewinnen, aber auch zu verlieren. WWF als Gesprächspartnerin für Regierungen und Wirtschaft, aber auch als Organisation, die auf Spenderinnen und freiwillige Supporter baut. Bayer als Arbeitgeber für nahezu 10’000 Mitarbeitende, als börsennotiertes Unternehmen bei Investoren und grosser Player im Markt.
Klarer Fall: entweder Pro oder Anti
Die Meinungen zum richtigen Vorgehen driften auseinander. Es werden von beiden Seiten (vermeintliche) Fakten und Studien bemüht, die Orientierung fällt trotzdem schwer. So wählt das Publikum seine Position ausgehend vom Absender. Vereinfachung auch hier: man ist entweder Pro oder Anti. Und schon ist er da, der Reflex, einem Grosskonzern à priori zu misstrauen. Ihn gegen ein nicht ganz kleines NGO zum Goliath zu machen. Ich kenne das aus anderen Diskussionen. Von KommunikationsspezialistInnen erwarte ich, dass sie tiefer graben.
So hat auch meine Kollegin Meike Leopold zum Thema einen Meinungsbeitrag gebloggt. Was sie denkt, sagt sie bereits mit dem Titel: Glyphosat ist als Thema zu wichtig für coole Clips. Ihren Beitrag habe ich wie folgt kommentiert: “Ich bin der Meinung, dass man in diesem Fall zwischen dem Format und dessen Ausgestaltung sowie Inhalt unterscheiden muss. Ich finde diese Entgegnung von Bayer mutig und ich gehe davon aus, dass es sich hier um einen Versuch gehandelt hat. Inhaltlich lässt sich ein so komplexes Thema nicht in einem Beitrag abhandeln. PR hat ja auch das Ziel, eine möglichst grosse Annäherung der Interessen, oder zumindest das Verständnis für Standpunkte, zu erreichen. Das bedingt auch eine verantwortungsbewusste Auseinandersetzung mit den Fakten und schafft die Basis für den Dialog. Weitere Voraussetzung ist, dass alle Parteien an einer gemeinsamen Lösung interessiert sind. Das Bayer-Video schafft Aufmerksamkeit und soll wohl das WWF-Publikum möglichst gut erreichen. Ob das gelungen ist, muss Bayer beantworten. Ich werte die Initiative von Bayer in Bezug auf Format und Ausgestaltung als Schritt in die richtige Richtung. Inhalte und Tonalität lassen sich noch verbessern.”
Soweit meine Meinung. Und Sie sehen, eine einfache Antwort gibt es nicht. Zudem finde ich, es ist müssig, zu diskutieren, wenn wir nicht die Verantwortlichen in der Diskussion begrüssen. Darum habe ich bei WWF und Bayer nachgefragt:
Nachgefragt bei Melanie Gömmel von WWF
Meine Fragen habe ich so eingeführt: “Seit das Video live ging ist ja etwas Zeit ins Land gezogen. Für meinen Blog frage ich nun beide Unternehmen, also euch und Christian Maertins, für eure Einordnung an. Dabei geht es mir nicht darum, die Glyphosat-Frage zu klären, sondern die Art und Weise der Kommunikation.”
Wie ist es zum Entscheid gekommen, dieses Video zu produzieren?
Wir setzen in unserer YouTube-Strategie auf regelmäßige News-Formate, die für unsere Zielgruppe unterhaltsam aufbereitet sind. Die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung durch Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt war das Aufreger-Thema und wurde auf unseren Social Media-Kanälen schon heiß diskutiert. In unserem YouTube-Format Planet Panda greifen wir kontroverse Themen gerne auf.
Wen wollt ihr mit diesem Video-Stil ansprechen und ist das gelungen?
Wir respektieren das Ökosystem YouTube mit seinen Besonderheiten in Demografie, Userverhalten, Tonalität. Unsere Kernzielgruppe ist 18-24 Jahre alt, entsprechend muss unser Videocontent aufbereitet sein. Unser Grundverständnis bleibt: Wir agieren wie YouTuber. Der Erfolg gibt uns Recht: Überdurchschnittlich viele Kommentare und Views zeigen, dass wir die Zielgruppe verstehen.
Welche Ziele habt ihr mit dem Video verfolgt und was wurde erreicht?
Wir wollen sukzessive Relevanz aufbauen, den gesellschaftlichen Diskurs fördern, um insgesamt mehr Verankerung für unsere Themen und den WWF zu erzielen. Ziel dieses Videos war es, das Thema Industrialisierung in der Landwirtschaft und Artenvielfalt zielgruppengerecht aufzubereiten. Das Video ist – gemessen an Views, Kommentaren – sehr gut angekommen.
Wie habt ihr auf die Antwort von Bayer reagiert? War sie eine Überraschung?
Wir waren überrascht über den Blogbeitrag und das für einen Konzern ungewöhnliche Video von Bayer. Allerdings haben wir uns auch gefreut, dass die Diskussion über ein solch kontroverses Thema weitergeführt wird. Unser Kommunikationschef hat mit einem Artikel geantwortet und Bayer zu einer gemeinsamen Fach-Diskussion mit unserem Chief Conservation Officer eingeladen.
Welches Echo habt ihr auf diesen Video-Abtausch erhalten?
Das Thema wird vor allem in Marketing- und Kommunikationskreisen diskutiert. Schade eigentlich. Wir hätten gerne noch mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit für das Thema.
Verändern solche Videos die Gesprächskultur / Qualität zwischen Interessengruppen? (konkret WWF/Bayer)
Man könnte sagen: Wunderbar, durch dieses Video ist ein neuer Diskussionsfaden zwischen der Industrie und den Umweltschützern entstanden. Ganz generell werden derartige Themen sehr emotional diskutiert, darunter leidet die Gesprächskultur. Vor allem bei Themen, die die Menschen direkt betreffen wie Essen, Tierwohl und Gesundheit.
Bitte lies auch die Voten aus der Diskussion auf Linkedin: Was entgegnest du unseren Berufskolleginnen und Berufskollegen?
Fraglos, ein spannendes Lehrstück, wie die Kollegen richtig schreiben. Wir finden es toll, dass wir mit unserem Video unsere Zielgruppe erreicht und die Diskussion angeregt haben.
Nachgefragt bei Christian Maertin von Bayer
Auch ihn habe ich gefragt: Seit das Video live ging ist ja etwas Zeit ins Land gezogen und mich würde Ihre Einordnung zuhanden von meinem Blog interessieren:
Wie ist es zum Entscheid gekommen, WWF mit diesem Video zu antworten?
Konkreter Auslöser war der heimliche (und damit rechtswidrige) Mitschnitt eines Telefonats mit einem Pressesprecher von Bayer. Eine Rolle gespielt hat auch, dass Bayer grundsätzlich zu seinen Überzeugungen steht und es wichtig findet, dass Unternehmen Haltung zeigen (was nicht heißt, dass wir immer Recht haben müssen).
Haben Sie eine Risiko-Abwägung gemacht? Falls ja, welche Risiken und welche Chancen haben Sie gesehen?
Ja, haben wir umfassend gemacht. Sehr wichtig war für mich insbesondere, unsere Antwort mit verschiedenen Menschen zu diskutieren, die ich bei solchen Themen als Gesprächspartner schätze.
Welches Echo haben Sie auf das Video erhalten?
Wir haben sowohl intern als auch extern sehr viel Rückendeckung bekommen. Menschen honorieren es, wenn man Haltung zeigt, auch wenn man bei manchen fachlichen Fragen vielleicht unterschiedlicher Meinung sein mag.
WWF hat es auf YouTube gestellt und verzeichnet 33’000 Aufrufe. Ihr Video habe ich auf YouTube nicht gefunden. Welche Vermarktungsstrategie sind Sie gefahren?
Es ging uns in diesem Fall nicht um möglichst hohe Abrufzahlen, sondern darum, am konkreten Fall erstmals eine Frage öffentlich zu thematisieren, die uns intern seit langem beschäftigt (siehe nächste Antwort). Insofern haben wir das Video bewusst nicht auf Youtube gestellt, um zu vermeiden, dass unser Anliegen aus dem Kontext des Blogs gerissen wird.
Welche Ziele haben Sie mit dem Video verfolgt und was wurde erreicht?
Die Öffentlichkeit erwartet von Traditionsunternehmen wie Bayer zurecht, dass sie sehr sachlich und faktenbasiert kommunizieren. Gleichzeitig ist sie jedoch sehr empfänglich für hochgradig emotionale, populistische, teilweise sogar aggressive Kampagnen von NGOs und anderen Interessengruppen. Die Frage, wie man mit dieser Herausforderung als Unternehmenskommunikation in der digitalen Welt am besten umgeht, wollten wir thematisieren. Das ist uns gelungen.
Was möchten Sie noch ergänzen?
Wir sind der festen Überzeugung, dass große gesellschaftliche Herausforderungen wie Landwirtschaft und Ernährung der Zukunft nur gemeinsam zu bewältigen sind. Insofern ist auch dieser Diskurs keine Frage von „wer gewinnt, wer verliert“. Unser Ziel ist am Ende immer ein möglichst konstruktiver Dialog mit unterschiedlichsten Interessengruppen.
Summa summarum
Hört man den beiden Kommunikationsprofis zu, wird klar: Die persönliche Haltung zur Kommunikation und die Ausgestaltung nach aussen können deutlich abweichen. Das ist zwar nachvollziehbar, aber zuweilen doch ein Spagat, der gemeistert werden will.
Beide Seiten zeigen versöhnliche Töne, suchen den direkten Dialog. WWF Deutschland hat Bayer eingeladen, in einem Facebook-live-Gespräch die Argumente zu erläutern. Ein interessanter Schritt. Die Debatte wandert, von Facebook zu YouTube via Blog/Magazin wieder zurück auf Facebook. Und rundherum entspinnen sich in und unter Blogs wie diesem hier und in sozialen Netzwerken weitere Gespräche. Nicht sichtbar ist, was sich in Dark Social wie WhatsApp oder Facebook Messenger abspielt. Da, wo Diskussionen stattfinden, sind WWF und Bayer gefragt: Wie differenziert kann auf Kommentare, die eine sehr einseitige, klare und teils diffamierende Haltung an den Tag legen, reagiert werden? Eine frühe Hoffnung, die mit Social Media verknüpft wurde, nämlich den Dialog anzukurbeln, erfüllt sich. Die Richtung stimmt. Für die Kommunikation ist die Arbeit noch anspruchsvoller, aber auch sehr spannend geworden.
Natürlich interessiert mich auch Ihre Meinung. Stellen Sie sich vor, WWF oder Bayer wäre Ihr Kunde. Was würden Sie, basierend auf den Informationen, die Sie in diesem Beitrag erhalten haben, raten? Wie würde eine sinnvolle Fortsetzung der Gespräche zum Thema Glyphosat, aber auch die Online-Kommunikations-Strategie aussehen? Ich bin sicher, Melanie Gömmel und Christian Maertin werden das Gespräch mit mit grossem Interesse verfolgen.
Liebe Marie-Christine,
Danke für diesen wertvollen Beitrag mit Stimmen von beiden Seiten. Dass beide Parteien nun den direkten Dialog suchen wollen, ist ein richtiger und guter Schritt. Mehr miteinander als übereinander reden ist immer zu begrüßen. Bei gesellschaftlich kritischen Themen wie #Glyphosat oder auch #Dieselgate sollte der laufende Dialog mit wichtigen Stakeholdern aus meiner SIcht ohnehin ein fester Bestandteil der Kommunikationnstrategie sein. Im Grunde sind das dann Influencer Relations – auch mit Anspruchsgruppen, die dem Unternehmen oder seinen Produkten sehr kritisch gegenüber stehen. liebe Grüße, Meike
Das sehe ich auch so, Meike, Online ist ja nur ein Teil des ganzen Kommunikationskette und diese sollte man nicht aus den Augen verlieren. Wir sehen Vieles, aber nie das Ganze.
“PR hat ja auch das Ziel, eine möglichst grosse Annäherung der Interessen, oder zumindest das Verständnis für Standpunkte, zu erreichen.” Und da frage ich nach: Stimmt dieses Berufsverständnis noch? Was bleibt vom Athener Kodex? Eine scharfe, knackige Antwort kann ich nicht bieten. Aber der Zweifel, der nagt.
Zum Ziel der PR bin ich mit dir einer Meinung: Es geht um grösstmögliche Annäherung der Interessen. Was die Kodices angeht muss ich dir gestehen, dass ich sie damals mühsam auswendig gelernt, heute aber vergessen habe. Ich bezweifle, dass du viele Berufskolleginnen findest, die dir aus dem Stand sagen können, was da drin steht. Haltung zeigen und Werte pflegen, gepaart mit gesundem Menschenverstand, halte ich da für deutlich sinnvoller.