Man nehme einen ebenso sympathischen wie beharrlichen Abt eines Klosters, einen kleinen Kreis von aktiven Onlinern, die an ihre Sache glauben und viele Menschen, die sich von einer Idee anstecken lassen. Und diese Idee darf auch unkonventionell sein, denn die wenigsten der gegen 80 Teilnehmer hätten gedacht, dass sie in ihrem Leben je an einer Wallfahrt teilnehmen würden. Das sind die Zutaten einer Geschichte, von der Kommunikationsverantworliche sehr viel lernen können.
Doch von Anfang an. Der umtriebige Abt heisst Martin Werlen. Er ist Vorsteher des Schweizer Klosters Einsiedeln und twittert seit Dezember 2009 als @abtmartin. Er ist ein Mensch, der sich selber als absolut nicht technophil bezeichnen würde und der mit viel Herz und Verstand spricht. Aber warum twittert er überhaupt? In einem Beitrag von Schweizer Radio DRS 2 erklärt er seinen pragmatischen Ansatz: „Twitter ist ein Instrument der Kommunikation. Wir verdanken die Lese- und Schreibkultur im Abendland den
Klöstern.“ Und so setzt er fort, was Mönche früher tagelang hinter dicken Bücher getan haben: Er schreibt. Dass er innert kürzester Zeit auf über 1‘200 Follower kam, verdankt er nicht seinem hohen Amt. Viel mehr hat er etwas Grundlegendes begriffen: „Ich kann in Twitter Meinungen einbringen, aber nicht belehren von oben herab, sonst werde ich links liegen gelassen. Wir lernen, mit den Menschen auf dem Weg zu sein“. Und sein Erfolg gibt ihm Recht.
In unserer Geschichte gibt es aber auch zwei aktive Onliner: Leila Summa (@leilasumma) und Ralph Hutter (@pixelfreund). Sie haben im Mai @abtmartin zu einem Gesprächsabend zum Thema Glaube 2.0 der Netzzunft nach Zürich eingeladen Der Anlass war ein voller Erfolg. Abt Martin weihte sie an diesem Abend in seine Idee ein, eine Wallfahrt für Twitterer zu veranstalten: Das #Geheimprojekt war geboren. Im Juli durfte die Katze aus dem Sack und immer mehr Twitterer begannen über die bevorstehende #twallfahrt nach iSiedeln zu schreiben.
Auf die Frage von Radio DRS, wer zu diesem Tweetup (Treffen von Menschen, die sich über Twitter kennen) komme, meinte @abtmartin:“Das weiss niemand, Twitter ist nicht programmierbar, wer da ist, ist da; es findet statt. Es geht nicht um Zahlen, diejenigen, die interessiert sind, tragen mit.“ Und es kamen an die 80 Personen unterschiedlichster Couleur. Sie nach soziodemographischen Kriterien zu bündeln wäre unmöglich, aber sie hatten ein verbindendes Element: Das gemeinsame Interesse an diesem Abt, seinem Kloster und dem damit verbundenen Erlebnis, der #twallfahrt. Sie wurden mit einem ganz besonderen Tag und vielfältigen Eindrücken belohnt. Hier schliesse ich die Geschichte.
Aber sie findet ihre Fortsetzung bei allen, die verstehen wollen, wie die Kommunikation im Social Web funktioniert. Twitter steht hier vertretend für die Kommunikation im Social Web. Wer erfolgreich sein will, muss einiges beherzigen:
- Höre zu: Ausculta et pervenies: „Höre und Du wirst ankommen“ steht nicht nur auf dem Ring von Abt Martin Werlen, er lebt dies auch. Kommunikation im Social Web beginnt mir Zuhören.
- Kommuniziere regelmässig und auf Augenhöhe: „Ich kann meine Meinung anbieten, aber nicht von oben nach unten belehren“, sagt dazu Abt Martin. Verzichte darauf, geschliffene Botschaften zu verbreiten oder Phrasen zu dreschen.
- Pflege den Dialog: Abt Martin spricht mit den Menschen, die meisten seiner Tweets enthalten eine mention (@). Wer seine Timeline liest, versteht, diese Aussage.
- Fasse dich kurz und komme zum Punkt: „Menschen von heute brauchen nicht lange Abhandlungen, wir müssen, was wir sagen wollen, auf den Punkt bringen“, sagt dazu Abt Martin.
- Engagiere dich und zeige Empathie: Auch Wenn Abt Martin sagt, dass Twitter ein Kommunikations-Instrument ist, so wird bei ihm erlebbar, dass er Twitter nicht “als Mittel zum Zweck” einsetzt, sondern dass er sich darauf einlässt und sich als Mensch engagiert. Das bedeutet nicht, dass jedermann über sein Privatleben Bescheid weiss, hier weiss er sehr wohl Grenzen zu ziehen, und das ist gut so.
- Verbinde online mit offline: „Die soziale Kommunikation wirkt sozial, das Interesse an Begegnung ist da.“, hält Abt Martin fest. Biete den Menschen diese Möglichkeit der Begegnung und des Austauschs und nimm selber teil.
- Geh dahin, wo die Menschen sind: Abt Martin hat am Sonntag die Kutte zu Hause gelassen und hat sich mit Wanderbekleidung mit einer bunt gemischten Gruppen auf den Weg gemacht.
- Geh geplant vor: Abt Martin weiss, was er vermitteln will. Auch auf der #twallfahrt hatte er Bibel und Liederblätter dabei. Er hat den Teilnehmern seine Botschaft vermittelt, aber er hat sich angepasst; die Lieder hat er in Twitterlänge ausgewählt und er hat es unterlassen zu missionieren.
- Sei ausdauernd: Die #twallfahrt war kein spontaner Anlass sondern von langer Hand voraus geplant.
- Sei authentisch: Wie alle anderen auch sass Abt Martin beim Mittagessen auf dem Boden. In seinen Tweets gibt er sich als Mensch zu erkennen.
- Passe die Sprache an: Aus der Twittergemeinschaft kam die Idee, Einsiedeln auf iSiedeln umzubenennen. Abt Martin hat dies auch in seinen Tweets aufgenommen und so seine Offenheit gezeigt.
- Erzähle Geschichten und kommuniziere anschaulich: “Pilgern heisst mit den Füssen beten.” #twallfahrt ist Gehbet.“ – eines von vielen schönen Beispielen von Abt Martin.
- Setze Ziele, aber bleibe realistisch: Abt Martin wusste, dass der Anlass stattfindet, er hat sich aber auch auf einen sehr kleinen Teilnehmerkreis eingestellt. Er setzt auf die Qualität der Kontakte und nicht auf die Quantität.
- Hole dir da Unterstützung, wo dir die eigene Kompetenz fehlt: Abt Martin hat seine ersten Gehversuche in Twitter mit Hilfe von @bloggingtom gemacht. Er hat zudem weder einen eigenen Blog (leider) noch ist er in Facebook zu Hause @leilasumma und @pixelfreund haben ihn unterstützt im Blog und in Facebook.
- Finde deine Zielgruppe: Zielgruppen lassen sich nicht mehr nach demographischen Kriterien festlegen, Menschen verbinden sich über gemeinsame Interessen: „Ich weiss nicht wer kommt, diejenigen, die interessiert sind, tragen mit“ sagte Abt Martin im Vorfeld zu #twallfahrt
Die Kommunikation im Social Web hat sehr viel damit zu tun, wie wir uns als Menschen untereinander verhalten und austauschen. Wenn wir als Individuen unterwegs sind, klappt das meist ganz natürlich. Wir würden gut daran tun, auch als Menschen im Auftrag eines Unternehmens oder einer Organisation etwas von unserer Verkrampfung in der Kommunikation abzulegen. Darum lese und höre ich gerne, was Abt Martin von sich gibt: unverkrampft, aber dennoch bewusst, geplant und andauernd. Alles Elemente aus der alten Definition von PR von Albert Oeckl, die auch in PR 2.0 ihre Gültigkeit behalten.