Von CommTech bis Community Building: Der Swisscom-Newsroom im Wandel

Wenn ich mit Newsroom-Mitarbeitern spreche, interessiert mich zunehmend die Rolle von CommTech und künstlicher Intelligenz. Der Swisscom-Newsroom ist schon länger auf diesem Weg, geht aber parallel auch andere Wege. Er setzt mit Corporate Influencern und Community Building auf den Faktor Mensch.

Das klingt zunächst nicht innovativ, beide Themen hatten wir schon einmal. Aber wieder mehr auf die Kommunikation von Mensch zu Mensch zu setzen, ist aus meiner Sicht der Weg, den Unternehmen gehen müssen. Sonst laufen sie Gefahr, über kurz oder lang in einer Informationsflut unterzugehen, die von KI befeuert wird.

Roger Baur ist einer der vier Chefs vom Dienst im Swisscom-Newsroom und zuständig für Social Media in der Unternehmenskommunikation. Mit ihm habe ich über die Entwicklungen des Newsrooms gesprochen. 

«Der Newsroom beginnt im Kopf», sagt Prof. Christoph Moss, bei Swisscom beginnt er in vielen Köpfen, bei 19’000 Mitarbeitenden potenziell sogar in sehr vielen Köpfen. Seit dem letzten Gespräch mit den Verantwortlichen im Frühsommer 2019 hat sich der Swisscom Newsroom zwar nicht grundlegend verändert, aber weiterentwickelt.

Ein Newsroom mit vielen Köpfen

Der Swisscom-Newsroom ist in der Abteilung Swisscom Group Communication Responsibility angesiedelt. Hier arbeiten rund 70 Kommunikations-, Event-, Branding- und Nachhaltigkeitsspezialisten. Wie viele Personen genau im oder für den Swisscom Newsroom arbeiten, kann mir Roger Baur nicht sagen. Aus gutem Grund.

“Heute gibt es kein dediziertes Newsroom-Team mehr wie zu Beginn 2016″, erklärt Roger Baur. “Die Grenzen des Newsrooms sind bewusst nicht mehr starr, um die Vernetzung im Unternehmen zu flexibilisieren und zu verbreitern. So arbeiten wir sehr eng mit dem Employer Branding zusammen. Das hat mit dem Fachkräftemangel zu tun, der auch Swisscom betrifft.” Es sei üblich, dass immer wieder Leute temporär im Newsroom mitarbeiten. So gibt es viele Kollegen im Unternehmen, die auch zum Newsroom gezählt werden, unter anderem die Corporate Influencer, doch dazu später mehr. 

Diese Flexibilität in der Zusammenarbeit ist ohne klare Organisation, Rollen und Prozesse nicht möglich. Im Herzen des Newsrooms arbeitet das Newsdesk eng mit Public Affairs zusammen. “Wir teilen uns auf und arbeiten Hand in Hand“, erklärt Roger Baur, “ein grosser Teil des Teams ist entweder mehrheitlich für das Newsdesk oder für Public Affairs im Einsatz. Ein kleinerer Teil arbeitet in beiden Bereichen. Das ist die grösste Veränderung der letzten Jahre. Bei Swisscom hat jeder mehrere Rollen, die ineinandergreifen.”

Swisscom-Newsroom Rollen: Kanalowner, Chef vom Dienst, Multimedia Teams, Corporate Journalists, Public Affairs Manager, Mediensprecher
Rollen im Swisscom-Newsroom

Im Fokus Newsdesk arbeiten neun Festangestellte, fünf Young Professionals (Lehrabgängerinnen, die nach dem Lehrabschluss bei Swisscom geblieben sind) und 34 Lernende. Von den Lernenden gehören 13 zum Newsdesk und 12 zum Swisscom-eigenen Filmteam. Dieses Team sitzt im gleichen Raum wie das Newsdesk und funktioniert wie eine Agentur. Es ist also teilweise auch für das Newsdesk tätig. Weitere neun Lernende arbeiten in Lausanne für die Romandie, mit Schwerpunkt Multimedia.

Im Bereich Public Affairs sind es neun Personen, hier gibt es weder Lernende noch Young Professionals.

Am Newsdesk wechseln sich vier CvD (Chef vom Dienst) im wöchentlichen Turnus ab.

Themen: breit geplant, zentral gesteuert

Die thematische Klammer des Swisscom-Newsrooms bilden die vom Unternehmen definierten Fokusthemen. Diese stellen den Leitstern für das Newsdesk dar, welches auf dieser Basis plant und steuert. Dabei werden einerseits externe Einflüsse (Medien- & Social-Media-Wellen) berücksichtigt. Andererseits vor allem auch die Roll-out-Planung von Neuerungen, die wiederum von einem Schwesterteam des Newsrooms eingebracht wird.

Swisscom-Newsroom Modell mit Newsdesk, Media Relations, Public Affairs
Organisation des Swisscom-Newsrooms

Das Schwesterteam mit 13 Themenverantwortlichen ist ein wichtiges Bindeglied nach innen und bringt Themen aus den verschiedenen Unternehmensbereichen an das Newsdesk. Umgekehrt sind sie als eine Art interne Mediensprecher auch Gatekeeper für das Newsdesk und stellen auf Anfrage Informationen und Kontakte im Unternehmen zur Verfügung. Die Themenverantwortlichen planen mit ihren jeweiligen Stakeholdern. Sie arbeiten also nicht im Daily Business des Newsrooms, sondern sind operativ direkt in den Geschäftsbereichen bei den Businesspartnern tätig.

Roger Baur nennt ein Beispiel: “Die Themenverantwortliche im Bereich Privatkunden bringt die Gesamtplanung für den Rollout eines neuen Produkts in das Gesamtmeeting aller Themenverantwortlichen ein. In diesem Meeting machen wir die Gesamtplanung. So sehen wir, ob die Themen ‘in Line’ mit den Fokusthemen sind. Wir stellen auch fest, ob es Kollisionen mit Aktivitäten aus einem anderen Bereich gibt, zum Beispiel mit den Geschäftskunden. Alle Bereiche greifen über das Newsdesk auf die gleichen Ressourcen zu. So wird auch die Koordination sichergestellt.”

Der Kontakt mit den Themenownern findet täglich statt, da das gesamte Dialog- und Community-Management im Newsroom stattfindet. Hier werden nicht nur Medienanfragen bearbeitet, sondern auch die oftmals komplexen Social-Media-Dialoge geführt. Die Anfragen sind zum Teil sehr spezifisch und können von Customer Care nur in enger Zusammenarbeit mit den Bereichen beantwortet werden.

Mit Corporate Influencing zu den Zielgruppen

Der Swisscom-Newsroom bewirtschaftet neben den internen auch zahlreiche externe Kanäle. Wer sich mit dem Thema beschäftigt, weiss, dass dies kein Selbstläufer ist. Nicht nur das Nutzungsverhalten, sondern auch die Algorithmen von Suchmaschinen und Social Media ändern sich laufend.

Kanäle im Swisscom-Newsroom Intranet, Influencer-Netzwerk, Threads, Medienarbeit, Social Media Dialog
Kanäle, die der Swisscom-Newsroom bewirtschaftet

So stellt auch Roger Baur fest, dass die Reichweite von Unternehmensaccounts in Social Media immer geringer wird. “In der Vergangenheit wurde für die Verbreitung von Posts bezahlt, was sich auch in den Zahlen zur Reichweite beeindruckend niederschlug. “Ein Trugschluss“, wie er meint. “Zudem werden bezahlte Beiträge als weniger authentisch wahrgenommen, was sich negativ auf die Nutzungsdauer und das Engagement auswirkt.”  

Trend zu Communities

Der Trend geht klar in Richtung Austausch in Communities, und hier setzt Swisscom mit ihrem Programm Corporate Influencing an. Dabei gehe es um weit mehr als Sales und Recruiting, betont Roger Baur. “Über die Corporate Accounts hinaus fliessen die Informationen in der persönlichen Kommunikation von Mensch zu Mensch. Deshalb beziehen wir unsere 19’000 Mitarbeitenden in die Kommunikation mit ein.”

Früher war es üblich, über ein Tool wie Socciabble Inhalte oder Textbausteine für die Mitarbeitenden aufzubereiten, die diese dann in ihrem Netzwerk teilen sollten. Für Roger Baur ist das kein gangbarer Weg mehr: “Seit gut einem Jahr setzen wir mit Corporate Influencing auf ein internes Netzwerk. Damit knüpfen wir an das Ambassador-Programm an, das Human Resources schon etwas früher ins Leben gerufen hat.

Corporate Influencer Programm

Wir befähigen interessierte Mitarbeitende, in dem Bereich zu kommunizieren, in dem sie stark sind und mit der Zielgruppe, bei der sie sich wohlfühlen. So entsteht eine Win-win-Situation: Die Corporate Influencer profilieren sich selbst, aber auch das Unternehmen strahlt durch die Mitarbeitenden Kompetenz aus”.

Das Corporate Influencer Programm umfasst Schulungen mit digitalen Lernpfaden und Kurse mit persönlicher Wissensvermittlung. Besonders beliebt sind auch Veranstaltungen, bei denen Corporate Influencer exklusive Einblicke in Themen erhalten, die sie für ihre eigenen Inhalte nutzen können.

Wie dieses Programm mit dem Swisscom-Newsroom zusammenspielt, wollte ich von Roger Baur wissen. «Wenn im Newsroom Kommunikations-Massnahmen geplant werden, werden nicht nur die geeigneten Kanäle evaluiert, sondern auch gezielt Corporate Influencer einbezogen, die zum Thema passen.»

#WeAre079 heisst das Influencerprogramm der Swisscom mit einem internen Netzwerk von interessierten Mitarbeitenden, die als Corporate Influencer aktiv sein wollen.
Corporate Influencing: Ein Weg zu den Zielgruppen im Swisscom-Newsroom

Dabei hat das Newsroom-Team auch schon Überraschungen erlebt. “Es findet auch ein Austausch zwischen Berufsfeldern in Communities statt, von denen wir nicht gedacht hätten, dass sie in den sozialen Medien existieren”, sagt Roger Baur. Als Beispiel nennt er die Elektrobranche und fährt fort: “Wir haben Fachleute in hoch spezialisierten Bereichen, die sich mit ihrer Mikrozielgruppe und in ihrer eigenen, sehr spezifischen Blase austauschen.

Für sie ist es wichtig zu verstehen, wie man mit Quellen umgeht und Netzwerke aufbaut. Mit dem Corporate Influencing Programm unterstützen wir sie dabei.”

Was läuft zu CommTech und KI?

Im Gespräch haben wir uns einige Tools und Anwendungen angeschaut. Obwohl der Swisscom-Newsroom bereits mit vielen digitalen Tools unterwegs ist, ist die Transformation noch lange nicht abgeschlossen. Vieles ist noch in der Entwicklung und muss erst gelernt, getestet und evaluiert werden. Damit befindet sich der Swisscom-Newsroom in bester Gesellschaft mit anderen Newsrooms und Kommunikationsabteilungen.

Mit Roger Baur bin ich die wichtigsten Anwendungsmöglichkeiten durchgegangen.

Themen- und Redaktionsplanung

Seit einiger Zeit ist Desk-Net das Tool der Wahl, das auch allen offensteht. (Update: Desk-Net wurde im August 2024 in Kordiam umbenannt). Allerdings ist das Programm sehr tagesbezogen, dem Team fehlt der Überblick über mehrere Wochen oder Monate. Diese Ansichten sind zwar vorhanden, aber nicht in der gewünschten Qualität und Detailtiefe. Daher wird derzeit an einer eigenen Lösung gearbeitet.

Desk-Net ist im Swisscom-Newssroom das Tool für die Themen- und Redaktionsplanung.
Kordiam (bis 08/24 unter dem Namen Desk-Net) für die Redaktionsplanung

In der Evaluation ist eine Lösung, um Information und Planung, also Medienanfragen und Social-Media-Dialoge, zusammenzuführen. Ziel ist es, Ordnung in die vielen Quellen zu bringen, als Grundlage für die Kommunikation, aber auch zur Unterstützung der Corporate Influencer.


Monitoring

Für den Swisscom-Newsroom hat Monitoring in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen und wird mit Talkwalker sichergestellt. “Ein Newsroom ist ein ständiger Kreislauf, in dem Themen aus dem Umfeld wieder eingespeist werden. Auch bei uns fliessen die Ergebnisse und Erkenntnisse in die kurz- und langfristige Planung ein”, erklärt Roger Baur. Warum er das Tool nicht nur nützlich, sondern auch inspirierend findet? “Mit Talkwalker haben wir auch eine der für uns wichtigsten KI im Einsatz: Diese macht es möglich, von Talkwalker schnell und einfach Ergebnisse zu erhalten. Früher musste man dafür eine komplexe Search-Query anlegen, die stark einer Programmiersprache ähnelte.”

“Wordclouds stellen Suchergebnisse in einen Kontext und zeigen das Potenzial: In Zukunft wird es möglich sein, Mikrosegmente zu bilden und Inhalte zu personalisieren. Eine solche Auswertung aus dem Monitoring, die Zuordnungen und Zusammenhänge aufzeigt, wird dabei eine nützliche Unterstützung sein”, ist Roger Baur überzeugt.

Auch aus der Analyse von Reach, also der Verbreitung von Inhalten, zieht das Team wertvolle Erkenntnisse. “Wir sehen immer nur die Spitze des Eisbergs, weil Daten von wichtigen Plattformen wie Meta komplett fehlen. Dort, in den geschlossenen Bereichen von Facebook und Instagram, finden gesellschaftlich relevante Diskussionen und Entscheidungsprozesse statt. Talkwalker kann diese Lücke teilweise schliessen, weil wir auch Einblicke in Plattformen erhalten, die eine ähnliche Zielgruppe erreichen wie Facebook.”

Im Monitoringtool Talkwalker ist bereits KI integriert. Für die Swisscom hat Monitoring an Bedeutung zugelegt.
Monitoring mit Talkwalker spielt im Swisscom-Newsroom eine zentrale Rolle

Talkwalker ist kürzlich von Brandwatch übernommen worden. Aus dem gleichen Haus stammt Khoros, eine KI-basierte Lösung, die auch bei Swisscom im Customer Care zum Einsatz kommt. “Damit haben wir das Ohr nah am Markt und können sofort auf Missverständnisse und Falschmeldungen reagieren. Präventive Krisenkommunikation beginnt mit einem guten Monitoring.”

Redaktionelle Unterstützung

Swisscom hat mit Swisscom GPT ein eigenes GPT eingeführt, das auf GPT 4.0 basiert. Diese wird auch von den ‘Corporate Journalists’ genutzt, und zwar nicht nur für die Recherche, sondern auch für das Zusammenfassen längerer Dokumente. GPT speist sich aus externen Daten, lernt aber auch laufend aus internen Dokumenten dazu. Zugriff haben nur Swisscom-Mitarbeitende.

Bildbearbeitung und Multimedia

Als einer der ersten Anbieter hat Adobe Suite KI implementiert. Das Newsroom-Team arbeitet mit Learning by Doing für die Bildbearbeitung und die Erstellung von KI-generierten Bildern. Dabei geht es nicht nur darum, Erfahrungen über die technische Machbarkeit zu sammeln, sondern auch die Akzeptanz beim Publikum auszuloten.

Auch Canva mit seinen KI-basierten Widgets kommt zum Einsatz, unter anderem für die Corporate Influencer.

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KI ist bereits in vielen Tools integriert, wie die Anwendungen im Swisscom-Newsroom zeigen. Ebenso werden aber auch Fingerübungen mit KI-Lösungen wie GPT gemacht. Dazu fand kürzlich bei Swisscom ein Promptathon statt, an dem Entwicklerinnen und Interessierte aus dem Unternehmen teilnahmen. Ziel war es, herauszufinden, wie prompten funktioniert. Roger Baur hat dazu eine klare Meinung: “Letztlich werden alle mit KI arbeiten, was uns unterscheidet, sind die Prompts und die Daten.”

Das Beispiel Swisscom zeigt: Wer in Zukunft erfolgreich kommunizieren will, muss es verstehen, die Fähigkeiten der Menschen mit den technologischen Möglichkeiten zu verknüpfen, um die Unternehmensziele und die Kommunikationsziele zu erreichen. Falls Sie dieses Thema interessiert, empfehle ich Ihnen meinen Beitrag “Fallstricke und Erfolgsfaktoren bei der Einführung von CommTech“.

Ich danke Roger Baur für das Gespräch.

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