Was sind Sie: Ein Zahlen- oder Sprachenmensch? Für mich war lange klar: Ich bin ein Sprachenmensch, ganz eindeutig! Inzwischen hat sich das Blatt jedoch gewendet und die Antwort fällt nicht mehr ganz so eindeutig aus. Kürzlich habe ich für einen Kunden einen Online-Audit mit Benchmark zum Wettbewerbsumfeld erarbeitet. Am Anfang stand das Excel-Sheet, in das ich die Resultate meiner Recherchen eintrug – denn Daten und der Vergleich von Zahlen helfen Muster zu erkennen. Erst im zweiten Schritt folgte dann der Bericht mit Einordnung und Empfehlungen.
Jörg Hoewner ist ein Kommunikationsprofi mit einer etwas anderen Perspektive. In einem Webinar hat er kürzlich die ein bisschen sperrig anmutenden Themen Data-driven PR und Data Storytelling nachvollziehbar eingeordnet und erklärt. Einfach gesagt geht es um die Verheiratung von Zahlen und Kommunikation. Wahnsinnig spannend, fand ich und habe deshalb Jörg Hoewner gebeten, mir ein paar Fragen zu beantworten.
Ich freue mich, dass er sich dafür Zeit genommen hat. Im Anschluss an dieses Interview ist die gesamte Präsentation aus SlideShare eingebettet.
Big Data ist auch ein Thema für die Kommunikation: Bei den einen weckt es enorme Erwartungen und die anderen fühlen sich überfordert. Können Sie das Thema für uns bitte verorten?
Bei dem fast schon inflationär genutzten Schlagwort “Big Data” zucke ich erst einmal zusammen. Das klingt nach “Big Monster” oder “Big Bang”, etwas Gewaltigem. Ein Begriff, der uns seit Jahren immer wieder eingehämmert wird, der etwas bezeichnet, was angeblich auf uns zurollt und dadurch vielleicht Befürchtungen weckt. Die Frage ist: Was soll das überhaupt sein? Richtig präzise sind die Definitionen nicht.
Meistens bezeichnet “Big Data” grosse Datenmengen, die kaum oder gar nicht strukturiert sind, sodass man sie manuell oder mit üblichen Tabellenkalkulationen nicht mehr auswerten kann. Viele denken dann an nebulöse Datenmengen in irgendwelchen Clouds, aus der eine ominöse KI Weisheiten generiert, auf die wir Menschen niemals gekommen wären. Wenn man das runterbricht, macht das schon weniger Angst: Big Data in der Kommunikation setzt an der Erkenntnis an, dass wir als Stakeholder – als Produzentinnen oder als Konsumenten von Kommunikationsprodukten – an vielen Stellen Datenspuren hinterlassen. Diese eignen sich für die Analyse der Kommunikation. Noch konkreter reden wir hier von Daten und Werkzeugen, die es schon lange gibt: zum Beispiel jene aus der Medienbeobachtung oder dem Online-Monitoring, den Web Metrics, den Social Media Metrics oder den Nutzungsdaten von Werbemitteln. Neu ist, dass ständig neue Datenquellen hinzukommen. Gleichzeitig schaffen die Werkzeuge und Analysetools neue Möglichkeiten, unterschiedlichste Datenquellen zu kombinieren und darin Muster sichtbar zu machen.
Sie sprachen kürzlich in einem Referat von Data-driven PR und Data Storytelling. Das klingt beides sehr ähnlich, wo ist denn da der Unterschied?
Data Storytelling meint vor allem, Inhalte zu entwickeln, bei denen Daten der Akteur bzw. das Objekt einer Geschichte sind. Man vermittelt komplexe, zahlenbasierte Sachverhalte, indem man Kernerkenntnisse über visuelle und narrative Elemente veranschaulicht. Der Schwesterbegriff aus dem Journalismus wäre der Data Journalism.
Bei Data-driven PR oder Data-driven Content denken wir dagegen an Daten als Planungs- und Steuerungsinstrument für die Kommunikation. In der Theorie war der Idealfall schon immer so, dass Daten aus der PR-Evaluation auch zu Planungs- und Steuerungszwecken eingesetzt werden, aber in der Praxis landeten die Ergebnisse zu 90 Prozent in der Schublade – als Clipping-Report oder als Medienresonanz-Analyse (MeRa), wenn überhaupt. Durch die zunehmende Verfügbarkeit von Daten und Analyse-Werkzeugen steht einem praktischen Einsatz nichts mehr im Wege.
Sie wollen einen PR-Profi von Data Storytelling überzeugen und er sagt zu Ihnen: “Ich bin eher in der Welt der Sprache zu Hause, Zahlen sind nicht so mein Ding.” Was antworten Sie?
“Wir kümmern uns drum.” ;-) Im Ernst, ich kann das nachvollziehen. Ich würde entgegnen, dass sowohl im Data Storytelling als auch bei Data-driven-PR Möglichkeiten zu heben sind, die sie oder ihn nach vorne bringen. Darum würde ich sagen: “Lassen Sie uns gemeinsam schauen, was Sie haben und wir finden eine Möglichkeit, wie wir vielleicht mit wenig Aufwand daraus etwas Nützliches entwickeln.”
Gut, Sie haben ihn überzeugt, aber jetzt steht er am Berg. Wie schafft er es, seinen Stakeholdern Zahlen und Fakten attraktiv zu vermitteln?
Der Ausgangspunkt ist die Frage: Was könnten diese Daten erzählen? Ich entwickle also Idee und These zugleich, um dann zu schauen, ob die Daten meine These stützen oder ob sogar noch andere Geschichten darin stecken. Mit Geschichte meine ich eine “Insight”, eine Einsicht in ein Thema, die interessant für die Rezipienten ist.
Wenn ich weiss, was diese “Insight” beinhaltet, kann ich mir Gedanken über sinnvolle Visualisierungsformen machen, die meine Aussagen stützen. Und ich kann mir überlegen, welche narrativen Elemente – Interviews, Videos, Reportagen – die Kernaussagen am besten vermitteln. Das Gute beim Data Storytelling: Ich habe sehr viele Möglichkeiten. Ich kann Daten personalisieren – also den User mit Daten zu seinem Alter, Wohnort, Einkommen, Beruf, Energieverbrauch oder anderen soziodemografischen Aspekten einbinden. Ich kann Daten so visualisieren, dass der Nutzer einzelne Aspekte durch Interaktion selbst erschliessen kann – beispielsweise durch Schieberegler. Oder ich kann sie animieren, um zum Beispiel Zeitabläufe darzustellen.
Können Sie uns Beispiele für gelungenes Data Storytelling geben?
Im journalistischen Bereich gibt es tolle und aufwendige Beispiele. Die Berliner Buslinie M29 ist nach wie vor mein Lieblingsprojekt. Die Buslinie nimmt den Besucher mit auf eine Tour durch das soziale Universum der Bundeshauptstadt. Ich mag es nicht zuletzt, weil der Bus auch vor meiner Haustür vorbeifährt und ich häufiger damit fahre. Die Story liefert mir quasi die Hintergrundgeschichte.
Im PR-Bereich werden die Beispiele schon dünner, obwohl Data Stories theoretisch unendlich ergiebige Quellen für Content-Ableitungen sind, zum Beispiel indem man jeweils Social Media-Posts zu einem Aspekt oder einer Teilaussage daraus aufbereitet. Das wird noch kaum gemacht.
Lieblingsbeispiele aus Unternehmen sind “So bewegt sich Deutschland” von Telefónica; und der Dating-Plattformbetreiber OK Cupid produziert in unregelmässigen Abständen Blogposts, in denen aus Nutzerdaten generierte Themen aufbereitet werden, zum Beispiel zu Partnerpräferenzen, Nicknames oder Dating-Trends zu Corona-Zeiten. Vorbildliches Data Storytelling betreibt auch der Versicherungskonzern Generali mit dem Karambolage-Atlas oder dem Streitatlas, beide für Deutschland.
Wenn man selbst nicht viele Daten als Unternehmen hat, lassen sich auch offiziell zugängliche Daten verwenden, um daraus Stories zu entwickeln. Wir haben zum Beispiel für unseren Kunden Verisure (Anbieter von Sicherheitslösungen) einige Datenposts entwickelt, bei denen wir Einbruchsstatistiken des BKA aufbereitet und drumherum einen Hintergrundpost gestrickt haben: Das wissen wir über Einbrüche in Deutschland. Wir haben Data Storytelling auch häufig in der internen Kommunikation eingesetzt oder zur Vermittlung von Studienergebnissen.
Bei Data-driven PR bilden Daten die Steuerungsgrundlage für die Kommunikation. Viele Kommunikationsprofis tun sich schon schwer, strategische Themen festzulegen und eine Content-Strategie zu erarbeiten, die ihren Namen verdient. Jetzt kommen noch die Daten dazu. Wie entwickelt man denn nun eine datengestützte Content-Strategie?
Daten können dazu dienen, Themen, die auf ein grösseres Interesse stossen, anhand von Social Media-Resonanz, Suchvolumen und tatsächlichem Content-Konsum in den eigenen Kanälen zu identifizieren. Dazu können Daten aus der Wettbewerbsbeobachtung, aus Social Media, Web Metrics, Suchmaschinen und anderen Datenquellen ausgewertet werden. Die Herausforderung ist nicht, die Daten auszuwerten, sondern den Wald vor lauter Bäumen zu sehen. Dazu sollte man sich Arbeitsmittel schaffen, mit deren Hilfe man die Analyse konsolidiert und verarbeitbar macht. Wir haben für uns zum Beispiel eine Content Map entwickelt, die wir mit dem Online-Whiteboard Miro bearbeiten.
Daten gibt es ja zuhauf, wo liegen die Hürden und welche Stolperfallen sollte man umgehen?
Wenn wir an Data Storytelling denken, denken wir immer, dass es Daten zuhauf gibt. Die Herausforderung ist dabei häufig, diese in einem lesbaren Format aus irgendwelchen Systemen herauszukitzeln. Das sind nicht selten proprietäre IT-Systeme oder eventuell Daten, die nur als PDF vorliegen oder in vielen einzelnen Dokumenten verteilt sind. Hier merkt man recht schnell, was geht und was einen zusätzlichen Aufwand bedeutet.
Können Sie Tools empfehlen, welche die Arbeit erleichtern und die Qualität verbessern?
Datenanalysewerkzeuge oder Visualisierungstools gibt es sehr viele gute, wir haben dazu unlängst einen Blogbeitrag aktualisiert.
Dazu sollte man sich noch Werkzeuge zur Datenbereinigung anschaffen. Einige kostenlose Werkzeuge sind zum Beispiel das Talend Data Preparation-Tool, mit dem man Tabellen reparieren und bereinigen kann, oder das Werkzeug Tabula, um aus PDF-Dateien Daten zu extrahieren.
Welche Tipps geben Sie meinen Leserinnen und Lesern zum Abschluss?
Im deutschsprachigen Raum neigen wir dazu, das volle Programm zu konzipieren und alle Aspekte und Eventualitäten zu berücksichtigen. Das gilt für Autobahnen, für Gesundheits-Apps und für Gesetze – leider auch für Kommunikationsprozesse. Was dazu führt, dass die Erstellung entweder ewig dauert, unglaublich komplex und nervig wird oder im schlimmsten Fall nie funktioniert.
Ich finde daher den Gedanken des “Minimal Viable Product” von Eric Ries ganz gut. Dabei entwickelt man möglichst schnell ein Produkt nur mit den nötigsten Funktionen, das schon einen grundlegenden Nutzen stiften soll. Übertragen auf Data Storytelling oder Data-driven PR / Content bedeutet das zu überlegen, mit welcher Data Story man schon Erkenntnisse vermitteln kann oder wo im eigenen Kommunikationsprozess am ehesten ein Daten-Hebel angesetzt werden kann, um dann in kleinen Schritten zu starten.