Wie viele Follower erreichen Schweizer NPO (Nonprofit-Organisationen) auf Social Media? Um diese Frage zu beantworten reicht ein Blick auf Pluragraph, und fertig ist das Ranking. Die Agentur Consign hat das bereits zum zweiten Mal für die Schweiz getan und damit erst einmal einen quantitativen Vergleich gemacht. Followerzahlen allein, das haben wir inzwischen gelernt, sind aber wenig aussagekräftig. Deshalb habe ich bei den gelisteten Organisationen nachgefragt und alle zehn waren bereit, ihre Erfahrungen zu teilen. Die Rückmeldungen zeigen, wie verschiedene Schweizer NPO Social Media im Rahmen der Gesamtkommunikation nutzen und welche Rolle Facebook spielt.
Diskutiert habe ich die Antworten dann mit dem NPO-Experten Chris Bühler. Die 10 Erkenntnisse und Empfehlungen finden Sie am Ende dieses Beitrags.
Das Rating 2019
Bevor wir starten, werfen wir einen Blick auf die zehn Schweizer NPO im diesjährigen Rating:
Im zugehörigen Beitrag zum “Social-Media-Rating 2019 der Top 10 Schweizer NPO” ist die Rede von den “zehn erfolgreichsten Schweizer Nonprofit-Organisationen mit den meisten «Followern/Gefällt mir»-Angaben auf den betriebenen Kanälen.”
Followerzahlen sind nur ein Startpunkt
Ich bekunde Mühe mit Ratings, deren einzige Grundlage die Anzahl Fans bilden, weil sie zu wenig aussagekräftig sind. Darum habe ich unter dem Beitrag von Felix Adank von Consign auch kommentiert:
“Danke, Felix, für diese Zusammenstellung, die einen Einblick über die Schweizer NPOs mit den meisten Followern bringt und jene 10 Organisationen zeigt, die aus dieser Perspektive in der Schweiz Gewicht haben. Allerdings bin ich der Meinung, dass reine Followervergleiche nichts bringen, weil sie nichts über die Qualität der Arbeit der jeweiligen Organisation sagen. Weder wissen wir, über welchen Zeitraum die Community entstanden ist, noch erfahren wir etwas über Interaktion oder Rolle von Social Media in der Kommunikationsstrategie. Ich würde darum auch eher von einem Ranking als von einem Rating sprechen. Zur besseren Einordnung habe ich bei den zehn NPOs nachgefragt und aussagekräftiges Feedback erhalten, über das ich noch bloggen werde.”
Jona Hölderle von Pluralog hat mit Pluragraph die Plattform für Social-Media-Benchmarking und Social-Media-Analyse von gemeinnützigen Organisationen (NPOs), Politik, Kultur und Verwaltung geschaffen. Von ihm wollte ich wissen, was er von einem rein Follower-basierten Ranking hält. Seine Meinung: “Grundsätzlich finde ich das Vorgehen in Ordnung, wenn es wie hier nur als Startpunkt genutzt wird und erwähnt wird, dass es eben nur eine quantitative Basis ist. Es gibt ja einfach keine anderen vergleichbaren Werte. Ich finde das immer, wie DAX-Unternehmen am Umsatz zu bewerten. Es hilft, aber man muss schon auch verstehen, was das Unternehmen gerade macht.” Consign hat also den Startpunkt gesetzt, hier kommt die Vertiefung.
Drei Erkenntnisse zu Social Media
Von den zehn Organisationen wollte ich wissen,
- was sie von rein Follower-basierten Rankings halten und was für sie Erfolg in Social Media ausmacht,
- wie hart das Pflaster bei Facebook wirklich geworden ist und
- welche Rolle Social Media in der strategischen Kommunikation spielen.
Ich freue mich sehr, dass sich alle Organisationen Zeit genommen haben, die Fragen zu beantworten. Ich habe die Antworten in der Folge nach Themen aufbereitet.
1. Anzahl Follower sagen zuwenig aus
Für alle Schweizer NPO ist klar, dass die Anzahl Follower allein nicht reichen, auch wenn sie das etwas zurückhaltender formulieren als ich in meinem Tweet. Für Rebekka Koeppel von Public Eye sind Follower ein wichtiger erster Indikator für das Potenzial, das genutzt werden kann. Sie relativiert aber: “Eine grosse inaktive Community bringt jedoch wenig”.
Beat Gerber von Amnesty erachtet es als notwendig, über eine “stattliche” Basis zu verfügen, denn “wir setzen in erster Linie auf eine aktive Community”. Hina Stüver von Greenpeace sieht aber auch die Kehrseite: “Eine sehr grosse Anzahl Follower bedeutet ja zugleich eine schwierigere organische Reichweite.” Damit spricht sie die Interaktionsrate an, welche die Aktivitäten einzelner Fans ins Verhältnis zur gesamten Fanbasis setzt.
2. Eine aktive Community ist das Ziel
Es geht also um weit mehr, als eine möglichst grosse Community aufzubauen. Für Nadja von Burg von WWF Schweiz sind die Prioritäten klar: “Am wichtigsten sind für uns auf allen Kanälen das Engagement und der Dialog mit unseren Followern. Eine treue und engagierte Community ist wertvoll, um unsere Ziele zu erreichen.” Auch Greenpeace zielt auf Engagement und die Conversion auf die Webseite.
Bei Save the Children konzentriert sich Simone Schmid auf den nächsten Schritt: “Im Fokus ist nicht mehr der Aufbau der Community, sondern diese mit spannenden, abwechslungsreichen Inhalten zu bespielen. Wir legen grossen Wert darauf, dass die Follower erfahren, wie wir Kindern helfen, und aufzeigen, wie ihre Spenden eingesetzt werden.” Eliane Beerhalter von Swissaid will die Leute auf Twitter und Facebook zum Handeln bewegen.
3. Erfolgskontrolle ist unabdingbar
Der regelmässige Blick auf die Resultate ist wichtig, die meisten der befragten Schweizer NPO haben Kennzahlen definiert. Für Amnesty sind eine Erfolgskontrolle und individuelle Benchmarks unabdingbar und auch WWF Schweiz macht ein umfassendes monatliches Social Media Reporting mit den wichtigsten Key Performance Indicators (KPI).
Swissaid achtet auf die Interaktionsrate und wertet sie in Halbjahres- und Jahresberichten aus. In der wöchentlichen Kommunikationsplanung bespricht das Kommunikationsteam, was gut lief und was weniger und leitet daraus Aktivitäten ab. Save the Children erstellt ausführliche monatliche Reportings und gleicht diese mit der Social Media-Strategie ab.
Für Stefanie Schlüter von der Schweizer Paraplegiker-Stiftung umfasst die die Erfolgskontrolle nebst der Anzahl Follower die Interaktionsrate sowie weitere Kennzahlen und Faktoren wie Impressionen, Reichweite, Conversion-Rate einzelner Posts oder die Relevanzbewertung, beispielsweise von Facebook auf Kampagnenebene. Public Eye misst vor allem den Erfolg von grösseren Kampagnen auf Social Media und macht detaillierte Auswertungen auf Basis von KPIs.
Terre des hommes schaut sehr genau auf die Resultate, dazu Isabel Zbinden: “Für uns ist die Followerzahl durchaus wichtig, ist aber nicht das einzige Kriterium, an dem wir unseren Erfolg auf Social Media messen. Reach, Impressions und Engagement (likes, shares, Kommentare, …) sind wesentliche Kriterien. Die Conversion-Rate und der ROI werden bei bezahlten Kampagnen auch gemessen. Auch qualitative Aspekte sind uns wichtig: Was kommentieren unsere Follower, welche Beziehung haben sie zu Terre des hommes.”
Facebook: Es ist kompliziert
Was Sichtbarkeit und Reichweite angeht, machen alle Schweizer NPO die gleiche Erfahrung: “Durch den Facebook-Algorithmus ist unsere Reichweite auf diesem Kanal geringer”, sagt Nadja von Burg von WWF Schweiz. Facebook verkomme immer mehr zum Bezahlkanal, hält Sibylle Dickmann-Perrenoud vom Schweizerischen Roten Kreuz fest: “Die Konsequenz daraus ist, dass wir – nicht nur auf Facebook – alles daran setzen, unser Publikum kennen zu lernen und entsprechend relevanten Content zu publizieren.” Für Public Eye ist das offenbar keine sonderliche Herausforderung: “Als recherchebasierte, investigative Organisation haben wir zum Glück immer wieder starke und überzeugende Inhalte, die über unsere Mitglieder, Fans und Follower hinaus interessieren.”
Die Hebel sind also einerseits relevanter Content und andererseits Budget. So reagiert Amnesty mit der Anpassung der entsprechenden Kommunikationsziele und -massnahmen sowie mit mit dem Einsatz von Media-Budget für die Erhöhung der Sichtbarkeit, und das mit gutem Erfolg.
Strategien gegen den Facebook-Algorithmus:
- Zielgruppe kennen und relevanten Content bieten
- Bewusster Einsatz des Media-Budgets (ganz ohne geht es nicht)
- In andere Kanäle diversifizieren
- Über mentions und Erwähnungen vernetzen
Selbst wenn schon mit sehr kleinen Beiträgen einiges bewirkt werden kann, haben NPO etwas andere Rahmenbedingungen als Unternehmen. Save the Children ist gemäss Simone Schmid mit dem ZEWO-Zertfikat einem bewussten Einsatz der Spendengelder verpflichtet. Darum wird auch nur ein minimales Budget für Social Media, zum bewerben der Beiträge, eingesetzt. Hina Strüver ergänzt: “Wir haben bei den NGOs auch immer die Diskussion, ob wir die grossen Datenkraken wie Facebook oder Google dadurch unterstützen dürfen, dass wir in Ads investieren.” Allerdings bleibt es bei der Diskussion, denn Hina Strüver schiebt nach: “Leider sind wir darauf angewiesen, um unsere Supporter und Interessenten zu erreichen. Wir sind uns jedoch des Problems bewusst.”
Verschiedene NPO diversifizieren in andere Kanäle: Während sich das Schweizerische Rote Kreuz vor ein paar Jahren noch auf Facebook konzentriert hat, ist es heute auch auf Twitter, Instagram LinkedIn und YouTube vertreten. Terre des hommes vermisst im Rating LinkedIn, wo die Organisation fast 20’000 Follower hat. Eher symbolisch ist Greenpeace auf Mastodon, und versteht das als Statement gegen die Datenkraken.
Strategischer Einsatz von Social Media
Social Media ist heute nicht mehr mit Facebook gleichzusetzen. Für WWF Schweiz ist es zentral, auf allen Kanälen präsent zu sein. Inhalte werden kanalspezifisch und zielgruppengerecht mit Storytelling und emotionalisierten Inhalten aufbereitet. Greenpeace steckt dieses Jahr, parallel zu Facebook, vermehrt Ressourcen in Instagram und YouTube, denn hier liege in der Steigerung der Follower noch grösseres Potential.
Vor nicht allzu langer Zeit haben Social Media ein eigenes Dasein gefristet und die Bespielung der Kanäle wurde meist den Praktikanten abgetreten. Das ist bei den meisten Schweizer NPO vorbei. Bei Public Eye und Swissaid leitet sich die Social-Media-Strategie aus der gesamten Kommunikationsstrategie des Unternehmens ab. Für Terre des hommes ist Social Media ein integraler Bestandteil der globalen Kommunikationsstrategie. Die Abstimmung erfolge auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in den Einsatzländern und -Regionen. Amnesty passt die Ziele der Organisationskommunikation instrumentespezifisch an. Auf diese Weise können die prioritären Zielgruppen erweitert, respektive ergänzt werden.
Auch die Schweizer Paraplegiker-Stiftung arbeitet mit einer übergreifenden Kommunikationsstrategie, welche auch Social Media behandelt. Um in Zukunft Inhalte und Kampagnen noch besser crossmedial zu vermarkten, ist die Stiftung aktuell am Aufbau eines Newsrooms.
Save the Children berichtet auf Social Media mit kurzen Beiträgen und will die Fans vor allem auf die Webseite lenken. Dort erfahren die Interessenten alles sehr ausführlich in Newsmeldungen, Berichten, etc.
Public Eye beobachtet über Social Media Monitoring Diskurse und Metadiskussionen zu ihren Kernthemen, zum Beispiel zu Fluchtursachen, Klimakrise oder Waffenexporten. Die Organisation versucht dann, an öffentlichen Debatten teilzunehmen, daran anzuknüpfen und ihre Forderungen zu platzieren.
10 Erkenntnisse und Empfehlungen
Die ebenso umfassenden wie interessanten Rückmeldungen der zehn Schweizer NPO habe ich mit Chris Bühler in einer Zoom-Session diskutiert. Er war über sechs Jahre Social Media Manager des WWF Schweiz. Inzwischen ist er selbständiger Berater, Referent und Coach im Bereich digitale Kommunikation und Strategie und arbeitet auch als Volunteer und Network Coordinator für Greenpeace Schweiz. Er weiss aus beruflichen und privaten Engagements, wie der NPO-Markt in der Schweiz tickt.
Gemeinsam haben wir 10 Erkenntnisse zusammengetragen, aus denen sich auch Empfehlungen ablesen lassen:
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- Die Branche stellt Social Media nicht mehr mehr in Frage, heute sind soziale Medien als wichtig bis sehr wichtig anerkannt.
- Die knappen Budgets werden für andere Aktivitäten und nur zurückhaltend für Werbung in sozialen Medien verwendet, obschon der Stellenwert von Social Media unbestritten ist.
- Bei der Mittelverwendung für Inhalte werden moralische Fragen gestellt: Dürfen wir “Datenkraken” mit Spendengeldern füttern? Einfacher scheint der Entscheid bei messbaren Aktivitäten wie Fundraising, Spender- und Mitglieder-Akquise oder der Ankurbelung des Verkaufs von Shop-Produkten.
- Die Schweizer NPO-Branche hat sich in den letzten Jahren professionalisiert. Sie bewegt sich weg von der Praktikantin, die Social Media bespielt, hin zu konzeptionellem Vorgehen im Rahmen der Gesamtkommunikation.
- Viele Fans können durchaus wichtig sein, aber nur, wenn es sich dabei um eine aktive, relevante Community handelt, die mobilisiert werden kann. Follower sind für alle Schweizer NPO aber ein wichtiger KPI, wenn auch für die meisten als Startpunkt.
- In einem reinen Follower-Ranking werden auch kommendes Jahr jene Organisationen Spitzen-Positionen einnehmen, die sich früh an die Spitze gesetzt haben und die über ausreichend Ressourcen verfügen, um ihre Auftritte zu bewerben.
- Aus den Antworten lässt sich herauslesen, dass das Marketing mehr Gewicht bekommt. Bisher in der Branche kaum präsente Begriffe wie Reporting, KPI und ROI legen diese Vermutung nahe.
- Dass das Marketing und damit eher Sales als Stories im Vordergrund stehen, ist nachvollziehbar, schliesslich geht es darum, Spenderinnen und Mitglieder zu gewinnen und die Conversion im (Merchandising-)Shop zu steigern.
- Die Notwendigkeit von relevantem Content dominiert in den Antworten. Die Verantwortlichen sind sich bewusst, dass sie die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen kennen und den Ansprüchen gerecht werden müssen. Dabei stehen sie im Spannungsfeld zu Abteilungen, die ihre Inhalte aus dem Programm auf Social Media durchsetzen wollen. Es muss also gelingen, die Ansprüche der Community in die Programmabteilungen zu bringen.
- Die Entwicklung geht weg vom Broadcasting von “Medieninfos” und hin zu Netzwerkkommunikation. Das zeigen Hinweise in den Antworten zu Influencer Marketing (oder mit Blick auf Budget wohl eher Relations?) und die Vernetzung mit anderen Accounts durch “mentions”.
Generell stellt Chris Bühler fest, dass die Professionalisierung von Fundraising im digitalen Bereich zu einer stärkeren Datengetriebenheit führt. Auch das erklärt, warum das Marketing in der Kommunikation mehr Gewicht bekommt. Er zeigt sich aber auch besorgt: “Ich befürchte, dass Schweizer NPO ihr Tafelsilber verscherbeln, wenn sie Social Media zu sehr als Sales-Kanal für Spenden und Mitgliedschaften nutzen. Es muss ihnen also gelingen, Storytelling in ihre Supporter Journeys einzubinden, damit nicht der Eindruck entsteht, es gehe nur ums Geld. Denn Glaubwürdigkeit in der Sache ist auch und gerade im Social Web entscheidend für NPOs. Schliesslich bieten digitale und vor allem soziale Kanäle eine grosse Chance für die Kommunikation mit Freiwilligen.”