Wie erzählt man mit Daten spannende Geschichten, die Medien und Öffentlichkeit begeistern? Diese Frage stellt sich Alex Hämmerli, Senior PR Manager bei Digitec Galaxus, täglich. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen ist er für die datengetriebene PR des grössten Onlinehändlers der Schweiz verantwortlich, der über eine riesige Menge an Daten aus dem E-Commerce verfügt. Wie er aus diesen Daten, aber auch aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen interessante Einblicke generiert, diese in attraktive Storylines und Grafiken verpackt und gezielt an relevante Medien und Influencer kommuniziert, verrät er in diesem Blogbeitrag.
Daten sind das Gold des digitalen Zeitalters, heisst es oft. Doch wie lässt sich dieses Gold schürfen und für PR-Zwecke nutzen? Alex Hämmerli hat einen systematischen Ansatz für Daten-PR entwickelt. Er geht dabei ähnlich vor wie eine Journalistin, die Informationen aus verschiedenen Quellen sammelt, analysiert, interpretiert und aufbereitet. Allerdings greift er nicht nur auf externe, sondern vor allem auch auf interne Daten zurück, die ihm Digitec Galaxus zur Verfügung stellt. Alex Hämmerli bezeichnet die Daten-PR deshalb auch als Pendant zum Datenjournalismus.
Diese Daten stammen aus verschiedenen Bereichen des Online-Handels: Aus dem Sortiment, Verkaufszahlen, Kundenbewertungen, Suchanfragen oder Webverhalten. Aus diesen Daten lassen sich vielfältige Erkenntnisse ableiten, die sowohl für die interne Optimierung als auch für die externe Kommunikation nützlich sind. Unter anderem können Trends erkannt, Kundenbedürfnisse verstanden, Marktentwicklungen prognostiziert oder regionale Unterschiede aufgezeigt werden.
Um aus diesen Daten Geschichten zu machen, die ein breites Publikum ansprechen, braucht es mehr als nur Zahlen. Man muss die Zahlen in einen Kontext stellen, eine Botschaft formulieren, Spannung aufbauen und Emotionen wecken. Kurz: Man muss die Daten mit einer Geschichte verknüpfen, die einen roten Faden, einen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende hat.
Es braucht viel Übung, um Muster in den Daten zu erkennen und daraus Geschichten abzuleiten. Ich habe Alex Hämmerli dazu einige Fragen gestellt. In seinen Antworten hat er viele Beispiele für gelungenes Daten-Storytelling genannt, die im Text verlinkt sind. Diese Beispiele habe ich am Ende dieses Artikels zusätzlich tabellarisch zusammengefasst, sodass Sie sich beim Lesen ganz auf die Ausführungen des Daten-PR-Experten konzentrieren können.
Über 85 Prozent der Unternehmenskommunikation von Digitec Galaxus besteht aus Datengeschichten und nur ein kleiner Teil aus Firmennews. Wie habt ihr das Management dazu gebracht, das zuzulassen?
Das obere Management ist gegenüber Daten-PR oft skeptisch. Dahinter steht die Sorge, dass beim datengetriebenen Storytelling empfindliche Zahlen oder gar Geschäftsgeheimnisse an die Öffentlichkeit gelangen könnten. Klar hilft es der Konkurrenz, wenn diese bei uns liest, dass Batterien, USB-Kabel und Druckerpatronen unsere Bestseller sind, dass der Verkauf von Tastenhandys bei uns boomt, oder immer mehr junge Erwachsene bei uns Lego-Sets kaufen. Wir konnten die Geschäftsleitung aber überzeugen, dass wir letztlich davon profitieren, wenn wir mit solchen Geschichten in die Medien kommen. Seither beweisen wir unseren Erfolg mit dem Anzeigen-Äquivalenzwert der Storys.
Was sind die positiven Effekte von Datengeschichten und wo liegen die Stolpersteine?
Mit unseren Storys steigern wir einerseits unsere Bekanntheit, andererseits können wir unser Image als innovatives und trendbewusstes Unternehmen schärfen. Zudem helfen uns die Datengeschichten beim Agenda-Setting. Ein Beispiel: Seit Sommer 2023 bieten wir eine ‘Same-Day-Lieferung’ für rund zwei Drittel aller Schweizer Haushalte an. Um die Bekanntheit dieser Dienstleistung über die initiale Medienmitteilung hinaus zu unterstützen, haben wir im Frühjahr 2024 eine Auswertung dazu gemacht, wer die ‘Same-Day-Option’ nutzt. Das Ergebnis: In Zürich muss es den Menschen schnell gehen, in der Romandie hingegen nimmt man es auch beim Onlinehandel eher gemütlich.
Indem wir Daten-Storys publizieren, zeigen wir den Medienschaffenden übrigens auch, dass wir auf spannenden Zahlen sitzen und diese bei Bedarf liefern können. So kommen immer mehr Journalistinnen und Journalisten auf uns zu, wenn sie zu einer Konsumstory recherchieren.
Stolpersteine gibt es vor allem da, wo Menschen die Daten falsch interpretieren. Das Jobportal Jobs.ch hat zum Beispiel vor einigen Jahren eine Auswertung dazu gemacht, nach welchen Unternehmen die User am häufigsten suchen. Der Flughafen Zürich schaffte es auf Platz 1. Die Headline in den Medien war dann “Flughafen Zürich als Arbeitgeber am begehrtesten”. Ich gehe aber davon aus, dass sich Arbeitnehmer beim Flughafen Zürich bloss besonders grosse Chancen auf eine Stelle versprechen, weil dort viele Inserate aktiv sind. Zur Veranschaulichung: Stand Mitte September 2024 sind auf Jobs.ch beim Flughafen Zürich rund 240 Stellen offen. Hätten die Arbeitnehmer freie Wahl, würden sie aber vermutlich bei einem anderen Unternehmen arbeiten. Die korrekte Headline hiesse also: “Flughafen Zürich als Arbeitgeber am häufigsten gesucht.”
Wie werden aus Daten Geschichten?
Am Anfang steht immer die Recherche. Hier gibt es zwei Herangehensweisen: die thesenbasierte und die explorative. Bei ersterer sehe ich zum Beispiel in meinem Freundeskreis, dass deren Kinder das Zimmer voll mit Plüschtieren der Marke Squishmallows haben. Ich schaue also in unseren Verkaufsdaten, ob wir hier einen allgemeinen Trend sehen. Und voilà: Die These ist bestätigt und ich habe einen knackigen Aufhänger für eine neue Story.
Bei der explorativen Herangehensweise vergleiche ich z. B. sämtliche Verkäufe eines Jahres mit den Verkäufen im Vorjahr. Wenn ich die Verkäufe nun nach Produktgruppen sortiere, sehe ich beispielsweise, dass wir immer mehr Fritteusen verkaufen. Während aber die Nachfrage nach den klassischen Öl-Fritteusen stagniert, gehen die Verkäufe sogenannter Heissluft-Fritteusen durch die Decke – und zwar vor allem dank unserer jungen Kundschaft. So entsteht eine Story mit dem Titel “Thermomix der Generation Instagram: Airfryer verdrängen Öl-Fritteusen.”
Erzähl uns deine Lieblingsgeschichte.
Davon gibt es viele. Eine Geschichte, die mir besonders viel Freude gemacht hat, ist eine Auswertung zum Einfluss, den die Corona-Pandemie in der ersten Welle auf unseren Online-Warenkorb hatte. Mithilfe einer interaktiven Grafik konnte ich zeigen, ab wann die Hamsterkäufe von Teigwaren, WC-Papier oder Campingkochern begannen oder ab wann sich die Menschen Haarscheren kauften, weil die Coiffeurgeschäfte vom Lockdown betroffen waren.
Welche Geschichten funktionieren gut, was sind Klassiker?
Am besten für Daten-PR funktionieren gesellschaftliche Trends, die wir mit Zahlen belegen können. Zum Beispiel, dass «Dumbphones», also Handys mit Tasten, nicht nur bei «Oldies» beliebt sind. Ein weiterer Klassiker sind Unterschiede zwischen Ländern, Kantonen, Altersgruppen, Geschlechtern usw. So haben wir das unterschiedliche Einkaufsverhalten zwischen den Generationen beschrieben und dafür auf die Babyboomer, Millennials, Gen Z und Generation X geschaut.
Wie kommt man an die Datenschätze heran? Und wie macht man sie nutzbar?
Die Antwort ist für jedes Unternehmen und für jede Organisation eine andere. Unser Ziel muss es aber in jedem Fall sein, auf ‘Du’ zu sein oder zu werden mit denjenigen, die auf den Datenschätzen sitzen, und allen, die Schätze bergen können. Ich denke an Software-Ingenieurinnen, Spezialisten in Business Intelligence, Kolleginnen im Produktmanagement usw. Wir müssen also ein Netzwerk aufbauen und pflegen.
Der Umgang mit Kundendaten ist heikel. Was rätst du uns hierbei?
Am besten arbeiten wir mit Datensätzen, die wir gleich von Anfang an von unseren IT-Spezialisten anonymisieren lassen. Ich will also insbesondere keine Namen und keine Adressen in den Daten-Exports sehen. Sobald wir mit aggregierten Daten arbeiten, ist der Datenschutz sichergestellt.
Arbeitet ihr auch mit externen Daten und falls ja, was ist der Mehrwert? Welche nutzt du gerne?
Wir arbeiten vor allem mit Marktforschern zusammen, die für uns repräsentative Umfragen erstellen. Mit den Antworten auf Fragen wie “Verwendest du Sonnencremes?” oder “Nutzt du dein Handy auf dem Klo?” lassen sich Geschichten erzählen, die die Medien gerne aufgreifen. Eins haben unsere Umfragen immer gemeinsam: Sie haben einen Bezug zu unserem Sortiment oder zu unseren Dienstleistungen.
Teilweise verwenden wir auch Daten von statistischen Ämtern, Unis oder sonstigen Forschungsanstalten – dies vor allem dann, wenn wir zeigen wollen, dass unsere Aussagen allgemeingültig sind. Externe Daten können also dabei helfen, die Relevanz einer Geschichte zu erhöhen, indem wir diese in einen breiteren Kontext einordnen. Und wir können Lücken in unserer Argumentation füllen.
Worauf muss man achten, wenn man mit fremden Quellen arbeitet?
Nutze ich externe Datenquellen, so muss ich diese einem Qualitäts-Check unterziehen: Ist die Quelle/sind die Daten vertrauenswürdig? Sind die Zahlen aktuell und repräsentativ? Und welche Interessen verfolgt der Urheber? Ich nehme also quasi die Rolle eines Daten-Journalisten ein.
Welche Rolle spielen Grafiken in der Daten-PR?
Die Grafiken sind das Herz unserer Geschichten. Ich publiziere keine Datenstory ohne aussagekräftige Grafik. Im Grundsatz muss jede Grafik für sich allein funktionieren, sprich eine Geschichte erzählen. Drei Beispiele, von denen ich bereits gesprochen habe:
- «Anteil Heissluft- und Öl-Fritteusen an allen verkauften Fritteusen bei Galaxus»
- Nutzt du aus Langeweile dein Handy auf der Toilette?
- Prozentualer Anteil der Bestellungen, bei denen die Blitzlieferung gewählt wird, wenn sie verfügbar ist.
Welche Werkzeuge helfen beim Sammeln und Visualisieren von Daten?
Mein Lieblingswerkzeug heisst Flourish – dieses Tool nutze ich für fast alle Grafiken, ausser für Karten. Für Karten-Grafiken verwende ich Datawrapper. Flourish und Datawrapper sind beide gratis und decken mit ihren Grafik-Bibliotheken und sonstigen Funktionen fast alle meine Wünsche ab.
Gute Datengeschichten sind immer noch Mangelware. Das hat auch News aktuell vor einiger Zeit festgestellt. Wer arbeitet in der Schweiz ähnlich wie Ihr? Was rätst du Einsteigern?
Im deutschsprachigen Raum nutzen immer noch sehr wenige Medienstellen Daten für ihre PR. Früh darauf gesetzt haben zum Beispiel Comparis oder Moneypark. Einsteigern rate ich: einfach probieren!
Weiterführende Links & Quellen
Sie finden hier die Medienmitteilungen von Galaxus mit vielen Daten-Storys.
Alle in diesem Beitrag genannten Beispiele nochmals in tabellarischer Form zum Überblick:
Worum geht es? | Beispiel |
Digitec Galaxus erweitert Same-Day-Lieferung auf 60% der Schweizer Haushalte. | Medienmitteilung |
Vergleich zwischen der Deutschschweiz und der Romandie mit Balkendiagramm und Heatmap der Schweiz. | Same-Day-Lieferung: Zürich feiert’s, Genf zuckt die Schultern |
Ein Beispiel für den thesenbasierten Ansatz für eine Daten-PR-Geschichte. | Vom TikTok-Trend zum Bestseller: Squishmallows dominieren den Plüschtiermarkt |
Ein Beispiel für den explorativen Ansatz für eine Daten-PR-Geschichte | Thermomix der Generation Instagram: Airfryer verdrängen Öl-Fritteusen |
Eine Auswertung des Konsumverhaltens während der Corona-Pandemie mit interaktiver Grafik. | So dominant ist das Virus in unserem Warenkorb |
Am besten für Daten-PR funktionieren gesellschaftliche Trends, die mit Zahlen belegt werden können. | Tastenhandy-Boom: «Dumbphones» nicht nur bei Oldies beliebt |
Besonders interessant: Unterschiede zwischen Ländern, Kantonen, Altersgruppen, Geschlechtern | Von Kopfhörern bis Koffein: So unterschiedlich shoppen die Generationen im Internet |
Repräsentative Umfragen von Marktforscherinnen im Auftrag von Digitec Galaxus | Deutsche sind Europas Sonnencreme-Muffel TikTok, bis die Beine einschlafen: So oft nutzen wir das Handy auf dem Klo |
- Visual Capitalist: Eine Seite mit datengetriebenen Visualisierungen (englisch)
- Statistische Ämter/Anbieter:
- Bundesamt für Statistik BfS
- Opendata.Swiss für Deutschland
- GovData
- Offenes Datenportal der EU
- Google Trends
- Woran Data Analytics in der PR am häufigsten scheitern (Erhebung von News aktuell)
Ich danke Alex Hämmerli für seine Einblicke und Tipps.